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mit der bloßen Konstatierung eines steten Beisammenseins sich zu begnügen habe. Das wäre ja so, als würde jemand zum ersten Male wissenschaftlich vorzugehen behaupten, indem er sich darauf beschränke, vorzufinden: »Wenn ich in einen Automaten ein Geldstück werfe, so kommt eine Schachtel Zündhölzer heraus«; was darüber gehe, sei Metaphysik und von Übel, das Kriterium des echten Forschers sei Resignation. Probleme der Art, woher es komme, daß langes Kopfhaar und zwei normale Ovarien sich fast ausnahmslos in denselben Menschen vereinigt finden, sind von der größten Bedeutung; aber sie fallen eben nicht in den Bereich der Morphologie, sondern in den der Physiologie. Vielleicht ist ein Ziel einer idealen Morphologie mit der Anschauung gut bezeichnet, daß diese in einem deduktiv-synthetischen Teile nicht jeder einzeln existierenden Art und Spielart nachkriechen solle in Erdlöcher und nachtauchen auf den Meeresgrund — das ist die Wissenschaftlichkeit des Briefmarkensammlers — sondern aus einer vorgegebenen Anzahl qualitativ und quantitativ genau bestimmter Stücke in der Lage sein werde, den ganzen Organismus zu konstruieren, nicht auf Grund einer Intuition, wie dies ein Cuvier vermochte, sondern in strengem Beweisverfahren. Ein Organismus nämlich, von dem man ihr irgend eine Eigenschaft genau bekanntgegeben hätte, müßte für diese Wissenschaft der Zukunft bereits noch durch eine andere, nun nicht mehr willkürliche, sondern damit in ebensolcher Genauigkeit bereits bestimmbare Eigenschaft beschränkt sein. In der Sprache der Thermodynamik unserer Tage ließe sich das ebensogut durch die Forderung ausdrücken, daß für eine solche deduktive Morphologie der Organismus nur eine endliche Zahl von »Freiheitsgraden« besitzen dürfte. Oder man könnte, eine lehrreiche Ausführung Machs benützend, verlangen, daß auch die organische Welt, sofern sie wissenschaftlich begreifbar und darstellbar, eine solche sei, in der zwischen n Variablen eine Zahl von Gleichungen bestehe, die kleiner sei als n (und zwar gleich n-1, wenn sie durch ein wissenschaftliches System eindeutig bestimmbar sein soll; die Gleichungen würden bei geringerer Zahl zu unbestimmten Gleichungen werden, und bei einer größeren Zahl könnte der durch eine Gleichung ausgesagten Abhängigkeit von einer zweiten ohne weiters widersprochen werden).

      Dies ist die logische Bedeutung des Korrelationsprinzipes in der Biologie: es enthüllt sich als die Anwendung des Funktionsbegriffes auf das Lebendige, und darum liegt in der Möglichkeit seiner Ausbreitung und Vertiefung die Hoffnung auf eine theoretische Morphologie hauptsächlich begründet. Die kausale Forschung ist damit nicht ausgeschlossen, sondern erst auf ihr eigenstes Gebiet verwiesen. Im Idioplasma wird sie wohl die Gründe jener Tatsachen aufzufinden trachten müssen, die dem Korrelationsprinzipe zu Grunde liegen.

      Die Möglichkeit einer psychologischen Anwendung des Prinzipes der korrelativen Abänderung liegt nun in der »differentiellen Psychologie«, in der psychologischen Varietätenlehre, vor. Und die eindeutige Zuordnung von anatomischem Habitus und geistigem Charakter wird zur Aufgabe der statischen Psychophysik oder Physiognomik. Die Forschungsregel aller drei Disziplinen wird aber die Frage zu sein haben, worin sich zwei Lebewesen, die in einer Beziehung ein differentes Verhalten gezeigt haben, noch unterscheiden. Die hier geforderte Art der Fragestellung scheint mir der einzig denkbare »Methodus inveniendi«, gleichsam die »Ars magna« jener Wissenschaften, und geeignet, die ganze Technik des Betriebes derselben zu durchdringen. Man wird nun, um einen charakterologischen Typus zu ergründen, nicht mehr bloß durch die nur bohrende Frage nach dem Warum, unter möglichst hermetischer Absperrung, in einem Loche hartes Erdreich aufzugraben sich mühen, nicht wie jene stereotropischen Würmer Jacques Loebs an einem Dreikant immer von neuem sich verbluten, nicht durch Scheuklappen die Aussicht auf das erreichbare Daneben sich versperren, um geradeaus in der Tiefendimension dem aller nur empirischen Wissenschaft unerforschlichen Grunde nachzuschnaufen. Wenn jedesmal, ohne irgend welche Nachlässigkeit oder Rücksicht auf Bequemlichkeit, beim Sichtbarwerden einer Differenz der Vorsatz gefaßt wird, auf die anderen Differenzen zu achten, die nach dem Prinzipe unausweichlich noch da sein müssen; wenn jedesmal den unbekannten Eigenschaften, welche mit der zur Abhebung gelangten in Funktionalzusammenhang stehen, »ein Aufpasser im Intellekte bestellt« wird, dann ist die Aussicht, die neuen Korrelationen zu entdecken, bedeutend vermehrt: ist nur die Frage gestellt, so wird sich die Antwort, je nach der Ausdauer und Wachsamkeit des Beobachters und der Gunst des ihm zur Prüfung beschiedenen Materials, früher oder später einstellen.

