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hat­te sie es auch ge­tan; aber wie soll­te sie denn auch in Wirk­lich­keit für einen Ein­dring­ling Lie­be he­gen, der nicht zu ih­rer Fa­mi­lie ge­hör­te und nach dem Tode ih­res Gat­ten durch kei­ne Ban­de mehr an sie ge­ket­tet war? Es muss­te al­ler­dings är­ger­lich sein, sich durch ein un­ter sol­chen Um­stän­den ge­ge­be­nes Ver­spre­chen ge­nö­tigt zu se­hen, ei­nem frem­den Kin­de, das sie nicht lie­ben konn­te, die El­tern zu er­set­zen, und es er­tra­gen zu müs­sen, dass eine un­sym­pa­thi­sche Frem­de sich un­auf­hör­lich in ih­ren Fa­mi­li­en­kreis dräng­te.

      Eine son­der­ba­re Idee be­mäch­tig­te sich mei­ner. Ich zwei­fel­te nicht – hat­te es nie­mals be­zwei­felt – dass Mr. Reed, wenn er am Le­ben ge­blie­ben, mich mit Güte be­han­delt ha­ben wür­de; und jetzt, als ich so da­saß und auf die dunklen Wän­de und das wei­ße Bett blick­te, zu­wei­len auch wie ge­bannt ein Auge auf den trü­be blin­ken­den Spie­gel warf – da be­gann ich mich an das zu er­in­nern, was ich von To­ten ge­hört hat­te, die im Gra­be kei­ne Ruhe fin­den konn­ten, weil man ihre letz­ten Wün­sche un­er­füllt ge­las­sen, und jetzt auf die Erde zu­rück­kehr­ten, um die Mein­ei­di­gen zu stra­fen und die Be­drück­ten zu rä­chen; ich dach­te, wie Mr. Reeds Geist, ge­quält durch das Un­recht, wel­ches man dem Kin­de sei­ner Schwes­ter zu­füg­te, sei­ne Ru­he­stät­te ver­ließ – ent­we­der in dem Ge­wöl­be der Kir­che oder in dem un­be­kann­ten Lan­de der Ab­ge­schie­de­nen – und in die­sem Zim­mer vor mir er­schei­nen kön­ne. Ich trock­ne­te mei­ne Trä­nen und un­ter­drück­te mein Schluch­zen; denn ich fürch­te­te, dass die­se lau­ten Äu­ße­run­gen mei­nes Grams eine über­na­tür­li­che Stim­me zu mei­nem Tros­te er­we­cken oder aus dem mich um­ge­ben­den Dun­kel ein Ant­litz mit ei­nem Hei­li­gen­schein her­vor­leuch­ten las­sen kön­ne, das sich mit wun­der­sa­mem Mit­leid über mich beug­te. Die­ser Ge­dan­ke, der in der Theo­rie viel­leicht ganz trost­reich, wür­de ent­setz­lich sein, wenn er zur Wirk­lich­keit wer­den könn­te, das fühl­te ich: mit al­ler Ge­walt ver­such­te ich, ihn zu un­ter­drücken – ich be­müh­te mich, ru­hig und ge­fasst zu sein. In­dem ich mir das Haar von Stirn und Au­gen strich, er­hob ich den Kopf und ver­such­te in dem dunklen Zim­mer um­her zu bli­cken: in die­sem Au­gen­blick sah ich den Wie­der­schein ei­nes Lich­tes an der Wand! – War es viel­leicht der Mon­dess­trahl, der durch eine Öff­nung in dem Vor­hang drang, frag­te ich mich? Nein, die Mon­dess­trah­len wa­ren ru­hig und dies Licht be­weg­te sich; wäh­rend ich noch hin­blick­te, glitt es zur De­cke hin­auf und er­zit­ter­te über mei­nem Kop­fe. Jetzt kann ich frei­lich be­grei­fen, dass die­ser Licht­strei­fen al­ler Wahr­schein­lich­keit nach der Schim­mer ei­ner La­ter­ne war, wel­che je­mand über den frei­en Platz vor dem Hau­se trug; aber da­mals, mit dem auf Schre­cken und Ent­set­zen vor­be­rei­te­ten Ge­müt, mit mei­nen vor Auf­re­gung be­ben­den Ner­ven, hielt ich den sich schnell be­we­gen­den Strahl für den He­rold ei­ner Er­schei­nung, die aus ei­ner an­de­ren Welt zu mir kam. Mein Herz poch­te laut, mein Kopf wur­de heiß; in mei­nen Ohren spür­te ich ein Brau­sen, das ich für das Rau­schen der Flü­gel hielt; ein Et­was schi­en sich mir zu nä­hern; ich fühl­te mich be­drückt, er­stickt; mein Wi­der­stands­ver­mö­gen gab nach; ich stürz­te auf die Tür zu und rüt­tel­te mit ver­zwei­fel­ter An­stren­gung am Schlos­se. Ei­len­de Schrit­te ka­men durch den äu­ße­ren Kor­ri­dor da­her; der Schlüs­sel wur­de im Schlos­se um­ge­dreht, Bes­sie und Miss Ab­bot tra­ten ein.

      »Miss Eyre, sind Sie krank?« frag­te Bes­sie.

      »Welch ein fürch­ter­li­cher Lärm! Ich bin ganz au­ßer mir!« rief Ab­bot aus.

