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sagte Fridolin, der sich nun an den vierten seiner Leibschwaben wandte, indem er von dem kleinen Schreibtisch, der nahe am Balkonfenster stand, einige bedruckte Blätter nahm: »du kennst diesen Korrekturbogen?«

      »Ja. Ich hab' ihn gestern abend für dich gelesen —«

      »Mit mir zusammen,« setzte Frivolin hinzu.

      »Es kann kein Fehler mehr drin sein,« fuhr Rudolf fort (der junge Mann, der über seine Witze so herzlich lachte); »denn wir haben uns die furchtbarste Mühe gegeben —«

      »Gemeinschaftlich,« setzte Frivolin hinzu.

      »Dennoch hab' ich mir erlaubt,« entgegnete der Professor, »den Korrekturbogen noch selber nachzulesen; und es schmerzt mich, euch mitteilen zu müssen, daß ich, eurer furchtbaren Mühwaltung zum Trotz, zwei unentdeckt gebliebene Fehler gefunden habe. Hier, meine Freunde: dieses umgefallene u, und dieses ›Veränderung‹ statt ›Verwunderung‹. Es hatte einen Sinn, wenn ich schrieb: ›Zu seiner großen Verwunderung blieb alles genau wie es war.‹ Aber ich glaube, es wäre nicht gut, wenn ich geschrieben hätte: ›Zu seiner großen Veränderung blieb alles genau, wie es war.‹ Ich fürchte, Leser von schroffer Ausdrucksweise würden diesen Satz einen Unsinn nennen. Aus diesem Grunde hab' ich mir erlaubt, das Wort ›Verwunderung‹ wieder herzustellen.«

      »Merkwürdig! Unglaublich!« sagte Rudolf, die Augen weit aufreißend, als könnten sie dadurch ihr Versehen noch nachträglich gut machen. »Wir haben doch alle beide —«

      »Diese Seite, glaube ich, hab' ich nicht durchgesehn,« fiel Frivolin ihm ins Wort.

      »Doch! grade diese!« erwiderte Rudolf entrüstet.

      »Streitet nicht, junge Thoren! Wer die Schuld von sich abwälzen will, wälzt sich damit noch eine zweite auf. Warum mute ich euch zu, so einen Korrekturbogen zu lesen? Sollt ihr eines Tages euer Brot in Leipzig oder Berlin als Korrektoren verdienen? Niemand kann das wünschen. Wozu also? Weil es eine nützliche Turnübung für eure Augen, für euer Gehirn ist. Weil es euch zwingt, mit Auge und Verstand zugleich bei einer Sache zu sein. Ihr hattet euch bereits überhoben, meine Freunde; verdient euch nun euer Abendessen dadurch, daß ihr euch ohne nutzlose Verwunderung dieser ›Veränderung‹ schämt!«

      »Fridolin!« rief einer der beiden Bauakademiker von der Kommodenecke her, und kam dann mit einer dunkelgrünen Sammetweste heran, die er beim Ausräumen aus einem großen Haufen von Westen ausgelesen hatte.

      »Was wünschest du?« fragte Fridolin.

      »Ich hab' noch nicht eine von deinen Westen geerbt,« sagte der junge Architekt. »Wenn du mir diese da vermachen wolltest!«

      Fridolin betrachtete sie mit feierlichem Ernst. »Es ist eine meiner schönsten, stimmungsvollsten Westen,« sagte er dann. »Sie ist nach der Idee des Wammses gebaut.«

      »Im Geiste dieser Idee würde ich sie tragen,« antwortete der Architekt.

      »Wende sie herum!«

      Der Architekt wendete sie herum.

      »Sieh da hinten nach, ob sie schon eine Inschrift hat.«

      Der Architekt untersuchte ihr Futter auf der Rückseite. »Hier steht noch nichts!« antwortete er.

      »Gut! So sei es! Nimm eine Feder und schreib deinen Namen auf die Rückseite. Sobald ich diese Weste entlasse, ist sie dein.«

      »Ich danke dir —«

      »Still!«

      Der zweite der Bauakademiker, der mittlerweile die Räumung der Kommode vollendet hatte, kam nun gleichfalls mit einer Weste angeschritten. »Herr Professor!« sagte er, und ergänzte seine Rede durch einen bittenden Blick.

      Fridolin ließ sein Auge mit Wohlgefallen auf diesem Jüngling ruhen, dessen nicht schöner, aber charaktervoller Kopf für einen Menschen von Lebensernst, von tüchtiger, vielleicht auch idealer Sinnesart sprach. Er strich ihm leise über das dichte, braune Haar. »Legen Sie die Weste weg,« gab er dann zur Antwort. »Ich hab' für Sie einen andern Beweis meiner Freundschaft, Franz.«

      Die Augen des jungen Mannes leuchteten. Die Leibschwaben traten alle heran, als errieten sie, was bevorstehe.

