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der Abbé, »ein Mord widerstrebt mir.«

      »Und dennoch wird dieser Mord, wenn er begangen ist, durch den Instinkt unserer Selbsterhaltung, durch ein Gefühl persönlicher Verteidigung, vollbracht worden sein.«

      »Gleichviel, ich werde es nicht vermögen.«

      »Sie denken noch daran?«

      »Unablässig, unablässig.« murmelte der Abbé.

      »Und Sie haben ein Mittel erfunden, nicht wahr?»sprach Dantes lebhaft.

      »Ja, wenn man auf die Galerie eine blinde und taube Schildwache bringen könnte.«

      »Sie wird blind, sie wird taub sein,« antwortete der junge Mann mit einem Ausdrucke von Entschlossenheit, der den Abbé in Schrecken setzte.

      »Nein, nein, »rief er, »unmöglich.«

      Dantes wollte ihn bei diesem Gegenstande festhalten; aber der Abbé schüttelte den Kopf und weigerte sich, mehr zu antworten.

      Drei Monate verliefen.

      »Sind Sie stark?« fragte eines Tages der Abbé Dantes.

      Dantes nahm, ohne ein Wort zu erwidern, den Meißel, drehte ihn wie ein Hufeisen und drehte ihn wieder zurück.

      »Würden Sie sich anheischig machen, die Schildwache nur im äußersten Notfalle zu töten?«

      »Ja, bei meiner Ehre.«

      Dann könnten wir unsern Plan ausführen?« sprach der Abbé.

      »Wie viel brauchen wir dazu?«

      »Wenigstens ein Jahr.«

      »Doch wir könnten sogleich an die Arbeit gehen?«

      »Sogleich.«

      »Oh, sehen Sie, wir haben ein Jahr verloren!« rief Dantes.

      »Finden Sie, daß wir es verloren haben?« sprach der Abbé.

      »Ich bitte um Vergebung.« rief Edmond errötend.

      »Stille; der Mensch ist immer nur ein Mensch, und Sie sind einer von den Besseren, die ich kennen gelernt habe. Vernehmen Sie meinen Plan.«

      Der Abbé zeigte nun Dantes eine Zeichnung, die er entworfen hatte, es war der Plan seines Zimmers, des Zimmers von Dantes und des Ganges, welcher beide mit einander verband. Mitten in dieser Galerie brachte er einen Schacht an, denjenigen ähnlich, welche man in den Bergwerken macht, dieser Schacht führte die zwei Gefangenen unter die Galerie, wo die Schildwache auf und abging. Hier angelangt, machten sie eine breite Aushöhlung und lösten eine von den Platten, welche den Boden der Galerie bildeten. Im gegebenen Augenblick fiel die Platte unter dem Gewichte des Soldaten ein, und dieser stürzte in die Höhlung. Dantes warf sich in dem Momente auf ihn, wo er, von seinem Falle betäubt sich nicht verteidigen konnte, band, knebelte ihn, und Beide drangen durch eines von den Fenstern dieser Galerie, stiegen mit Hilfe der Strickleiter an der äußeren Mauer hinab und flüchteten sich.

      Dantes schlug in die Hände, und seine Augen funkelten vor Freude; dieser Plan war so einfach, daß er gelingen mußte,

      Noch an demselben Tage gingen die Gräber mit um so mehr Eifer an das Werk, als die Arbeit auf eine lange Ruhe folgte, und aller Wahrscheinlichkeit nach nur die Fortsetzung eines innigen, geheimen Gedankens von jedem derselben bildete.«

      Nichts unterbrach sie, als die Stunde, zu der sich beide zurückziehen mußten, um jeder in seinem Kerken den Besuch des Gefangenenwärters zu empfangen. Sie hatten sich übrigens daran gewöhnt, bei dem unmerklichsten Geräusch von Dritten den Augenblick wahrzunehmen, wo dieser Mensch herabkam, und nie war Einer oder der Andere überrascht worden. Die Erde, welche sie aus der neuen Galerie zogen, wurde in kleinen Teilchen und mit unerhörter Behutsamkeit durch das eine oder das andere von den Fenstern des Kerkers von Dantes oder von Faria geworfen. Man machte diese Erde sorgfältig zu Staub, und der Nachtwind trug sie in die Ferne, ohne daß Spuren davon übrig blieben.

