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uns nicht erdrücken lassen.«

      Nadrenko beugte wie zustimmend den Kopf.

      »Gnädiges Fräulein, das ist ein schlechtes Thema zwischen uns. Ich wollte nur die gewaltigen Truppenmassen meines Vaterlandes betonen.«

      »Und wir wollen nicht die Chancen eines Krieges zweier befreundeter Reiche erörtern«, warf Hanna ein.

      »Ich danke Ihnen, gnädiges Fräulein, für diesen Ordnungsruf«, erwiderte Nadrenko, indem er seine stahlgrauen Augen mit einem aufleuchtenden Blick auf Hanna richtete. »Ich habe gar keine Veranlassung, für mein Vaterland so warm einzutreten, weil ich hier bei Ihnen in Deutschland Schutz gesucht habe.«

      »Ach, weshalb denn?« fragte Hanna.

      »Weil mich mein Vaterland sehr schlecht behandelt hat. Ich hatte durch den Krieg die Lust an meinem Beruf verloren und benutzte eine ziemlich leichte Verwundung, um meinen Abschied zu erbitten. Ich wollte dann studieren und ging nach Kiew an die Universität, um mir als Jurist die nötigen Vorkenntnisse für die höhere Verwaltungskarriere anzueignen, der auch mein Vater angehört.«

      Der kleinen Grete schienen die Lebensschicksale des Herrn Nadrenko so wenig interessant zu sein, dass sie aufstand und ans Fenster ging. In demselben Augenblick rief sie auch schon aus:

      »Die Fohlen kommen von der Koppel rein.«

      Sie sprang zum Tisch zurück und griff in die Zuckerdose.

      »Christel, darf ich? Komm’ mit, Heta! Willst ’mal sehen, wie der Peter mir gehorcht? Er kommt in der Koppel auf mich zu und küsst mich, wenn ich an den Zaun komme.«

      Mit einer kurzen Verbeugung gegen Herrn Nadrenko stand Hedwig auf und ging mit der Schwester hinaus.

      »Ich darf den beiden Damen jetzt wohl mit der Bitte um Diskretion verraten, dass Nadrenko nur ein angenommener Name ist, ich heiße in Wirklichkeit Wladimir Georgewitsch Graf Tolpiga.«

      »Ah, Herr Graf«, rief Hanna überrascht aus.

      Christel schien für die Bedeutung dieser Enthüllung kein rechtes Verständnis zu besitzen, sie lächelte nur.

      »Ich bitte, diese Mitteilung, die ich bereits Ihrem Herrn Vater gemacht habe, durchaus diskret zu behandeln, meine Damen«, fuhr Nadrenko ruhig fort, »ich bin nicht sicher, dass sich nicht unter meinen Leuten ein Verräter, ein Spion der russischen Regierung befindet.«

      »Sie sind ein Graf und kommen als Anführer russischer Erntearbeiter hier nach Deutschland?« fragte Christel mit einem leisen Zweifel in der Stimme.

      »Jawohl, mein gnädiges Fräulein«, erwiderte Nadrenko, »das ist eine bittere Notwendigkeit. Ich war zwei Jahre bei einem deutschen Herrn, der an der Mündung des Don große Güter besitzt, als Inspektor tätig. Da fügte es der Zufall, dass unter den neuen Arbeitern, die wir im Frühjahr erhielten, sich ein Mann befindet, der bei meiner Schwadron gestanden hat. Er stürzt auf mich zu, küsst mir die Hände und ruft meinen richtigen Namen. Die Leute, die herumstehen, sehen mich erstaunt an … ‘Der Herr Mischka’, so nannte ich mich damals, ‘ist ein Graf?’ Noch an demselben Abend fuhr ich ab, um mich in Sicherheit zu bringen, denn ich konnte mit Gewissheit annehmen, dass sich in der Nacht mehrere zu der glücklicherweise ziemlich entfernt liegenden Polizeistation aufmachen würden, um dort zu berichten, dass in Tworki ein Inspektor lebe, der sich nur Mischka nenne, in Wirklichkeit aber ein Graf Tolpiga sei. Für solche Nachrichten bekommt man in Russland eine Belohnung…«

      »Was haben Sie denn eigentlich verbrochen, dass Sie von der Polizei verfolgt werden?« fragte Christel.

      »Verbrochen? In Russland genügt ein Verdacht, um verhaftet und nach Sibirien gebracht zu werden.

