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Fürst begab sich auf seinen Posten, ohne Neapel zu berühren.

      Die Intelligenz und angeborne Herzensgüte des Fürsten Caramanico, der nun das schöne Land, welches man Sicilien nennt, zu regieren hatte, bewirkten hier sehr bald förmliche Wunder und zwar gerade in dem Augenblick, wo durch den verderblichen Einfluß Actons und Carolinens, nach entgegengesetzter Richtung hin gedrängt, Neapel mit Riesenschritten seinem Verderben entgegenging, wo die Gefängnisse mit den berühmtesten und angesehensten Bürgern sich füllten, wo die Staatsjunta die Wiedereinführung der seit dem Mittelalter abgeschafften Tortur verlangte und die Hinrichtung Emanueles de Deo, Vitalianos und Gaglianis, das heißt dreier Kinder, anbefahl.

      Die Neapolitaner verglichen die Schrecknisse, inmitten deren sie lebten, die über ihren Häuptern schwebenden Proscriptions- und Todesstrafen mit dem Loose der Sicilianer und den schutzgewährenden väterlichen Gesetzen, nach welchen diese regiert wurden. Da sie die Königin nur leise anzuklagen wagten, so klagten sie laut ihren Minister Acton an, maßen Alles der Schuld des Ausländers bei und machten aus ihrem Wunsche, daß ebenso wie Acton früher Caramanico verdrängt, jetzt Caramanico jenen verdrängen möchte, kein Hehl.

      Man sagte noch mehr. Man sagte, daß die Königin in der süßen Erinnerung an ihre erste Liebe den Wunsch der Neapolitaner theile und, wenn sie sich nicht durch falsche Scham abhalten ließe, sich ebenfalls für Caramanico erklären würde.

      Diese Gerüchte gewannen eine Consistenz, welche hätte glauben lassen können, es gäbe in Neapel ein Volk und dieses Volk habe eine Stimme, als eines Tages der Chevalier San Felice von einem Freund einen Brief erhielt, welcher folgendermaßen lautete:

      »Freund!

      »Ich weiß nicht, was mit mir vorgeht. Seit zehn Tagen erbleicht mein Haar und fällt aus; meine Zähne zittern im Zahnfleisch und lösen sich aus ihren Höhlen. Eine unüberwindliche Mattigkeit, eine totale Niedergeschlagenheit hat sich meiner bemächtigt. Mache Dich, sobald Du diesen Brief erhalten hat, auf den Weg nach Sicilien und beeile Dich anzukommen, ehe ich todt bin.

»Dein Giuseppe.«

      Dies geschah gegen das Ende des Jahres 1795. Luisa zählte jetzt neunzehn Jahre und hatte ihren Vater seit vierzehn Jahren nicht gesehen. Sie erinnerte sich seiner Liebe, aber nicht seiner Person. Das Gedächtniß ihres Herzens war treuer gewesen als das ihrer Augen.

      San Felice offenbarte ihr nicht sogleich die ganze Wahrheit. Er sagte ihr blos, ihr Vater, welcher leidend sei, wünsche sie zu sehen.

      Dann eilte er nach dem Hafendamm, um dort eine Ueberfahrtgelegenheit zu suchen.

      Glücklicherweise stand eines jener leichten Fahrzeuge, welche man Speronare nennt, nachdem es Passagiere nach Neapel gebracht, im Begriff leer nach Sicilien zurückzukehren.

      Der Chevalier miethete es auf einen Monat, um wegen der Rückreise ohne Sorgen sein zu können, und reiste noch denselben Tag mit Luisa ab.

      Alles begünstigte diese traurige Reise. Das Wetter war schön, der Wind war günstig. Nach Verlauf von drei Tagen ging man in dem Hafen von Palermo vor Anker.

      Bei dem ersten Schritt, den der Chevalier und Luisa in die Stadt thaten, war es ihnen, als träten sie in eine Todtenstadt.

      Eine Atmosphäre der Trauer lag über den Straßen und ein schwarzer Schleier schien die Stadt einzuhüllen, welche sich selbst »die Glückliche« nennt.

      Eine Prozession versperrte ihnen den Weg. Man trug die Reliquien der heiligen Rosalia nach der Kathedrale zurück.

      Sie kamen vor einer Kirche vorbei. Dieselbe war schwarz ausgeschlagen und man sprach darin das Gebet für die Sterbenden.

      »Was gibt es denn?« fragte der Chevalier einen Mann, der in die Kirche wollte. »Warum zeigen alle Palermitaner so betrübte, verzweifelte Mienen?«

      »Ihr seid wohl kein Sicilaner?« fragte der Mann.

