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bis sie am Hause angekommen waren. Hier erst blieben sie stehen; derjenige welcher den Schlüssel hatte, steckte ihn mit einer zitternden Hand ins Schloß, der Schlüssel drehte sich den Riegel ergreifend, die Thüre öffnete sich, die Knaben traten rasch ein, und der Muthigere, das heißt der Aeltere schloß die Thüre wieder.

      Dann kleidete man sich rasch aus, man legte sich in einem Nu zu Bette, man schwatzte noch einen Augenblick leise; bald aber erlosch das Geplauder und es Folgte darauf ein doppeltes Athmen, sanft und rein, wie das von zwei entschlummerten Tauben.

      Warum machte nun dieser Thurm den Kindern so sehr bange? Was hatte dieser Thurm Erschrecklicheres, als jeden andere Gebäude? Woher kam es, daß die zwei Kinder, welche doch sonst nicht furchtsam waren, so stark zitterten und so schnell liefen, wenn sie am Fuße dieses Thurmes vorbeigehen mußten?

      Wir wollen es sagen.

      Dieser Thurm hieß der Thurm des Amphiteaters; in diesem Thurme versammelten sich, um die Todten der Hospitäler von Caen zu seciren, die Studenten der Medicin. Die Tradition versicherte, diese glühenden Schüler der Wissenschaft studiren nicht nur in anima vili, sondern es liefern ihnen auch Entheiliger der Kirchhöfe Todte, die an Krankheiten verschieden, welche aristokratischer als die, die den Armen zu treffen pflegen und in den Hospitälern herrschen.

      Die zwei glänzenden Augen des Thurmes waren entflammt durch das innere Licht, bei dessen Helle die Studenten arbeiteten.

      Die schwarzen, krächzenden Raben, die sich vom Morgen bis zum Abend in einem unheimlichen Wirbel um die Spitze des Thurmes drehten, was suchten sie hier? was forderten sie mit heftigem Geschrei, wenn man sie warten ließ? Die Fetzen Menschenfleisch, die ihnen so reichlich Nahrung lieferten, daß sie, wenn sie ihre Tafel auf der Spitze des Thurmes halten, ihr Futter nicht anderswo zu suchen brauchten.

      Das war es, was den Kindern bange machte, wenn sie am Fuße dieses Thurmes vorüberkamen; das ließ sie bleicher werden; das machte reichlicher den Schweiß von ihren eiskalten Stirnen fließen, besonders wenn sie auf ihren Wege einem verspäteten Arbeiter begegneten, der eine Last trug; denn sie hielten diesen Arbeiter für einen Todtendieb! denn sie hielten diese Last für eine Leiche!

      Ein Lied der Leute vom Hafen, ein Lied so häßlich, so erschrecklich als die Sache, auf die es sich bezog, bestätigte die Tradition und erhob sie zum Range der Legende

      Dieses Lied heißt:

      C’est à l’Amphitéâtre

      Qu’y a des écorheux,

      Tant mieux!

      Qu’ecochent les bell’ dames

      Ainsi que les beaux messieux,

      Tant mieux!1

      Wie der Vater Tag und Nacht die Marsellaise trällerte, so erwachte dieses unglückliche Lied der Ecorcheux mit dem Schimmer der ersten Sterne im Geiste der Kinder, die es, wenn sie es nicht trällerten, wenigstens beständig im Gedächtniß gegenwärtig hatten.

      Der Aeltere von den Knaben hatte indessen sein zwölftes Jahr erreicht und der Jüngere sollte sein zehntes erreichen, als dieser eines Abends sich über heftiges Kopfweh beklagte und sich früher als gewöhnlich zu Bette legte.

      Man hielt dieses Kopfweh für eine Unpäßlichkeit ohne Folge, und man schenkte diesem Umstande keine große Aufmerksamkeit.

      Am andern Tage wollte Adolphe aufstehen: man ließ ihn gewähren; doch er konnte nur eine Stunde aufbleiben.

      Nach einer Stunde ging er ganz schwankend wieder zu Bette. Fünf Minuten nachher klapperten seine Zähne; er hatte das Fieber. In der darauf folgenden Nacht sang er das Lied der Ecorcheux. Er hatte das Delirium.

      Man ließ den Arzt kommen. Der Knabe war von einer Hirnentzündung befallen.

      Was auch der Mann der Wissenschaft that, es war zu spät. Am fünften Tage der Krankheit erklärte er dem Vater, jede Hoffnung, das Kind zu retten, sei verloren.