      Ich war in Kiew in die Kreise der jungrussischen Bewegung geraten, die ich nicht mit den sogenannten Nihilisten zu verwechseln bitte. Sie erstreben nichts weiter als eine Wiedergeburt des Vaterlandes unter Mitwirkung einer Volksvertretung. Die jugendliche Begeisterung dieser Kreise zog mich an, obwohl ich durchaus nicht auf dem Boden dieser Bewegung stand. Aber Sie müssen sich vorstellen, dass es auf den russischen Universitäten, wenn man eine geistige Anregung von gleichaltrigen Kommilitonen haben will, keine andere Wahl gibt, als sich einer der beiden großen Bewegungen anzuschließen. Die eine, weitaus größere, ist durchweg von anarchistischen Ideen beherrscht, und ich kann verstehen, dass sie von der Regierung mit der größten Rücksichtslosigkeit verfolgt wird, denn die jugendlichen Schwärmer wollen alles, was staatliche Ordnung heißt, von Grund auf zerstören.«

      »Ah, wie interessant!« warf Hanna dazwischen.

      »Ja, sehr interessant, mein gnädiges Fräulein, aber auch sehr gefährlich. Von diesen Kreisen habe ich mich aus vollster Überzeugung ferngehalten. Die anderen, mit denen ich durch Zufall in Berührung kam, scheinen aber der Regierung noch gefährlicher zu sein, denn eines Nachts wurde der ganze Zirkel, in dem ich verkehrte, von der Polizei aufgehoben. Mein Vater, dem ein guter Freund einen Wink gegeben hatte, hielt mich unter einem Vorwand zu Hause zurück, und um Mitternacht war ich bereits auf einer Troika unterwegs, um weit im fernen Osten als einfacher Mischka unterzutauchen.«

      »Sie sagten doch, Russland wäre so ungeheuer groß«, meinte Christel trocken.

      »Jawohl, aber nicht für die Polizei. Vom Don fuhr ich nach Kiew, suchte nachts heimlich mein Vaterhaus auf, versah mich mit Geld und fuhr an die Westgrenze, wo ich mir mit falschem Pass als Anführer eines Trupps Erntearbeiter die Flucht nach Deutschland sicherte. Hätte mein Vater nicht so gute Verbindungen, dann wäre mir die Flucht nicht gelungen, denn der Direktor der Kammer an der Grenze hatte mich erkannt und sagte es mir, als ich ihm meinen falschen Pass vorlegte. Nun lebe ich hier wie der Vogel in der Luft…«

      Seine Stimme bekam einen harten Ton…

      »Wenn meine Leute nach Hause zurückkehren, muss ich hierbleiben, ich hoffe auf die gütige Fürsprache Ihres Herrn Vaters. Vielleicht wird mir gestattet, im nächsten Winter eine deutsche Universität zu besuchen. Ich möchte mir einen neuen Beruf erobern. Jura weiter zu studieren, hat doch für mich keinen Zweck. Ich würde anfangen, Medizin zu studieren, um mich als Arzt in irgendeinem Kulturstaat betätigen zu können.«

      Nach einer Pause fuhr er mit weicher Stimme fort:

      »Ich habe in den Kreisen, in denen ich aufgewachsen bin, Ihr Vaterland nicht lieben gelernt … Es ist viel Hass gegen Sie in Russland, und am meisten in den Kreisen der Intellektuellen. Wahrscheinlich aus dem Gefühl heraus, dass Sie uns überlegen sind … Ich achte Ihr Vaterland … Dass ich es schon liebe, können Sie von mir nicht verlangen, aber ich fühle bereits, dass ich es einmal lieben werde…«

      Mit einer plötzlichen Aufwallung streckte Hanna ihm über den Tisch die Hand entgegen. Er sprang auf und küsste ihr die Hand.

      »Herr Graf, es ist wohl nicht mehr nötig«, sagte Hanna mit einem leichten Beben in der Stimme, »dass wir meinen Vater mit dieser Ungelegenheit behelligen. Ich werde Herrn Brinkmann benachrichtigen, dass er keine Befugnis hat, Ihre Tätigkeit zu überwachen und Ihnen Befehle zu geben.«

      Nadrenko klappte die Hacken zusammen und verbeugte sich. Mit der theatralischen Gebärde, die allen Slawen eigentümlich ist, legte er dabei die rechte Hand aufs Herz.

      »Tausend Dank, meine Damen … Ihr Herr Vater wird mit mir zufrieden sein. Empfehle mich gehorsamst…«

      6. Kapitel

      Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, als Christel mit einem zornigen Blick sich vor ihre Schwester stellte.

      »Aber Hanna, wie kannst du bloß den alten Mann so kranken, der ein Menschenalter in unseren Diensten gestanden hat?«

      »Du meinst Herrn Brinkmann«, erwiderte Hanna kühl. »Weißt du denn nicht, dass er gekündigt hat und wie eine Ratte das Schiff verlassen will, das ihm nicht mehr sicher genug erscheint?«

      »Gekündigt, Brinkmann hat gekündigt?«

      Kopfschüttelnd drehte Christel sich um und ging zum nächsten Stuhl, um sich zu setzen.

      »Hältst du das für ein so großes Unglück, Schwesterchen? Ich finde, dass der Mann stumpf

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