      Mehr als ein Jahr verging bei dieser Arbeit, welche, in Ermangelung aller anderen Werkzeuge, mit einem Meißel, mit einem Messer und mit einem hölzernen Hebel ausgeführt wurde, und unter dieser Arbeit fuhr Faria fort, Dantes zu unterrichten, wobei er bald in der einen, bald in der andern Sprache sich mit ihm unterhielt, und ihn die Geschichte der Nationen und der großen Menschen lehrte, welche von Zeit zu Zeit eine von den leuchtenden Spuren hinter sich lassen, die man den Ruhm nennt. Der Abbé, ein Mann der Welt, und zwar der großen Welt, besaß überdies in seinen Manieren eine gewisse schwermütige Majestät, aus welcher Dantes durch den anschmiegsamen Geist, mit dem ihn die Natur begabt hatte, die ihm fehlende elegante Artigkeit und die aristokratischen Manieren zu ziehen wußte, welche dem Menschen nur durch längeren Umgang mit den höheren Klassen oder in der Gesellschaft erhabener Männer zur Gewohnheit werden.

      Nach Verlauf von fünfzehn Monaten war das Loch vollendet, die Höhlung war unter der Galerie gemacht, Man hörte bereits die Schildwache hin und her gehen, und die zwei Arbeiter, welche eine dunkle Nacht ohne Mond abwarten mußten, um ihre Flucht zu sichern, befürchteten nur Eines: es könnte der Boden zu frühzeitig von selbst unter den Füßen des Soldaten einstürzen. Man begegnete diesem Mißgeschick dadurch, daß man einen kleinen Ballen, den man in den Grundfesten gefunden hatte, als Stütze aufstellte.

      Dantes war eben an der Arbeit, den Balken fest zu stellen, als er hörte, wie ihn der Abbé Faria. der in dem Zimmer des jungen Mannes geblieben war und sich hier damit beschäftigte, einen Pflock zuzuspitzen, welcher die Strickleiter halten sollte, ihn mit schmerzlichem Tone rief. Dantes kehrte rasch zurück und sah den Abbé, welcher bleich, Schweiß auf der Stirne und die Hände krampfhaft zusammengezogen mitten im Zimmer stand.

      »Oh. mein Gott!« rief Dantes, »was gibt es denn, was haben Sie?«

      »Rasch, rasch!« sprach der Abbé. »hören Sie mich!«

      Dantes erblickte das leichenbleiche Gesicht von Faria. seine mit einem bläulichen Kreise umzogenen Augen, seine weißen Lippen, seine gesträubten Haare, und ließ aus Schrecken den Meißel, welchen er in der Hand hielt, auf den Boden fallen.

      »Aber was gibt es denn?« rief Edmond.

      »Ich bin verloren,« sprach der eine, »ein furchtbares, vielleicht tödliches Übel erfaßt mich. Der Anfall kommt, ich fühle es. Schon ein Mal wurde ich davon das Jahr vor meiner Einkerkerung ergriffen. Für dieses Übel gibt es nur ein Mittel, ich will es Ihnen nennen. Eilen Sie zu mir, heben Sie den Fuß des Bettes auf; dieser Fuß ist hohl. Sie finden darin ein Kristallfläschchen, halb mit einer roten Flüssigkeit gefüllt; bringen Sie es mir, oder vielmehr nein, man könnte uns hier überraschen, helfen Sie mir in mein Zimmer zurückkehren, während ich noch einige Kräfte besitze, Wer weiß, was geschieht und wie lange der Anfall dauern wird?«

      Dantes verlor den Kopf nicht, obgleich das Unglück, das ihn traf, ungeheuer war. Er stieg in den Gang hinab, schleppte seinen unglücklichen Gefährten nach sich, führte ihn mit unsäglicher Mühe bis an das entgegengesetzte Ende, und befand sich in dem Zimmer des Abbé, den er auf fein Bett legte.

      »Ich danke.« sprach der Abbé. an allen Gliedern zitternd. als käme er aus einem Eiswasser. »Das Übel tritt ein, ich verfalle in die Starrsucht; vielleicht werde ich keine Bewegung machen, keine Klage ausstoßen; vielleicht werde ich aber auch schäumen, schreien. Geben Sie sich Mühe, daß man mein Geschrei nicht hört; es ist von Wichtigkeit, denn man könnte mir dann ein anderes Zimmer geben und uns für immer trennen. Wenn Sie mich unbeweglich, kalt und gleichsam tot sehen, dann, aber auch dann erst, hören Sie wohl, drücken Sie mir die Zähne mit dem Messer auseinander, flößen Sie mit acht bis zehn Tropfen von diesem Tranke in meinen Mund, und vielleicht komme ich wieder zu mit.«

      »Vielleicht!« rief Dantes schmerzlich.

      »Zu Hilfe, zu Hilfe!« rief der Abbé, »ich . . . ich . . . ster . . . «

      Der Anfall kam so rasch und so heftig, daß der unglückliche Gefangene nicht einmal das begonnene Wort vollenden konnte. Eine Wolke zog schnell und düster wie die Stürme des Meeres über seine Stirne hin. Die Krise erweiterte seine Augen, verdrehte seinen Mund, färbte seine Wangen purpurrot. Er arbeitete mit Händen und Füßen, schäumte, brüllte; aber Dantes erstickte, wie er es ihm selbst

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