      »Jene glücklichen Alten« – fuhr der Professor mit der ihm eigenen feierlichen Grazie fort – »jene glücklichen Griechen hatten vieles vor uns voraus; dieses eine haben wir vor ihnen: daß wir den Vorzug, den wir einzelnen Menschen geben, schon in der Form der Anrede seelenvoll ausdrücken können. Ich sage zu jedermann: Sie; ich sage zu Männern, die mir näher treten, in heitren Momenten: Ihr; ich sage zu Freunden: du. Warum beabsichtige ich nun auch zu Ihnen du zu sagen? Warum – lassen Sie mich zu Ende reden, Franz – warum will ich dir das Vorrecht erteilen, mein brüderliches Du zu erwidern? Weil durch deine Eigenschaften, deine Verdienste die Bruderschaft zwischen uns hergestellt ist, die ich keineswegs als ein allgemeines, angeborenes Menschenrecht, im Gegenteil als das letzte Resultat der Selbstveredlung, als den Lohn der wahren Menschwerdung betrachte. Gib mir deine Hand! Ich hab' dich beobachtet. Ich finde dich auf dem rechten Wege. In diesem einen laß mich dir zum Vorbild dienen: ich liebe keinen Menschen, eh ich ihn achten gelernt habe; und ich fühle mich gezwungen, jeden zu lieben, der mir Achtung abnötigt. Umarmen wir uns! Also: Du.«

      Dem guten Jungen, dem Franz, traten ein paar Thränen in die braunen Augen. Er wollte etwas sagen, stotterte dann aber nur, in seinen Thränen lachend: »Fridolin! Du!«

      Fridolin küßte ihn noch einmal auf die Stirn; dann wandte er sich ab und sagte heiter: »Und so wären wir nun mit den Geschäften zu Ende.«

      Sein Blick fiel indessen auf den kleinen Fridolin, der sich ihm in den Weg stellte, offenbar in einer Absicht, die er nicht in Worten auszudrücken wagte. Denn er sah nur mit ergänzenden Gebärden abwechselnd auf den Professor und auf den soeben zur Bruderschaft Berufenen, lächelte dann mit einem gewissen Ungewissen Lächeln, sagte aber nichts.

      Der Professor zog die Augenbrauen in die Höhe; zum Zeichen, daß er sogleich erriet, welches Verlangen sich in Fridolin regte. Er blieb stehen und sah ihn eine Weile gleichfalls schweigend an. Der Ausdruck unsicherer Keckheit und trotzigen Selbstvertrauens, der auf des Jünglings Gesicht allmählich, und mehr und mehr, gleichsam verdunstete, schien ihn zu ergötzen. Endlich sagte er: »Nehmen wir an, mein Sohn, daß ich bereits erraten hätte, was Sie so stumm von mir wünschen. Fühlen Sie sich würdig, dasselbe zu erleben« – er deutete auf Franz – »was dieser Knabe erlebt hat?«

      Der kleine Frivolin warf einen unwillkürlichen, etwas geringschätzenden Blick auf Franz; ebenso unwillkürlich richtete er sich etwas höher auf. »Ich glaube, ich bin davon frei, mich zu überschätzen,« erwiderte er; »aber ich weiß nicht, warum ich mich unwürdig fühlen sollte, Ihnen so nahe zu stehn, wie der gute Franz.«

      »Meinen Sie?« fragte der Professor, mit humoristischem Ernst. »Wie sagt Hamlet, mein Freund? ›Behandle jeden nach Verdienst, und wer ist vor Schlägen sicher?‹ Wie sage ich, Hamlet erweiternd? ›Behandle jeden nach seiner eigenen Schätzung, und wem ist nicht eine Million und eine Ehrenkrone gewiß?‹ – Ich werde Ihnen noch folgendes sagen, Frivolin; und sowie ich es gesagt habe, werd' ich euch auf eine Stunde verlassen, da ich mit diesem Heimgekehrten« (er meinte Leopold) »mich unter den Bäumen des Tiergartens ein wenig austauschen will. Junger Frivolin, Sie sind ein begabter Mensch. Sie sind vielleicht der Begabteste unter den zukünftigen Menschen, die von unsern drei Akademien sich unter meiner Fahne der Kunstgeschichte versammeln. Aber Sie haben einstweilen noch zu viel Glauben an sich selbst, und zu wenig Glauben an unsere Ideale. Ich beobachte auch Sie! Ich hab' in Ihnen drei Götter entdeckt, zu denen Sie beten: den Erfolg, das Frauenzimmer und das Geld. Mein Sohn, die Kunst läßt dir durch mich, deinen Professor, sagen: ›Du sollst keine andern Götter haben neben mir!‹ Wollen Sie ein großer Künstler werden, so schreiben Sie vor allem die Worte eines andern großen Künstlers an Ihre Thür« (er deutete unwillkürlich auf die philosophische Inschrift an seiner eigenen):

      »Die Kunst hab' ich geliebet,

      Die Kunst hab' ich geübet

      Mein Leben lang.

      Die Künste hab' ich verachtet,

      Nach Wahrheit

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