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unmenschlicher Anstrengung gelang es ihm, sich an Bord des Beibootes zu ziehen. Er hatte Unmengen von Wasser geschluckt. Seine Augen schmerzten höllisch. Als er aufblickte, sah er nur schemenhaft die Umrisse des breiten Hecks, das in dem aufgewühlten Meer auf und nieder tanzte.

      Carberry schrie sich die Kehle heiser.

      Irgend jemand mußte ihn doch hören!

      Er sah den Schatten, der zur Heckgalerie hinabkletterte und wollte aufatmen. Aber dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Schock.

      Dieser Schatten hatte ihn über die Reling gestoßen!

      Wer war der Mann, der ihm nach dem Leben trachtete?

      Zum erstenmal in seinem Leben spürte Edwin Carberry so etwas wie Angst in sich aufsteigen. Er sah, wie der Schatten sich zu der Stelle vorarbeitete, an der das Beiboot mit der Vorleine vertäut war.

      Doughty! schoß es ihm durch den Kopf. Das mußte John Doughty sein!

      Der Mann hatte die richtige Gelegenheit genutzt, sich dafür zu rächen, daß Carberry seinen Bruder geköpft und ihn selbst ausgepeitscht hatte!

      Carberry schrie.

      „Du verfluchter Hurensohn! Du Ausgeburt der Hölle! Du elendes Rübenschwein, laß deine dreckigen Pfoten von der Leine!“

      Der Sturm riß ihm die Worte von den Lippen.

      Carberry kroch im Boot nach vorn und packte die Vorleine. Er zerrte daran. Die Muskelstränge auf seinen Oberarmen schienen zerreißen zu wollen. Stück um Stück zog er sich näher an den Heckspiegel der „Golden Hind“ heran, der Rettung für ihn bedeutete.

      Carberrys Augen waren weit aufgerissen. Sie versuchten, das Dunkel zu durchdringen und den Schatten zu identifizieren, der jetzt auf der Heckgalerie hockte und an der Vorleine des Beibootes hantierte.

      Er konnte nichts erkennen. Eine Welle schlug über ihm zusammen. Der fürchterliche Druck des Seiles ließ von einem Augenblick zu anderen nach. Carberry fiel zurück. Er stieß gegen die harte Kante einer Ducht. Der Schmerz schnitt durch seinen Rücken, und er dachte für einen Moment, sein Rückgrat wäre gebrochen.

      Er schluckte Wasser und spuckte es wieder aus. Er merkte kaum, daß er sich dabei übergab. Die Schaukelbewegungen des Bootes hatten sich verdoppelt. Seine Hände krallten sich in der Ducht fest. Langsam zog er sich hoch.

      Es war reiner Zufall, daß er das in der Dunkelheit hell schimmernde Focksegel der „Golden Hind“ noch einmal sah, bevor die Galeone von der Finsternis verschluckt wurde.

      Ein wilder Schrei brach aus Carberrys Kehle. Er dachte nicht daran, daß es niemanden gab, der ihn hören konnte. Er schrie sich die Seele aus dem Leib, bis ihn ein dichter Gischtschleier zum Schweigen brachte.

      Wieder übergab er sich. Er würgte, obwohl er nichts mehr im Magen hatte. Der bittere Geschmack der Galle brachte ihn wieder zur Besinnung.

      Er tastete sich vor und holte die Vorleine ein. Seine großen lederhäutigen Hände betasteten das Endes des Seils. Es gab keinen Zweifel. Es war nicht gebrochen. Jemand hatte es mit einem Messer durchtrennt.

      Carberry schüttelte den Kopf. Er wollte nicht daran denken. Nicht jetzt. Er lebte, und solange noch ein Funken Leben in seinem Körper war, hatte er die verdammte Pflicht, um dieses Leben zu kämpfen.

      Er band sich die Vorleine um den Leib und befestigte sie an Back- und Steuerbord an den Dollen. Das Boot tanzte wie eine Nußschale auf den immer stärker werdenden Wellen. Mit den Händen begann Carberry, das Wasser hinauszuschöpfen. Er arbeitete wie ein Verrückter. Nichts konnte ihn davon abbringen, mit aller Macht um sein Leben zu kämpfen, nachdem er sich erst einmal dazu entschlossen hatte.

      Er merkte nicht, daß die ersten Sterne bereits am Himmel erschienen. Die Wolkenbänke waren nach Norden davongejagt und hatten einen blanken Himmel zurückgelassen. Noch tobte das Meer, aber nur selten schlug das Beiboot noch voll Wasser.

