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Fridolins heimliche Ehe. Adolf von Wilbrandt
Читать онлайн.Название Fridolins heimliche Ehe
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Adolf von Wilbrandt
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Er hatte geschrieben und seufzte; dann faltete er den Bogen, siegelte, schrieb die Aufschrift: »An Fridolin«, und wand sich auf dem Wege, auf dem er gekommen war, wieder hinaus.
II
Professor Fridolin – diesen Namen, den seine Freunde ihm gegeben, den die Welt sich angeeignet hatte, denke ich ihm zu lassen – Professor Fridolin hatte die Sitte bei sich eingeführt, seine Lieblingsschüler von den drei Akademien, an denen er Kunstgeschichte lehrte, an einem Abend jeder Woche einzuladen und nach den »Gesetzen des Hauses« (wie sie nach und nach durch zahlreiche ungeschriebene Kompromisse mit Frau Ritter festgestellt worden waren) zu bewirten. Doch da er sich im letzten Jahr gewöhnt hatte, mit Vorliebe abends und in die Nacht zu arbeiten, und da er weder dieser Gewohnheit, noch jener geheiligten Sitte entsagen wollte, so hatte er zwischen beiden gleichsam ein Abkommen getroffen: seine Jünger – oder die »Leibschwaben«, wie man sie zu nennen pflegte – fanden ihre Tafel im Papageienzimmer gedeckt, während der Professor in seinem Allerheiligsten saß, studierte und schrieb; es wäre eine Unthat wie Tempelraub gewesen, ihn in diesem Asyl zu stören; aber es war ihr Recht, »mit edler Mäßigung« laut und lustig zu sein, und von Zeit zu Zeit erschien der »Meister« in der Thür, um eines seiner blühenden Scherzworte unter sie zu werfen, oder einen ins Unmögliche hinaufgekletterten ästhetischen Streit durch ein weises Wort auf den Boden der Wirklichkeit zurückzurufen.
Es waren ihrer fünf, die an diesem Abend – anderthalb Stunden, nachdem der Pastor seinen kummervollen Brief geschrieben hatte – die drei Treppen zu Fridolins »Turmwohnung« erstiegen, unterwegs alle Echos des Treppenhauses durch eine leidenschaftliche Debatte über die Vorzüge der Malerei vor der Skulptur in Aufruhr bringend. Sie klingelten; Frau Ritter selber öffnete ihnen die Thür und lächelte sie an. Es war das angenehme mütterliche Lächeln, mit dem sie jeden (ehemaligen oder gegenwärtigen) Leibschwaben ihres Professors zu begrüßen pflegte; denn wiewohl ihr eigentliches Lebensgefühl das Gefühl der Verehrung für Professor Fridolin war, den sie für den außerordentlichsten aller Menschen hielt, so hatte sie doch zu viel Macht und Würde neben ihm gewonnen, um nicht auf die Jünglinge, denen er geistiger Vater war, mit einem gewissen Mutterblick herabzusehn. Sie hatte überdies drei Säulen, an denen ihr Selbstgefühl sich emporrankte: die Zeit ihrer Mädchenschönheit (o ferne Zeit!), in der sie von Malern und Bildhauern bewundert, und auf geschenkten Parkettsitzen durch Ludwig Devrients »scheniales« Spiel begeistert worden war; und ihre mittelbare Nachkommenschaft, die Kinder ihres »studierten« Bruders: einen Neffen (die zweite Säule) und eine Nichte (die dritte); zwei Menschen, von denen sie so Großes und Hoffnungsvolles zu sagen wußte, daß der Professor sich endlich entschlossen hatte, die Nichte – obwohl noch niemand sie gesehen – als Versuchserzieherin für Judica in sein Haus zu berufen. Seitdem ihr dieser Entschluß in feierlicher Sitzung, nämlich in Gegenwart des Pastors und seiner Tochter, mitgeteilt worden war, hatte Frau Ritters Lächeln, nach der Behauptung der »Leibschwaben«, einen noch mütterlicheren Charakter angenommen; und es erreichte heute den Zenith der Mütterlichkeit, da der Abend gekommen war, an dem diese hoffnungsvolle Nichte das erwartungsvolle Haus betreten sollte.
»Guten Abend, Tante Ritter!« (niemand von ihnen nannte sie anders) sagte der vorderste der fünf, und hängte seinen Ueberzieher, den er in jugendlicher Ungeduld schon auf der Treppe ausgezogen hatte, an den großen Kleiderriegel, der den Vorplatz verengte. »Ist der Herr Professor schon aus der Vorlesung zurück?«
»Ich hab' ihn geräuchert,« erwiderte Frau Ritter, »und hab' ihn nachlegen lassen; er ist aber noch nicht zurück.«
»Sie werden täglich schöner, majestätischer, Tante Ritter!« sagte der zweite, der kleinste, und küßte ihr mit übermütiger Galanterie die Hand.
