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tiefer und moralischer ihr Gefühl war, als euer Zorn und eure Entrüstung. Ihrem einfachen und unverfälschten Wesen gegenüber, den schlichten Worten, die ihr Herz als Antwort auf alle eure spitzfindigen Reden fand, wirktet ihr in eurer Gespreiztheit und mit euren gesellschaftlichen Phrasen, verzeiht, possenhaft. Aller Schmutz, den ihr, da euer so erprobtes System bei Aenne nicht zum Ziele führte, in eurer gekränkten Eigenliebe auf sie abzuladen suchtet, glitt von diesem reinen Kinde, das nichts wußte und nichts wollte, das nur liebte und geliebt sein wollte, ab wie von einer Heiligen. Ich übertreibe nicht und die Zeit hat ihr Bild nicht verklärt – aber nie in meinem langen Leben habe ich die Gegensätze und gesellschaftliche Lüge stärker empfunden als in jenen peinlichen Stunden, da ihr über diese Aenne zu Gericht saßt, und ihre reine Liebe trotz aller Liebesnächte über eure anempfundene Moral und künstliche Erregung triumphierte.«

      »Aber Mama,« sagte Hilde mit einem ängstlichen Blick auf den Landrat.

      »Laß nur, mein Kind,« erwiderte Frau Julie, »wir alle spielen ja das ganze Leben über Komödie. Einmal dürft ihr euch von eurer alten Mutter schon die Wahrheit sagen lassen. Wenn der armen Aenne auch nicht mehr damit geholfen ist, so sollt ihr wenigstens mit Scham und Reue und Achtung an sie denken.«

      Der Landrat verzog den Mund, glitt lässig in den ledernen Fauteuil zurück, zog mit großer Nachlässigkeit erst sein goldenes Zigaretten-Etui, dann sein goldenes Gehänge aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette an. Frau Julie aber sah an dem Ausdruck seines Gesichts, wie erkünstelt seine Ruhe war.

      »Ihr empfandet es ja denn auch als das, was es war,« fuhr Frau Julie fort, »als eine moralische Niederlage, die euch um so schwerer traf, als ihr auf seiten eures Gegners alles vorausgesetzt hattet, nur keine Moral. Auf Wut, Niedertracht, Geldgier, auf alles das wart ihr gefaßt! Denn über diese Mittel verfügtet auch ihr und konntet sie daher mit der Art nach gleichen, an Wirkung aber zehnfach, hundertfach stärkeren Waffen niederkämpfen. Nur über Moral verfügtet ihr nicht! Ich will euch nicht zu nahe treten, gesellschaftliche Moral, gewiß, die besaßet ihr! Darin übertrifft euch niemand! Aber die reine Moral, die unbewußte, die von Gott kommt, davon habt ihr in euren Kindertagen vielleicht einmal einen Hauch gespürt. Nun, da sie in dieser Aenne wieder vor euch hintrat, wart ihr entwaffnet. Und in dieser Bedrängnis – und darin liegt denn auch die einzige Entschuldigung für euch! – wuchs eure Wut ins Ungeheure und ihr verhundertfachtet eure Niedertracht, um das arme Geschöpf zu Tode zu hetzen. Ihr ließt ihr suggerieren, Peter sei ihr untreu geworden, habe sie aufgegeben. Ihr Glaube erwies sich stärker als eure Lüge! Ihr ließt ihr nachstellen, suchtet auf raffinierteste Weise sie zu Fall zu bringen. Auch das gelang nicht. Jetzt hetztet ihr den Vater gegen sein Kind. Damit hattet ihr mehr Glück. Dieser einfache Mann war leicht zu verwirren. Von dem Glauben an einen verbotenen Umgang mit Peter, den ihr ihm wie ein Gift beibrachtet, bis zu der falschen Vorstellung, daß sein Kind eine Dirne sei, war nur ein Schritt. Er warf Aenne aus dem Haus. Aber die Mutter, die zu ihrem Kinde hielt, ging mit. So war es für euch nur ein halber Triumph. Was tatet ihr nun? Ihr stecktet euch hinter die Mutter. Und als die, die das Herz ihrer Tochter kannte, sie zu keinem Verzicht auf Peter bringen wollte, da triebt ihr die Aenne auf infame Weise aus ihrer Stellung und sorgtet dafür, daß sie auch anderswo nirgends mehr ankam. Ihr glaubtet: was Gewalt nicht erreicht, erzwingt am Ende der Hunger. Aber mehr als der Hunger fraßen an der Alten die Sorge um ihr Kind und die Sehnsucht nach ihrem Mann. Es dauerte nicht lange, da setzte eines Tages das gequälte Herz aus. Jetzt schwankte Aenne wohl, die sich für den Tod der Mutter mit verantwortlich fühlte. Aber schließlich erwies sich doch wieder die Liebe zu Peter als stärker. Ein um das andere Mal wiederholte sie: ›Ein Wort von Peter, daß sein Gefühl für mich die geringste Aenderung erfuhr – und ich trete zurück, ohne daß jemand ein Wort zu verlieren braucht‹. – Da setztet ihr die famose Verlobung mit Margot Rosen in Szene, und um sie dem standhaften Peter mundgerecht zu machen, verdächtigtet ihr Aenne. Margot Rosen saß in Berlin, Peter in Südwest: er kannte sie kaum. Und so sagte er nicht ja, nicht nein; und so verlockend nach der für seine Karriere ja nicht gleichgültigen materiellen Seite hin die Partie war – er machte seine Entscheidung von Aenne abhängig. Da wandtet ihr euch an den verkommenen Baron Seifert, um den ihr sonst in einem weiten Bogen herumgingt, und verspracht ihm Geld und hetztet ihn auf sie. Dieser Hund« – Frau Julie zitterte am ganzen Körper – »nie, solange ich lebe, habe ich solch ein Wort für einen Menschen gebraucht, aber es ist zu gut für ihn, denn dieses verkommene Subjekt« – Frau Julie senkte den Kopf, dämpfte die Stimme und sagte: »Es soll nicht über meine Lippen kommen, was er mit ihr tat. – Zu Tode gehetzt, in ihrer höchsten Not flüchtete sie zu dir, Martin,« wandte sich Frau Julie an den Medizinalrat, »und du tatest, was als Mensch deine Pflicht war – du führtest sie zu mir! Und nun erst erfuhr ich all das, was ich eben geschildert habe. Aber darüber hinaus: ich lernte einen Engel kennen, gütig, klug – aber ohne Kraft mehr zum Leben. – Das hattet ihr aus ihr gemacht! Da schämte ich mich – zum erstenmal in meinem Leben. – Nie empfand ich mehr die Sinnlosigkeit aller gesellschaftlichen Vorurteile. Ich verglich Margot Rosen mit ihr und wußte, wo für meinen Jungen das Glück lag. Ich hatte nur noch ein Gefühl: sie ihm zu erhalten und dafür zu sorgen, daß er an ihr gutmachte, was ihr an ihr gesündigt hattet. Auch ich! Denn wenn ich eure Mittel auch nicht kannte, ich kannte euch! Ich hätte mich darum kümmern müssen. Aber mit soviel Liebe ich sie nun umgab, so heilig ich ihr auch versicherte, daß ich sie als Peters Braut und mein Kind betrachte – sie lächelte nur und schüttelte den Kopf. Und als ich hinausging, um Papier und Feder zu holen und an Peter zu telegraphieren, war sie fort. – Eine halbe Stunde später stand ich in einer kleinen, sauberen Stube vor einer Chaiselongue, fiel in die Knie und küßte die Lippen seiner toten Braut. Ich fühlte in dieser Stunde wie eine Mutter, die ihr Kind verliert. Und als ich ihr die Augen geschlossen hatte und aufstand – ihr wißt, ich bin nicht fromm – da faltete ich die Hände und sagte so laut, daß ich vor mir selbst erschrak: Gott gib, daß wir die Schande überleben.«

