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besteht es?«

      »Ich lebe allein, ohne Familie, beinahe ohne Freunde. Ich langweile mich niemals, weil es unmöglich ist, daß der Mensch sich langweile, während das große Buch der Natur aufgeschlagen vor seinen Augen liegt. Ich liebe im Allgemeinen Alles. Ich liebe das Gras, welches sich am Morgen unter der Last der Thautropfen wie unter einer allzuschweren Bürde beugt. Ich liebe diese Glühwürmer, welche ich suchte, als Du eintratest. Ich liebe den Käfer mit dem goldenen Flügel, in welchem sich die Sonne spiegelt, meine Bienen, welche mir eine Stadt bauen, meine Ameisen, welche mir eine Republik gründen, aber ich liebe nicht etwas mehr als das andere und ich werde von nichts zärtlich geliebt. Wenn es mir nun erlaubt wäre, deine Tochter hierher zu mir in mein Haus zu nehmen, so würde ich sie, dies fühle ich, mehr als alles Andere lieben und sie würde, sobald sie einsähe, wie sehr ich sie liebe, mich vielleicht auch ein wenig lieben. Die Luft des Pausilippo ist vortrefflich, die Aussicht, die ich von meinen Fenstern aus habe, ist prachtvoll. Deine Tochter hätte hier einen großen Garten, in welchem sie den Schmetterlingen nachlaufen könnte, Blumen, so viel sie deren zu pflücken wünschte, und Orangen, die sie mit dem Munde erreichen könnte. Sie würde heranwachsen wie diese Palme und zugleich die Anmuth und Kraft derselben besitzen. Sag, willst Du, daß dein Kind bei mir wohne, mein Freund?«

      Caramanico betrachtete ihn mit Thränen in den Augen und billigte das, was er sagte, durch eine sanfte Bewegung des Kopfes.

      »Und dann,« fuhr San Felice fort, denn er glaubte, sein Freund sei noch nicht hinreichend überzeugt, »und übrigens hat ein Gelehrter ja nichts zu thun. Ich werde mir es daher zum Vergnügen machen, deine Tochter zu unterrichten; ich werde sie Englisch und Französisch lesen und schreiben lehren. Ich weiß Vielerlei und bin weit unterrichteter, als man glaubt. Es macht mir Vergnügen, Wissenschaften zu treiben, aber es ist mir langweilig davon zu sprechen. Alle diese neapolitanischen Bücherwürmer, alle Akademiker von Herculanum, alle Wühler von Pompeji verstehen mich nicht und sagen, ich sei unwissend, weil ich mich nicht hochtrabender Worte bediene, sondern einfach von den Dingen der Natur und Gottes spreche. Es ist dies aber nicht wahr, Caramanico. Ich weiß wenigstens eben so viel und vielleicht noch mehr als diese Leute, darauf gebe ich Dir mein Ehrenwort. Du antwortet mir nicht, mein Freund?«

      »Nein, ich höre Dich, San Felice; ich höre Dich und bewundere Dich. Du bist das auserwählte Geschöpf Gottes. Ja, Du wirst meine Tochter zu Dir nehmen. Sie wird Dich lieben lernen. Aber Du wirst ihr alle Tage von mir erzählen und sie lehren, daß nächst Dir ich es bin, dem sie auf Erden die meiste Liebe schuldig ist.«

      »O wie gut Du bist!« rief der Chevalier, sich die Thränen trocknend. »Also, nicht wahr, Du sagtest, sie sei in Portici? Wie soll ich das Haus finden? Wie heißt sie? Du hast ihr doch hoffentlich einen hübschen Namen gegeben?«

      »Freund,« sagte der Fürst, »hier ist ihr Name und die Adresse der Frau, in deren Obhut und Pflege sie sich befindet, eben so wie der Befehl an diese Frau, Dich in meiner Abwesenheit als den wirklichen Vater des Kindes zu betrachten. Leb wohl, San Felice,« sagte der Fürst, indem er sich erhob; »sei stolz, mein Freund. Du hast mir das einzige Glück, die einzige Freude, den einzigen Trost bereitet, welchen es mir erlaubt ist noch zu hoffen.«

      Die beiden Freunde umarmten sich wie Kinder und weinten wie Frauen.

      Am nächstfolgenden Tag reiste der Fürst Caramanico nach London ab und die kleine Luisa Molina bezog mit ihrer Wärterin das Haus des Palmbaumes.

       Zweites Capitel.

      Luisa Molina

      Am Morgen des Tages, wo die kleine Luisa Molina die Stadt Portici verlassen sollte, sah man den Chevalier San Felice, welcher diese Mission keinem anderen Menschen anvertrauen wollte als sich selbst, die Runde durch die Spielwaarenläden der Toledostrafe machen und weiße Schafe, alleinlaufende Puppen und bewegliche Gliedermänner einkaufen, so daß Jeder, der die Nutzlosigkeit dieser Gegenstände für den würdigen Gelehrten kannte, glauben konnte, derselbe sei von irgend einem fremden Fürsten beauftragt, für dessen Kinder eine Sammlung von neapolitanischen Spielsachen in ihrer vollständigsten Ausdehnung zu besorgen.