      Jedenfalls wird man, im bewußten Gebrauche dieses Prinzipes, nicht mehr lediglich darauf angewiesen sein zu warten, bis endlich einem Menschen durch die glückliche Laune einer gedanklichen Konstellation das konstante Beisammensein zweier Dinge im selben Individuum auffällt, sondern man wird lernen, immer sofort nach dem ebenfalls vorhandenen zweiten Ding zu fragen. Denn wie sehr ist nicht bisher alle Entdeckung auf den Zufall einer günstigen Konjunktur der Vorstellungen in dem Geiste eines Menschen beschränkt gewesen! Welch große Rolle spielt hier nicht die Willkür der Umstände, die zwei heterogene Gedankengruppen im geeigneten Moment zu jener gegenseitigen Kreuzung zu führen vermögen, aus der das Kind, die neue Einsicht und Anschauung, einzig geboren werden kann! Diese Rolle zu vermindern, scheint die neue Fragestellung und der Wille, sie in jedem Einzelfalle zu befolgen, außerordentlich befähigt. Bei der Succession der Wirkung auf die Ursache ist die psychologische Veranlassung zur Frage aus dem Grunde eher da, weil jede Verletzung der Stabilität und Kontinuität in einem vorhandenen psychischen Bestande unmittelbar beunruhigend wirkt, eine »Vitaldifferenz setzt« (Avenarius). Wo gleichzeitige Abhängigkeit besteht, fällt aber diese Triebkraft weg. Darum könnte diese Methode dem Forscher selbst inmitten seiner Tätigkeit die größten Dienste leisten, ja den Fortschritt der Wissenschaft insgesamt beschleunigen; die Erkenntnis von der heuristischen Anwendbarkeit des Korrelationsprinzipes es wäre eine Einsicht, die fortzeugend immer neue Einsicht könnte gebären helfen.

       Die emanzipierten Frauen.

       Inhaltsverzeichnis

      Im unmittelbaren Anschluß an die differentiell-psychologische Verwertung des Prinzipes der sexuellen Zwischenformen muß zum ersten Male auf jene Frage eingegangen werden, deren theoretischer und praktischer Lösung dieses Buch recht eigentlich gewidmet ist, soweit sie nicht theoretisch eine Frage der Ethnologie und Nationalökonomie, also der Sozialwissenschaft im weitesten Sinne, praktisch eine Frage der Rechts- und Wirtschaftsordnung, der sozialen Politik ist: auf die Frauenfrage. Die Antwort, welche dieses Kapitel auf die Frauenfrage geben soll, ist indes nicht eine, mit der für das Ganze der Untersuchung das Problem erledigt wäre. Sie ist vielmehr bloß eine vorläufige, da sie nicht mehr geben kann, als aus den bisherigen Prinzipien ableitbar ist. Sie bewegt sich gänzlich in den Niederungen der Einzelerfahrung, von der sie nicht zu allgemeinen Grundsätzen von tieferer Bedeutung sich zu erheben trachtet; die praktischen Anweisungen, die sie gibt, sind keine Maximen eines sittlichen Verhaltens, das künftige Erfahrung regulieren sollte oder könnte, sondern nur aus vergangener Erfahrung abstrahierte technische Regeln zu einem sozialdiätetischen Gebrauche. Der Grund ist, daß hier noch keineswegs an die Erfassung des männlichen und weiblichen Typus geschritten wird, die Sache des zweiten Teiles verbleibt. Diese provisorische Betrachtung soll nur diejenigen charakterologischen Ergebnisse des Prinzipes der Zwischenformen bringen, welche für die Frauenfrage von Bedeutung sind.

       Wie diese Anwendung ausfallen wird, liegt nach dem Bisherigen ziemlich offen zu Tage. Sie gipfelt darin, daß Emanzipationsbedürfnis und Emanzipationsfähigkeit einer Frau nur in dem Anteile an M begründet liegt, den sie hat. Der Begriff der Emanzipation ist aber ein vieldeutiger, und seine Unklarheit zu steigern lag im Interesse aller jener mit dem Worte oft verfolgten praktischen Absichten, die theoretische Einsichten zu vertragen nicht vermochten. Unter der Emanzipiertheit einer Frau verstehe ich weder die Tatsache, daß in ihrem Hause sie das Regiment führt und der Gatte keinen Widerspruch mehr wagt, noch den Mut, ohne schützenden Begleiter zur Nachtzeit unsichere Gegenden zu passieren; weder ein Hinwegsetzen über konventionelle gesellschaftliche Formen, welche der Frau das Alleinleben fast verbieten, es nicht dulden, daß sie einem Manne einen Besuch abstatte, und die Berührung sexueller Themen durch sie selbst oder durch andere in ihrer Gegenwart verpönen; noch schließlich die Suche nach einem selbständigen

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