      Alle starrten Frau Julie an und schwiegen. Sie richtete sich hoch auf und sagte:

      »Nun, mein Gebet hat sich erfüllt! Wir haben die Schande überlebt! Aber wenn ihr euch noch so hochmütig gebärdet, vergeßt nie, daß wir allesamt schuldig und Verbrecher sind.«

      Sie winkte ihrem Bruder, dem Medizinalrat. Er ging auf sie zu und reichte ihr den Arm. An der Tür wandte sie sich um und sagte:

      »Das also soll das letztemal gewesen sein! Und nun gute Nacht, Kinder! Ich bin müde.« – Sie bewegte leicht den Kopf, sagte noch einmal »gute Nacht« und ging aus dem Zimmer.

      »Gute Nacht, Mama!« sagten gedämpft ein paar Stimmen, als sie am Arme des Medizinalrates durch die Tür schritt.

      II

      Als Frau Julie draußen war, herrschte zunächst Totenstille. Der Landrat zündete sich wieder eine Zigarette an und sah, als er das Streichholz löschte und auf den Tisch legte, unabsichtlich seinem Onkel, dem Justizrat, ins Gesicht. Schnell zog er das Etui noch einmal aus der Tasche, reichte es über den Tisch und sagte:

      »Bitte!«

      Der Justizrat lehnte ab; der Landrat verzog das Gesicht und glitt in den Sessel zurück.

      Nach einer Weile fragte Ilse von Zobel:

      »Was soll nun werden?«

      »Das hast du ja eben gehört,« erwiderte der Landrat, und Baron Zobel bestätigte:

      »Deutlich genug war ja eure Mama.«

      »In manchem hat sie recht,« erklärte Hilde, und Ilse nickte mit dem Kopf und sagte:

      »Die arme Mama!«

      Der Justizrat sah nach der Uhr und stellte fest:

      »Es ist halb acht,« worauf auch Zobel und der Landrat ihre Uhren zogen und sagten:

      »Wahrhaftig!«

      Der Justizrat stand auf, knöpfte seinen Rock zu, dachte einen Augenblick nach und sagte:

      »Falls ihr mich braucht, ich bin zu Hause.«

      Er gab allen die Hand und ging. Als er draußen war, sagte Zobel:

      »Wollen wir nicht auch gehen?«

      »Na und?« fragte Ilse und sah ihn an.

      »Das

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