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nicht, Sir.«

      »Nie­man­den, der mit Ihrem Va­ter ver­wandt war?«

      »Ich weiß es nicht. Ein­mal frag­te ich Tan­te Reed, und da sag­te sie, dass ich mög­li­cher­wei­se ir­gend­wel­che arme, her­un­ter­ge­kom­me­ne Ver­wand­te, na­mens Eyre, ha­ben kön­ne, dass sie aber nichts über sie wis­se.«

      »Möch­ten Sie denn zu ih­nen ge­hen, wenn Sie sol­che An­ge­hö­ri­ge hät­ten?«

      Ich be­sann mich. Ar­mut hat et­was ab­schre­cken­des für er­wach­se­ne Men­schen; für Kin­der aber noch mehr; sie ha­ben nicht viel Sinn für flei­ßi­ge, ar­beit­sa­me, eh­ren­haf­te Ar­mut; dies Wort er­weckt in ih­nen nur den Ge­dan­ken an zer­lump­te Klei­der, kärg­li­che Nah­rung, einen kal­ten Ofen, rohe Ma­nie­ren und ent­wür­di­gen­de Las­ter: auch für mich war Ar­mut gleich­be­deu­tend mit Ent­eh­rung.

      »Nein. Ich möch­te nicht bei ar­men Leu­ten le­ben«, war mei­ne Ant­wort.

      »Auch nicht, wenn sie gü­tig ge­gen Sie wä­ren?«

      Ich schüt­tel­te den Kopf. Ich konn­te nicht be­grei­fen, wie arme Leu­te über­haupt die Mit­tel ha­ben, gü­tig zu sein. Und dann – spre­chen ler­nen wie sie – ihre Ma­nie­ren an­neh­men – schlecht er­zo­gen wer­den – auf­wach­sen wie eins je­ner ar­men Wei­ber, die ich zu­wei­len vor den Tü­ren der Hüt­ten ihre Kin­der war­ten und ihre Klei­der wa­schen sah? – nein, ich war nicht he­ro­isch ge­nug, mei­ne Frei­heit um den Preis mei­ner Kas­te zu er­kau­fen.

      »Aber sind Ihre Ver­wand­ten denn so arm? Ge­hö­ren sie zur ar­bei­ten­den Klas­se?«

      »Das weiß ich nicht; Tan­te Reed sagt, wenn ich über­haupt An­ge­hö­ri­ge habe, so müs­sen sie Bettl­er­ge­sin­del sein. Nein, nein, ich möch­te nicht bet­teln ge­hen.«

      »Möch­ten Sie nicht in die Schu­le ge­hen?«

      Wie­de­r­um dach­te ich nach; kaum wuss­te ich, was eine Schu­le denn ei­gent­lich sei; Bes­sie sprach zu­wei­len da­von wie von ei­nem Orte, an dem man von jun­gen Da­men er­war­tet, dass sie au­ßer­or­dent­lich ma­nier­lich und ge­ziert sind; John Reed hass­te sei­ne Schu­le und schmäh­te sei­nen Leh­rer, aber John Reeds An­sich­ten und Ge­schmack wa­ren kei­ne Re­gel für die mei­nen, und wenn Bes­sies Be­rich­te über Schul­dis­zi­plin (die­se stamm­ten von den Töch­tern ei­ner Fa­mi­lie, in wel­cher sie ge­dient hat­te, be­vor sie nach Ga­tes­head kam) et­was ab­schre­ckend lau­te­ten, so wa­ren ihre Er­zäh­lun­gen von ver­schie­de­nen Ta­len­ten und Kennt­nis­sen, wel­che die­se sel­ben jun­gen Da­men sich an­ge­eig­net hat­ten, an­de­rer­seits höchst ver­lo­ckend. Sie prahl­te von wun­der­schö­nen Ge­mäl­den, von Land­schaf­ten und Blu­men, wel­che sie vollen­det, von Lie­dern, die sie sin­gen und Kla­vier­pie­cen, die sie spie­len, von Geld­bör­sen, die sie hä­keln, von fran­zö­si­schen Bü­chern, die sie über­set­zen konn­ten, bis mein Ge­müt, wäh­rend ich ihr lausch­te, zur Nach­ah­mung auf­ge­sta­chelt wur­de. Au­ßer­dem wäre die Schu­le doch eine gründ­li­che Ab­wech­se­lung: da­mit war eine lan­ge Rei­se ver­knüpft, eine gänz­li­che Tren­nung von Ga­tes­head, ein Ein­tritt in ein neu­es Le­ben.

      »Ich möch­te in der Tat in eine Schu­le ge­hen«, war die hör­ba­re Schluss­fol­ge­rung mei­nes Nach­sin­nens.

