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es nicht! Denn mit mir ist Gott! Du Höllenhund!«

      Dann sank er wieder in sich zusammen, schloß die Augen und schlief ein.

      Einer der Kameraden, ein Arzt, setzte sich zu ihm.

      »Ist er wahnsinnig?« fragte der blonde Husar.

      »Das möchte ich nicht unbedingt bejahen,« erwiderte der. »Die gewaltige Reaktion! Bei uns löst sie Glück und Freude aus. Bei ihm das Gegenteil!«

      »Er hat auch mehr als wir gelitten,« sagte ein andrer.

      »Gewiß! Von denen, die da unten in Gefangenschaft waren, ist wohl keiner geistig ganz intakt geblieben.«

      »Er ist noch am Tage, bevor er aus Dahomey fort kam, von Castelli mit dem Ochsenziemer geschlagen und unter Würgen mit Faustschlägen ins Gesicht und auf den Kopf mißhandelt worden.«

      »Das liegt doch aber Monate zurück,« sagte der blonde Husar.

      »Gewiß,« erwiderte der Arzt, »so weit haben sie ihn für den Austausch in dem Lazarett schon hergerichtet, daß die äußeren Merkmale so ziemlich verschwunden sind. Darin sind sie als Volk, das auf Kultur hält, äußerst gewissenhaft! Aber was sich da innen festgesetzt hat – ob das je verschwindet, ist mir doch zweifelhaft. Zumal bei einem so empfindsamen Menschen wie es Reinhart ist.«

      »Die arme Mutter!« klagte der blonde Husar.

      »Ist es ihr Einziger?« fragte der Arzt und Kamerad.

      »Ihr Einziger und ihr Alles.«

      »Hoffen wir, daß er in anderer Umgebung und sachgemäßer Behandlung gesundet.«

      »Als was würden Sie seine Krankheit bezeichnen?« fragte, immer flüsternd, der blonde Husar.

      Der Arzt zog die Schultern hoch.

      »Dafür gibt es noch keinen Namen. Es ist das Verdienst der Franzosen, die Welt um diese Krankheit bereichert zu haben. Tausende leiden darunter. Man sollte sie ›die französische Krankheit‹ nennen. Das Krankheitssystem ist allemal das gleiche: die verprügelte Seele!«

      Der blonde Husar nickte zustimmend mit dem Kopf und sagte:

      »Das ist eine treffende Bezeichnung. Gut, daß die meisten Menschen wenig Seele haben und die Behandlung nur körperlich empfinden.«

      »Gewiß ist das gut,« stimmte der Arzt bei.

      »Gibt es auch unter denen, die aus englischer Gefangenschaft kommen, viele derart Kranke?« fragte der blonde Husar.

      »Nein! – Nur hier und da mal ein Fall, genau wie es natürlich auch in Deutschland vereinzelt solche Fälle gibt. – Es gibt eben überall rohe und feige Menschen, die ihr Mütchen an wehrlosen Gefangenen kühlen. Aber der Ruhm, die geistige und seelische Mißhandlung wehrloser Menschen sozusagen von Staats wegen zum System erhoben zu haben, gebührt den Franzosen.«

      Obgleich sie leise sprachen und die lauten Stimmen der andern sie übertönten, schien es dem blonden Husaren doch, als ob Peter, der ihm gegenüber saß, ihrer Unterhaltung folgte.

      Peter sah sie an, wieder mit jenem wehleidigen Lächeln, schüttelte den Kopf und sagte:

      »Nein!«

      »Sie glauben es nicht?« fragte der Arzt, nur um etwas zu erwidern.

      »Der Mensch und die Bestie!« sagte Peter. »Darin liegt alles! Das Tier in sich überwinden. Den Satan austreiben. Gott ähnlich werden. Darauf kommt alles an.«

      »Da hast du völlig recht,« sagte der blonde Husar und war erstaunt über die klare Rede.

      »Allein das Bibellesen macht es nicht,« fuhr Peter fort. »In die eignen Tiefen steigen. In seiner Seele lesen, darin Gottes Wort steht: Ueberwinde!«

      »Was?« fragte der blonde Husar.

      »Das Tier, das in uns allen steckt, überwinden, um Mensch zu werden.«

      »Sie haben ganz recht, Reinhart,« sagte der Arzt. »Wenn alle es schon überwunden hätten, wenn es nicht, zurückgedrängt und verborgen, doch noch in uns allen steckte in irgendeiner Form, das Furchtbare, was wir jetzt erleben, wäre unmöglich!«

      »Ob der Mensch es überhaupt überwinden kann?« fragte der blonde Husar.