      Wer dies aber geglaubt hätte, würde doch nicht das Richtige getroffen haben, denn alle diese ungewohnten Einkäufe waren zum Zeitvertreib der kleinen Luisa Molina bestimmt.

      Dann schritt man zur häuslichen Einrichtung. Das schönste Zimmer des Hauses, das, welches durch das eine Fenster die Aussicht auf den Golf und durch das andere in den Garten gewährte, ward den neuen Bewohnern überlassen.

      Eine jene allerliebsten kleinen Bettstellen von Messing, welche man in Neapel so zierlich fertigt, ward neben das Bett der Wärterin gestellt und ein Mückennetz, welches unter der Aufsicht und der Angabe des gelehrten Chevalier gefertigt worden und welches die geschicktesten Combinationen der Angreifer vereiteln mußte, über dem Bett als ein durchsichtiges Zelt befestigt, welches die Kleine während des Schlafes vor allen Insektenstichen sicherstellte.

      Einer jener Hirten, welche die Straße von Neapel mit Heerden von Ziegen durchziehen, die sie zuweilen bis in das fünfte Stockwerk der Häuser hinaufbringen, erhielt Befehl, alle Morgen vor der Thür Halt zu machen.

      Man wählte aus seiner Heerde eine weiße Ziege, die schönste von allen, um ihre erste Milch der kleinen Luisa zu geben, und die so auserwählte Ziege erhielt sofort den mythologischen Namen Amalthea.

      Nachdem der Chevalier auf diese Weise für den Zeitvertreib, die Bequemlichkeit und die materielle Ernährung der Kleinen alle nöthig erscheinenden Vorkehrungen getroffen, ließ er einen großen reich gepolsterten Wagen holen und fuhr damit nach Portici.

      Die Uebersiedlung ward ohne irgend welchen Unfall ausgeführt und drei Stunden, nachdem San Felice nach Portici aufgebrochen, kleidete die kleine Luisa, nachdem sie von ihrer neuen Wohnung mit jener Begierde Besitz genommen, welche die Kinder bei einer derartigen Veränderung an den Tag zu legen pflegen, eine Puppe an und aus, die eben so groß war als sie selbst und eine so kostbare und mannigfaltige Garderobe besaß wie die der Madonna des Vescovato.

      Viele Wochen, ja sogar viele Monate lang vergaß der Chevalier alle andern Wunder der Natur, um sich nur mit dem zu beschäftigen, welches er jetzt vor Augen hatte.

      Was ist auch in der That eine Knospe, welche hervorbricht, eine Blume, welche sich öffnet, oder eine Frucht, welche reift, im Vergleich zu einem jungen Gehirn, welches, indem es sich entwickelt, jeden Tag eine neue Idee gebiert und der am Tage vorher geborenen ein wenig mehr Klarheit verleiht?

      Dieser Fortschritt der Intelligenz des Kindes, welcher mit der Ausbildung der Organe gleichen Gang einhält, erweckte in dem Chevalier wohl einige Zweifel in Bezug auf die unsterbliche Seele, welche der Entwickelung der Organe ebenso unterworfen ist, wie die Blume und die Frucht des Baumes von dem Saft abhängen, während im Gegentheil diese selbe Seele, welche man so zu sagen hat geboren werden, groß wachsen und in der Jugend ihre Fähigkeiten erlangen und im reifen Alter dieselben gebrauchen sehen, sie unmerklich aber nichtsdestoweniger sichtbar in demselben Verhältniß verliert, wie diese Organe sich, indem sie alt werden, verhärten und abstumpfen, gerade so wie die Blumen von ihrem Wohlgeruch und die Früchte von ihrem Wohlgeschmack verlieren, wenn ihr Saft vertrocknet.

      Wie alle großen Geister war der Chevalier San Felice von jeher ein wenig Pantheist und sogar psychologischer Pantheist gewesen. Indem er Gott zur Universalseele der Welt machte, betrachtete er die individuelle Seele wie etwas Ueberflüssiges. Dennoch bedauerte er sie, eben so wie er bedauerte, daß er nicht Flügel hatte wie der Vogel.

      Dennoch grollte er nicht mit der Natur, weil sie an dem Menschen diese himmliche Ersparniß geübt.

      Da er sich gezwungen sah, den Glauben an die Fortdauer des Lebens aufzugeben, so flüchtete er sich zu den Umgestaltungen desselben. Die Egypter legten in die Gräber ihrer geliebten Todten einen Käfer. Warum thaten sie das? Weil der Käfer, ebenso wie die Raupe, dreimal stirbt und dreimal wieder geboren wird.

      Sollte Gott in seiner unendlichen Güte für den Menschen weniger thun als für das Insekt? So lautete der Ruf jenes Volkes, dessen zahlreiche Nekropolen ihre in geheiligte Binden gewickelten Leichname bis auf uns bewahrt haben.

      Der Chevalier San Felice stellte sich allerdings

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