      »Nun, nun, wer weiß denn, was ge­schieht!« sag­te Mr. Lloyd, in­dem er sich er­hob. »Das Kind braucht Luft- und Orts­ver­än­de­rung«, füg­te er hin­zu, mit sich selbst re­dend, »die Ner­ven sind in ei­ner bö­sen Ver­fas­sung.«

      Jetzt kam Bes­sie zu­rück; in dem­sel­ben Au­gen­blick hör­te man Mrs. Reeds Wa­gen über den Kies der Gar­ten­we­ge rol­len.

      »Ist das Ihre Her­rin, Wär­te­rin?« frag­te Mr. Lloyd, »ich möch­te noch mit ihr re­den be­vor ich gehe.«

      Bei die­ser Ge­le­gen­heit er­fuhr ich auch aus Miss Ab­bots Mit­tei­lun­gen an Bes­sie, dass mein Va­ter ein ar­mer Pre­di­ger ge­we­sen; dass mei­ne Mut­ter ihn ge­gen den Wil­len ih­rer An­ge­hö­ri­gen ge­hei­ra­tet habe, wel­che die­se Hei­rat für er­nied­ri­gend ge­hal­ten; dass mein Groß­va­ter Reed so er­zürnt über ih­ren Un­ge­hor­sam ge­we­sen, dass er sie gänz­lich ent­erb­te; dass mein Va­ter, nach­dem er kaum ein Jahr mit mei­ner Mut­ter ver­hei­ra­tet ge­we­sen, ein ty­phöses Fie­ber be­kom­men, wäh­rend er die arme Be­völ­ke­rung ei­ner großen Fa­brik­stadt, in wel­cher sei­ne Pfar­re lag, be­such­te; und dass mei­ne arme Mut­ter kaum einen Mo­nat spä­ter ih­rem Gat­ten ins Grab folg­te.

      Als Bes­sie die­se Er­zäh­lung mit an­hör­te, seufz­te sie und sag­te: »Ab­bot, die arme Miss Jane ist auch zu be­dau­ern.«

      »Ja, ja«, ent­geg­ne­te Ab­bot, »wenn sie ein lie­bes, gu­tes, hüb­sches Kind wäre, so könn­te man Mit­leid mit ihr ha­ben, weil sie so gänz­lich ver­las­sen ist; aber solch eine scheuß­li­che klei­ne Krö­te kann ei­nem doch un­mög­lich Er­bar­men ein­flö­ßen.«

      »Nein, nicht viel«, stimm­te Bes­sie ihr bei, »auf je­den Fall wür­de eine so präch­ti­ge Schön­heit wie Miss Ge­or­gia­na in ei­ner sol­chen Lage viel rüh­ren­der sein.«

      »Ja, ja, ich bete Miss Ge­or­gia­na an!« rief die be­geis­ter­te Ab­bot. »Der klei­ne süße Lieb­ling! – Mit ih­ren lan­gen Lo­cken und blau­en Au­gen, und den sü­ßen, lieb­li­chen Far­ben, ge­ra­de als ob sie an­ge­malt wäre! – Bes­sie, ich hät­te wahr­haf­tig Ap­pe­tit auf einen ge­rös­te­ten Käse zum Abend­brot.«

      »Ich auch, ich auch – mit ge­schmor­ten Zwie­beln. Kom­men Sie, wir wol­len hin­un­ter ge­hen.«

      Und sie gin­gen.

      1 Guy Fawkes, ge­bo­ren 1570, Haupt der Pul­ver­ver­schwö­rung in Lon­don, 1605 hin­ge­rich­tet. <<<

      Aus mei­ner Un­ter­re­dung mit Mr. Lloyd und der so­eben wie­der­hol­ten Kon­fe­renz zwi­schen Ab­bot und Bes­sie schöpf­te ich Hoff­nung ge­nug, um den Wunsch nach Ge­ne­sung zu he­gen; eine Ver­än­de­rung schi­en be­vor­ste­hend – ich wünsch­te und war­te­te im Stil­len. Die Sa­che ver­zö­ger­te sich in­des­sen. Tage und Wo­chen ver­gin­gen; mein Ge­sund­heits­zu­stand war wie­der ein nor­ma­ler, aber ich ver­nahm kei­ne An­spie­lung mehr auf den Ge­gen­stand, über wel­chen ich brü­te­te. Oft be­trach­te­te Mrs. Reed mich mit stren­gen, fins­te­ren Bli­cken, aber nur sel­ten sprach sie zu mir. Seit mei­ner Krank­heit hat­te sie eine schär­fe­re Grenz­li­nie denn

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