Es erfolgte hierauf ein leichter Klaps auf die Hand, mit der er die ihre ergriffen hatte. »Und Sie werden wohl nie was anderes werden, als was Sie sind,« erwiderte Tante Ritter; »und man wird Ihnen höchstens zum Professor der Allotria machen.«
»Geben Sie uns heute warmen oder kalten Braten, Tante Ritter?« fragte der dritte. »Es ist ja der große Tag, an dem Ihre große Nichte einziehen soll.«
»Ist sie sehr hübsch, die Nichte?« fragte der zweite wieder, der den Charakter als Don Juan unter den Leibschwaben (sie nannten ihn »Frivolin«) angenommen hatte.
»Singt sie?« fragte der vierte.
»Ist ihre Erscheinung mehr malerisch oder mehr plastisch?« fragte der fünfte, und lachte; da er die Eigenschaft vieler Menschen hatte, über seine Witze sogleich nach ihrer Geburt herzlich zu lachen.
»Wie ist ihre Architektur?« setzte der erste hinzu.
»Sie sind alle gottloses Volk, und mein kalter Braten verbrennt,« antwortete Frau Ritter; worauf sie mit ihren sanften Schritten vom Vorplatz in die Küche entschwebte.
Die jungen Männer traten lachend und singend in das Papageienzimmer ein, in dem der Tisch schon gedeckt stand. Der »außerordentliche Professor«, oder »der weise Pittacus« – wie sie diesen psittacus erithacus (rotschwänziger Papagei) umgetauft hatten – saß bewegungslos auf der oberen Stange, hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen. Aber aus dem Nebenzimmer, dem »Allerheiligsten« Fridolins, ertönte eine Art von Gesang; eine rauhe, kaum mehr melodische Tonfolge, die eine verunglückende Erinnerung an ein bekanntes Schubertsches Lied zu sein schien.
Die Leibschwaben horchten. »Wäre das Pastor Philippus?« fragte der eine halblaut.
»Das ist nicht die hohle Grabesstimme des Pastors Philippus,« erwiderte »Frivolin«; »nie singt ein Pastor so falsch. Das ist eine Naturerscheinung, die man näher erforschen muß.«
Er öffnete die Thür.
Auf Fridolins Bett, über die türkische Decke, die es verhüllte, hatte sich mit auffallender Vertraulichkeit ein junger Mann mit langen Beinen hingestreckt, hielt eine bläulich rauchende Zigarre von sich ab, und sang jene von sich selbst verlassene Melodie vor sich hin. Der schwarze Hut, den er noch auf dem Kopfe trug, war ihm über die Stirn und über die Augen gesunken; man konnte von seinem Gesicht nur die ins Römische spielende Nase, ein Stück vom Kinn und das Profil seiner Lippen sehn. Aber um den bartlosen Mund regte sich, sobald er zu singen aushörte, ein so besonderer, sein ironischer Zug, daß er den Eigentümer der über ihm gewölbten Nase, gleichsam wie ein steckbrieflich beschriebenes besonderes Merkmal, verriet. Der kleine »Frivolin« richtete sich hoch auf und rief aus: »Mensch, du bist Leopold!«
Der junge Mann auf dem Bett erhob sich, ohne etwas zu erwidern. Er setzte sich auf die Kante, betrachtete die fünf, die in den verengten Raum wie im Gänsemarsch hintereinander eintraten, und stand dann, als auch der letzte die Thür hinter sich hatte, lang und langsam auf. Ein nicht unliebenswürdig sarkastisches Lächeln überflog sein Gesicht. Er ließ sich Zeit, ehe er die Gesellschaft anders als mit diesem Lächeln begrüßte. Seinen Hut zurückschiebend, so daß die stark ausgearbeitete Stirn sichtbar ward, führte er den scharfen, gewohnheitsmäßig beobachtenden Blick seiner grauen Augen noch einmal von einem zum andern, und ein Ausdruck unwillkürlicher Ueberlegenheit blieb eine Weile in seinen Zügen stehn. Bis er endlich, vor sich hin nickend, den Mund öffnete und sagte: »Es ist merkwürdig. Ihr seht alle noch auf den Buchstaben genau so aus, wie vor einem Jahr. Guten Abend, ihr Männer!«
»Hast denn du dich verändert?« gab der kleine Frivolin, etwas empfindlich, zurück. »Doch ja, er hat sich verändert. Seht, er trägt sich nach der neuesten Mode. Er hat sich seinem Schneider untergeordnet. Er trägt einen Cylinder und Lackstiefel. Wenn ich fragen darf, Leopold, wann bekommt man denn deine Hand?«
»Hier sind alle beide,« erwiderte Leopold lächelnd; »empfindlicher junger Mann! Ich machte mir nur erst das Vergnügen, euch ein wenig zu betrachten, – als Naturforscher, der ich bin. Ihr Kunstforscher habt euch allerdings,