      »Nein, ich bin von Neapel und komme daher.«

      »Unser Vater liegt im Sterben,« sagte der Sicilianer.

      Und da die Kirche so voll war, daß er nicht mehr hineinkonnte, so kniete er auf die äußern Stufen nieder, und rief, indem er sich auf die Brust schlug, laut:

      »Heilige Mutter Gottes, biete mein Leben deinem göttlichen Sohn, wenn das Leben eines armen Fischers wie ich das Leben unseres vielgeliebten Vicekönigs erkaufen kann.«

      »Ha!« rief Luisa, »Hörst Du, mein Freund? Mein Vater ist es, für den man betet! Mein Vater ist es, welcher im Sterben liegt. Eilen wir! eilen wir!«

       Drittes Capitel.

      Vater und Tochter

      Fünf Minuten später stand der Chevalier San Felice und Luisa an der Thür des alten Palastes, welcher am äußerten dem Hafen entgegengesetzten Ende der Stadt sich befindet.

      Der Fürst empfing Niemanden mehr. Bei den ersten Anwandlungen des Uebels hatte er, unter dem Vorwand, daß es Geschäfte zu regulieren gäbe, seine Gemahlin und seine Kinder nach Neapel geschickt.

      Wollte er ihnen das Schauspiel seines Todes ersparen? Wollte er in den Armen der Person sterben, von welcher er sein ganzes Leben hindurch getrennt gewesen? Wenn wir über diesen Punkt noch Zweifel hegen könnten, so würde der von dem Fürsten Caramanico an den Chevalier San Felice gerichtete Brief hinreichen, dieselben zu zerstreuen.

      Der ertheilten Instruction gemäß weigerte man sich, die Ankommenden eintreten zu lassen; kaum aber hatte San Felice sich, kaum hatte er Luisa genannt, so stieß der Kammerdiener einen Freudenruf aus und eilte nach dem Zimmer des Fürsten, indem er rief:

      »Mein Fürst, er ist es! Mein Fürst, sie ist es!«

      Der Fürst, welcher seit drei Tagen sein Sopha nicht verlassen und dem man den Kopf emporrichten mußte, um ihm den beruhigenden Trank einzuflößen, womit man seine Schmerzen zu stillen suchte, richtete sich mit einem Male auf seine Füße empor und sagte:

      »Ha, ich wußte wohl, daß Gott, der mich so schwer geprüft, mir diesen Lohn gewähren und mich die beide noch einmal sehen lassen würde, ehe ich sterbe.«

      Der Fürst öffnete die Arme.

      Der Chevalier und Luisa erschienen an der Thür seines Zimmers.

      An dem Herzen des Sterbenden war nur für Eins von ihnen Platz.

      San Felice drückte Luisa in die Arme ihres Vaters, indem er zu ihr sagte:

      »Geh, mein Kind. Es ist dein Recht.«

      »Mein Vater! mein Vater!« rief Luisa.

      »Ha, wie schön sie ist! • murmelte der Sterbende, »und wie treulich hast Du das Versprechen gehalten, welches Du mir gegeben, Freund meines Herzens!«

      Und während er mit der einen Hand Luisa an seine Brust drückte, reichte er die andere dem Chevalier.

      Luisa und San Felice brachen in Schluchzen aus.

      »O weinet nicht, weinet nicht!«, sagte der Fürst mit unbeschreiblichem Lächeln. »Dieser Tag ist für mich ein Festtag. Bedurfte es nicht eines großen Ereignisses wie das, welches sich erfüllen wird, damit wir uns in dieser Welt noch einmal wiedersähen? Und wer weiß, vielleicht trennt der Tod weniger als die Abwesenheit. Die Abwesenheit ist eine bekannte, erprobte Thatsache, der Tod ist ein Geheimniß. Umarme mich, theures Kind, ja umarme mich zwanzigmal, hundertmal, tausendmal. Umarme mich für jedes der Jahre, für jeden der Tage, für jede der Stunden, welche seit vierzehn Jahren verflossen sind. Wie schön. Du bist! Und wie danke ich Gott, daß er mir erlaubt hat, dein Bild noch in mein Herz zu schließen und es mit mir ins Grab zu nehmen.«

      Und mit einer Energie, deren er sich selbst nicht fähig geglaubt hätte, presste er seine Tochter an seine Brust, als ob er sie wirklich materiell seinem Herzen einverleiben wollte.

      Dann wendete er sich zu dem Kammerdiener, welcher auf die Seite getreten war, um San Felice und Luisa vorbeizulassen, und sagte:

      »Jetzt darf Niemand zu mir, hörst Du, Giovanni? Nicht einmal der Arzt, nicht einmal der Priester. Nur der Tod hat jetzt das Recht einzutreten.«

      Der

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