      »Nehmt mich mit hin­aus! Lasst mich in die Kin­der­stu­be ge­hen!« schrie ich un­un­ter­bro­chen.

      »Wes­halb denn? Ist Ih­nen ir­gend et­was ge­sche­hen? Ha­ben Sie et­was ge­se­hen?« frag­te Bes­sie wie­der­um.

      »O, ich sah ein Licht und ich mein­te, dass ein Geist kom­men wür­de.« Ich hat­te mich jetzt Bes­sies Hand be­mäch­tigt, und sie ent­wand sie mir nicht.

      »Sie hat mit Ab­sicht so ge­schri­en«, er­klär­te Ab­bot mit ei­ni­gem Ab­scheu. »Und welch ein Ge­schrei! Wenn sie große Schmer­zen ge­habt hät­te, so könn­te man es noch ent­schul­di­gen, aber sie woll­te wei­ter nichts, als uns alle her­bei­lo­cken. Ich ken­ne ihre bö­sen Strei­che schon.«

      »Was gibt es denn hier?« frag­te eine an­de­re Stim­me ge­bie­te­risch; und Mrs. Reed kam mit flat­tern­den Hau­ben­bän­dern und we­hen­dem Klei­de durch den Kor­ri­dor da­her. »Ab­bot und Bes­sie, ich glau­be, dass ich Be­fehl ge­ge­ben habe, Jane Eyre in dem ro­ten Zim­mer zu las­sen, bis ich selbst sie ho­len wür­de?«

      »Miss Jane schrie so laut, Ma­da­me«, wand­te Bes­sie zö­gernd ein.

      »Lasst sie los«, war die ein­zi­ge Ant­wort. »Lass Bes­sies Hand los, Kind: ver­lass dich dar­auf, auf die­se Wei­se wirst du nicht hin­aus ge­lan­gen. Ich ver­ab­scheue sol­che List, be­son­ders bei Kin­dern; es ist mei­ne Pf­licht, dir zu be­wei­sen, dass du mit der­ar­ti­gen Rän­ken und Sch­li­chen nicht weit kommst. Jetzt wirst du noch eine gan­ze Stun­de hier­blei­ben, und auch dann gebe ich dich nur frei, wenn du mir das Ver­spre­chen gibst, voll­kom­men ru­hig und un­ter­wür­fig zu sein.«

      »O, Tan­te, hab Er­bar­men! Ver­gib mir doch! Ich kann, ich kann es nicht er­tra­gen. – Be­stra­fe mich doch auf an­de­re Wei­se! Ich kom­me um, wenn …«

      »Sei still! Die­se Hef­tig­keit ist ganz wi­der­lich und em­pö­rend!« und ohne Zwei­fel heg­te sie auch Ab­scheu ge­gen mein Be­tra­gen. In ih­ren Au­gen war ich eine früh­rei­fe Schau­spie­le­rin; sie sah in der Tat auf mich wie auf eine Zu­sam­men­set­zung der hef­tigs­ten Lei­den­schaf­ten, ei­nes nied­ri­gen, ge­mei­nen Geis­tes und ge­fähr­li­cher Falsch­heit.

      Als Bes­sie und Ab­bot sich zu­rück­ge­zo­gen hat­ten, warf Mrs. Reed, die mei­ner wil­den Angst und mei­nes lau­ten Schluch­zens wohl müde ge­wor­den sein moch­te, mich rasch in das Zim­mer zu­rück und schloss mich ohne wei­te­re Er­klä­run­gen und Wor­te wie­der ein. Ich hör­te noch, wie sie da­von rausch­te; und bald nach­dem sie ge­gan­gen war, muss ich in Krämp­fe ver­fal­len sein: Be­wusst­lo­sig­keit mach­te der Sze­ne ein Ende!

      Dann er­in­ner­te ich mich an nichts mehr. Als ich er­wach­te, war es mit dem Ge­fühl ei­nes schreck­li­chen Alp­drückens, vor mir sah ich eine un­heim­li­che rote Glut, von der sich di­cke, schwar­ze Stan­gen ab­ho­ben. Ich hör­te Stim­men, die hohl an mein Ohr klan­gen, als wür­den sie durch das Rau­schen des Was­sers oder To­ben des Win­des über­tönt. Auf­re­gung, Un­ge­wiss­heit und ein al­les be­herr­schen­des Ge­fühl des Ent­set­zens hielt alle mei­ne Sin­ne ge­fan­gen. Es ver­gin­gen nur we­ni­ge Au­gen­bli­cke, und dann ge­wahr­te ich, dass je­mand mich be­rühr­te, mich auf­hob und mich in eine sit­zen­de Stel­lung brach­te, und zwar viel zärt­li­cher und sorg­sa­mer, als mich bis jetzt ir­gend­je­mand ge­stützt oder em­por­ge­ho­ben hat­te. Ich lehn­te mei­nen Kopf ge­gen einen Arm oder ein Pols­ter und fühl­te mich un­end­lich wohl.

      Noch fünf Mi­nu­ten und die Wol­ken der Be­wusst­lo­sig­keit be­gan­nen zu schwin­den. Jetzt wuss­te ich sehr wohl, dass ich in mei­nem ei­ge­nen Bet­te lag, und dass die rote Glut nichts an­de­res war, als das Feu­er im Ka­min der Kin­der­stu­be. Es war Nacht, eine Ker­ze brann­te auf dem Ti­sche; Bes­sie stand am Fu­ßen­de

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