      Peter sah ihn groß an und sagte laut und bestimmt:

      »Ja! – Komm mit mir zurück, Lux! Lerne es!«

      »Wo?« fragte der.

      »Unten! In Dahomey! In dem Gefangenenlager! Komm mit mir, Lux!« sagte er bittend.

      »Du hast doch nicht etwa im Ernste den Gedanken, in diese Hölle zurückzukehren?«

      »Ich muß!«

      »Wer treibt dich?«

      »Gott!«

      »Er hat dich daraus erlöst. Versündige dich nicht! Sei ihm dankbar!«

      Peter stand auf und zitternd am ganzen Körper hob er die Hand zum Schwur und gelobte:

      »Ich kehre zurück! – Hörst du’s, Venére? Ich komme! Bestie! Quälgeist! Deine Stunde schlägt! Der Mensch kommt, der von Gott ist. Ich schwör’ es euch, ihr Lieben, daß ich komme und euch erlöse oder mit euch leide!«

      »Sie haben recht,«  sagte der Arzt. »Es ist Ihre Pflicht und die von uns allen, Mittel und Wege zu finden, um diese Unglücklichen zu befreien und ihre Peiniger zur Rechenschaft zu ziehen.«

      »Kommen auch Sie mit mir!« rief Peter und sein Auge strahlte. »Helfen auch Sie mit!«

      »Gewiß! Aber nicht heut und nicht morgen. Denn, nicht wahr, wir wollen die Armen doch erlösen. Und das muß, soll es gelingen, bedacht und gut bedacht sein. Damit, daß wir mit ihnen leiden, ist ihnen nicht geholfen. Aber Sie haben ganz recht. Es muß etwas geschehen, und zwar schnell.« Peter sah ihn groß an und sagte:

      »Nicht jeder darf richten!«

      »Gewiß nicht!« gestand ihm der Arzt zu. »Die zuständige Stelle muß nach Vernehmung glaubwürdiger Zeugen, wie Sie einer sind, die Erlösung der Opfer und die Bestrafung der Schuldigen fordern, und wenn es nötig wird, erzwingen.«

      »Nein!« widersprach Peter. »Wer Uebel vergelten und gerecht richten will, muß an sich selbst das Uebel erfahren haben. Wie sollte er es sonst verstehen und gerecht sein.«

      »Gut! gut!« stimmte der Arzt ihm bei. »Ueber alles das werden wir in Ruhe miteinander reden. Von jetzt an sind wir ja nur noch der Form nach Gefangene und niemand hindert uns mehr, unsere Gedanken auszusprechen. Sie werden sehen, Reinhart, wenn wir erst ein paar Tage weiter sind, dann werden wir ruhiger über alles denken.«

      »Nur nicht denken!« drängte Peter. »Der Gedanke hat das Unglück über die Welt gebracht. Der Gedanke hat das Gefühl verdrängt, der erste Gedanke war die Lüge.« Er wandte sich vom Fenster ab, durch das die Sonne schien, führte die Hände vors Gesicht und sagte: »Wenn doch der Tag nicht wäre!«

      »Ja, aber Reinhart, wie stellst du dir das denn vor?« Der Arzt gab dem blonden Husaren ein Zeichen, nicht weiter in Peter zu dringen, der ganz deutlich wieder Zeichen starker Erregung zeigte.

      »Nichts stelle ich mir vor! Ich will nicht! Die Vorstellung ist die Ursache alles Uebels! Oder seht ihr denn noch immer nicht, was ihr damit angerichtet habt? Dank eurer falschen Vorstellungen und eurer Verstandesarbeit, auf die ihr euch soviel zugute haltet, ist ganz Europa heute ein Blutfetzen. Setzt endlich das Gefühl an die Stelle des Verstandes und ihr werdet morgen den ewigen Frieden haben!«

      »Hören Sie, Doktor,« sagte der blonde Husar strahlend, »hören Sie, was Reinhart sagt: Er hat doch ganz recht!« Und in seiner Freude polterte er, ehe der Arzt es hindern konnte, darauflos. »Nicht wahr, Reinhart, du bist gar nicht krank, nur mit den Nerven ein wenig herunter. Gott sei dank! Dich reißen wir wieder hoch!«

      Er sah nicht, wie Peters Gesicht sich wieder veränderte.

      »Nein!« rief der laut. »Ihr reißt mich nicht wieder hoch. Wohin wollt ihr mich reißen? Etwa mit eurem Verstand gegen mein Gefühl angehen? Ich will nicht. Bin ich euch etwa gefolgt? Freiwillig?

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