      Der Vater beugte unter diesem Worte einen Kopf, der sich nie unter dem Pfeifen der Kugeln gebeugt hatte, wischte eine Thräne ab, die einzige, die ihn der kleine Etienne hatte vergießen sehen, wandte sich gegen die Frau um, welche die zwei Kinder an das Bett ihrer Mutter in jener Nacht gestellt, wo die Mutter selbst das Delirium gehabt hatte, und sagte:

      »Holt den Priester.«

      Die Frau ging hinaus.

      Eine Stunde nachher ertönte das Glöckchen der letzten Oelung in der Rue des Carmes, die Thüre der großen Stube öffnete sich und entblößte das kleine Bett der Kinder, beleuchtet durch die zwei jungfräulichen Kerzen vom Kantine, welche die eine am Haupte, die andere am Fuße des Bettes in ihren großen messingenen Leuchtern, von denen jeder auf einem Stuhle stand, brannten.

      Es war Abends neun Uhr; das Fieber hatte das Kind verlassen und dieses schien eingeschlafen zu sein.

      Der Priester trat ein, gefolgt von zwei Chorknaben, welche Kerzen trugen, und vom Kirchendiener, der das Kreuz trug.

      Hinter ihnen ging jener fromme Theil der Einwohnerschaft, der immer bereit ist, seine Gebete ans Bett der Sterbenden zu bringen.

      Der Vater nahm seine Mütze ab, als er den Priester, die Chorknaben und den Kirchendiener erblickte, kniete nieder und ließ Etienne an seine Seite knieen.

      Die heilige Ceremonie ging in Erfüllung; die Füße und die Stirne des Sterbenden wurden mit dem Chrisam gesalbt; hiernach entfernte sich der Priester, wie er eingetreten war, gefolgt von den Chorknaben und den zwölf bis fünfzehn Gläubigen, welche für das Kind um einen glücklichen und leichten Uebergang von dieser Welt in jene gebetet hatten.

      Die Thüre schloß sich wieder hinter dem Letzten von ihnen. Der Vater und der Bruder blieben allein bei dem Sterbenden.

      Der Vater stand sodann auf, löschte die zwei Kerzen aus, stellte die Leuchter wieder auf den Kamin an ihren gewöhnlichen Plan, und setzte sich auf das Bänkchen dem Feuer gegenüber, das allein noch die Stube erleuchtete.

      Der kleine Etienne setzte sich zu seinem Vater.

      Der Vater stützte seine Ellenbogen auf seine Kniee und versenkte seinen Kopf in seine Hände; sein Gesicht war verschleiert wie das von Agamemnon.

      Das Kind saß, die Hände auf seinem Schooße ausgestreckt, da.

      Der Wiederschein des Herdes beleuchtete diese zwei wie Statuen unbeweglichen Gestalten und spielte zitternd an der Wand gegenüber.

      Nur dehnte er sich nicht weit genug aus, um die Finsterniß der Ecke zu zerstreuen, in der das Bett des Kindes stand.

      Alles schwieg in der Stube, wo der doppelte Schmerz wachte.

      Man fühlte, daß der Tod nicht mehr fern war.

      Plötzlich unter dieser unheimlichen Stille, erhob sich ein sanftes, liebkosendes, klares Stimmchen, vom Bette herkommend.

      Es war die Stimme des Kindes.

      »Vater,« sagte sie mit einem Ausdrucke der Angst, der sich nicht schildern läßt, »sprich, die Schinder vom Amphitheater, welche die schönen Herren und die schönen Damen schinden, schinden sie auch die kleinen Knaben wie mich?«

      Etienne schauerte und fing an zu weinen.

      Der Vater stand auf, und die Hand an der Kehle, als hätte er eine unsichtbare Zange davon entfernen wollen, sank er auf das Bett des Kindes und erwiederte:

      »Nein, nein, mein Kind, sei ruhig! überdies wache ich über Dich.«

      »Ich danke, Vater,« sagte die sanfte Stimme des Kindes.

      Das waren die letzten Worte, die Etienne seinen Bruder sprechen hörte.

      Eine Stunde nachher fing der Sterbende an zu röcheln.

      »Geh zur Tante,« sagte zu Etienne der Vater der nicht wollte, daß er Zeuge vom Todeskampfe und vom Tode seines Bruders sein sollte.

      Das Kind gehorchte, ohne ein Wort zu erwiedern.

      Zum Glück brauchte man, um zur Tante zu gehen, nicht am Fuße des Thurmes zu passiren.

      Nach

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<p>1</p>

Im Amphitheater gibt es Schinder, desto besser!

welche die schönen Damen schinden, sowie die schönen Herren, desto besser!