      Als der erste graue Schimmer über der Kimm erschien, erwachte Carberry zu neuem Leben. Er hörte auf, Wasser zu schöpfen und ließ sich auf eine Ducht sinken. Seine schmerzenden und vom Salzwasser entzündeten Augen richteten sich auf den schmalen Streifen Lichtes, das den neuen Tag verkündete.

      Der erste Sonnenstrahl entzündete in ihm einen Funken. Er atmete die scharfe, belebende Luft ein, die das Gewitter zurückgelassen hatte, und beugte sich hinunter, um die festgezurrten Riemen zu lösen.

      Er war froh, daß er sie nicht während des Sturmes gelöst hatte. Vielleicht wären sie ihm weggerissen worden.

      Er schob sie in die Dollen. Einen Moment lang überlegte er, ob er in dieselbe Richtung pullen sollte, in der die „Golden Hind“ verschwunden war. Aber dann verwarf er den Gedanken. Er wußte nicht, wie weit der Sturm sie von der peruanischen Küste fortgetrieben hatte. Auf alle Fälle war es besser, den Mittelweg zu wählen: nach Nordosten auf die Küste zu.

      Carberry tauchte die Riemen ins Wasser und begann nach Nordosten zu pullen. Er sah die glutrote Sonne über der Kimm auftauchen. Noch wies sie ihm den Weg, doch bald schon würde sie der zweite grausame Feind nach dem unendlichen Meer sein, der Carberry nach dem Leben trachtete.

      Mit unerschütterlicher Gewißheit glaubte Carberry daran, daß Francis Drake ihn suchen würde, wenn sich erst einmal herausstellte, daß sich der Profos nicht mehr an Bord der „Golden Hind“ befand.

      Mit dem Sonnenaufgang waren die dunklen Gedanken an den Tod verschwunden. Fast hätte Carberry eins von den obszönen Liedern angestimmt, die er so oft mit seinen Kameraden in der Bloody Mary des alten Fettsackes Nathaniel Plymson gesungen hatte, doch die aufgewühlte See nahm seine Aufmerksamkeit voll in Anspruch.

      Immer wieder schaute er sich um, ob nicht schon irgendwo im Nordosten die Umrisse von Land an der Kimm auftauchten. In der Dunkelheit, die noch an der westlichen und nördlichen Kimm herrschte, war nichts zu erkennen.

      Edwin Carberrys muskelbepackte Arme zogen unentwegt die Riemen durchs Wasser. Er wußte, daß er weiterpullen würde, bis sein Herz aufhören würde zu schlagen.

      Der Rudergänger der „Golden Hind“ fluchte lautlos, als er das Schralen des Windes bemerkte. Die Galeone neigte sich nach Backbord. Er gab dem Ruder nach und ließ die Galeone abfallen. Mit einem Ohr lauschte er nach Backbord, wo Carberry stehen mußte. Gleich würde seine rauhe Stimme über Deck schallen und den Männern befehlen, die Schoten und Brassen zu bedienen, um das Focksegel wieder richtig an den Wind zu bringen.

      Das Knattern des Segeltuchs riß den Mann aus seiner Lethargie.

      „He, Profos!“ brüllte er. „Willst du uns in Teufels Küche bringen?“

      Fast wäre er ausgerutscht und mit einem Fuß ins Koldergat abgeglitten.

      Verdammt, pennte der Profos etwa? Der Rudergänger schüttelte den Kopf.

      Nicht Carberry. Wenn der Wache hatte, war er überall, wo es etwas zu tun gab, und wenn alles in Ordnung wäre, hätte der Profos wahrscheinlich schon etwas unternommen, bevor der Rudergänger das Schralen des Windes bemerkt hätte.

      „He, Deck! Ist da denn niemand?“

      Er verrenkte sich fast den Hals. Er hörte das Schlagen einer Tür und schrie abermals, bis er das Gesicht von Thomas Moone über sich erkannte.

      Moone hatte sofort bemerkt, was los war. Mit ein paar Befehlen jagte er die Fockgasten an die Brassen und Schoten und ließ die Segelstellung regeln. Dann erst wandte er sich wieder dem Rudergänger zu.

      „Wo ist Carberry?“ fragte Moone.

      Der Rudergänger hob die Schultern.

      „Ich habe nach ihm gerufen, aber er hat sich nicht gemeldet“, sagte er.

      „Wann haben Sie ihn zum letztenmal gesehen?“

      Der Rudergänger überlegte.

      „Seit fast drei Glas“, sagte er dann. „Ich dachte, weil ...“

      Thomas Moone winkte

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