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Adams Söhne. Adolf von Wilbrandt
Читать онлайн.Название Adams Söhne
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Adolf von Wilbrandt
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Die Kathi, rot bis ans Kopftuch, sah den Alten vorwurfsvoll an; dieser aber strich ihr so herzlich und weich über die Wange, dass sie zu zittern anfing:
»Ei!«, sagte er, »die Wahrheit muss man nicht unter den Scheffel stellen. Oder kannst du’s etwa nicht vertragen, dass man dich lobt? Macht dich das eitel wie die andern dummen Mädels, denen ein gutes Wort gleich den Kopf verdreht? – Nein, das glaub’ ich nicht von unsrer kerngesunden Kathi; die ist nicht so herzschwach, was? Die ist stolz und grad’ gewachsen, und wenn man sie lobt, so gibt’s ihr nur, wie der Sonnenschein, einen frischen Mut.«
Das Mädchen lächelte flüchtig, verschämt, was sie sehr verschönte, blickte ebenso flüchtig zu Saltner auf, und nickte.
»Na, also da sind wir einig«, fuhr der Alte fort; »und wenn du mir die Dummheit mit dem Brief nun christlich vergeben hast, so bestell’ mir einen Wagen zur ›Gemse‹! – Oder nein: ich geh’ mit hinein; denn ich muss nun endlich auch ein Glas gegen meinen Durst trinken, in der kühlen Stube. Sie nicht auch, Herr? Was meinen Sie?«
»Ich danke«, sagte Wittekind, der an die Türschwelle gelehnt stand und die beiden mit stillem Vergnügen betrachtete. »Durst hab’ ich nie.«
»Sie haben nie Durst? Auch nach so einer Wanderung nicht?«
»Nein. – Ich kann nichts dafür. Ich bin so geschaffen.«
»Sie trinken also auch nie?«
»Ah«, sagte Wittekind lächelnd, »das ist etwas anderes. Einen edlen Wein oder ein edles Bier trink’ ich so, wie ich eine gute Musik höre oder ein schönes Bild sehe: aus reinem, göttlichem Vergnügen.«
»Da sind Sie also um eine Klasse weiter als ich«, entgegnete Saltner. »Ich trinke noch, weil ich muss. Na, so komm denn, Kathi!«—
Er legte ihr einen Arm auf die Schulter – nun sah sie völlig aus wie ein Kind – und sie ging in gleichem Schritt wie er, die kleine Gestalt drollig dehnend, ins Haus.
Wittekind sah ihnen nach, mit heiterem Wohlgefallen; dann blickte er wieder, nachdenklich, die Dorfgasse hinab.
Das umherschwimmende goldene Licht verklärte alles, die zerstreut stehenden Häuser, denen die Bäume über den Kopf wuchsen, die umherlungernden Kinder, geschäftige alte Weiber, ein paar Hunde, die sich in der Sonne wälzten. Der ›Salzburger hohe Thron‹ des Untersbergs zeigte auch hier, über den Dächern aufsteigend, seine Felsenstirn. Dem Wanderer erschien es auf einmal wie ein Traum, dass er aus seiner Ebene, von seiner Ostsee an diesen Märchenberg verschlagen sei; dann fuhr ihm die zurückgedrängte Sehnsucht nach seinem Jungen wie ein Pfeil durchs Herz. Er schob sich den Hut von der Stirn zurück. Wenn er nun plötzlich käme! Dort um das Haus, an der Ecke! – — Die Brust stand ihm still. Die Gasse hinunterspähend sah er etwas Staub emporsteigen; es durchzuckte ihn einen Augenblick; aber: ›nun ja!‹ dachte er dann. ›Das kann ja nicht Berthold sein. Was ist’s? Ein Wagen. Und von dort, von Süden her, käm’ er ja auch nicht…‹
Plötzlich musste er lächeln: ein so jugendlicher, romantischer Gedanke tauchte in seinem erregten Innern auf und flog wie ein Vogel vorbei. ›Nun, und wenn da mein Sohn nicht kommt, kommt vielleicht mein Schicksal…‹
Er wandte den Kopf, als blicke er diesem Vogel nach.
›Was heißt das?‹ dachte er verwundert weiter; ›mein Schicksal? Was kann mir denn kommen? Was erwart’ ich denn noch? – Mir geht’s wohl auch wie diesem Alten, diesem Theoretiker der Greisenruhe und Waldeinsamkeit: die Jugend rennt immer wieder mit mir davon. Das, was da „kommt“, ist ein Wagen; mit zwei hübschen Braunen davor. Nicht einmal Schimmel sind’s. Und er fährt vorüber … Nein; er hält hier an. Also das wäre „mein Schicksal“. Auf dem Bock oder im Wagen säß’ es. Seh’n wir zu, wie es aussieht!‹
Ein offener Wagen, die Dorfgasse herausgefahren, hielt vor dem Wirtshaus; die Pferde schwitzten stark, schnoben und schüttelten sich; der Kutscher stieg vom Bock, um sie abzusträngen. Im Wagen saßen zwei Herren auf dem Rücksitz, zwei verschleierte Damen ihnen gegenüber; die, welche Wittekind zunächst saß, war in einen hellen, eleganten Staubmantel gehüllt.
»Aber, lieber Himmel!« sagte diese Dame mit einer schmachtenden, beinahe weinerlichen Stimme; »wozu dieser Aufenthalt! Ich finde, dass es ein Unsinn ist, ein paar Minuten vor Salzburg in diesem öden Nest noch eine Rast zu machen!«
»Meine Liebe«, erwiderte der Herr, der ihr gegenüber saß, eine schlanke Gestalt mit einem aristokratischen, aber unbedeutenden Gesicht: »die Pferde haben es nötig, wie der Kutscher behauptet. Und wir sind nicht ein paar Minuten von Salzburg entfernt, sondern eine Stunde.«
»Zehn Minuten!« entgegnete die Dame, wieder mit der klagenden Stimme; ihr Gesicht konnte Wittekind durch den dichten Schleier nicht erkennen. »Was tun wir hier in – Grödig? Da wollt’ ich doch wahrhaftig, wir wären in Berchtesgaden geblieben!«
Die andre Dame – halb verdeckt durch die erste – hob eine Hand, bewegte sie ein wenig hin und her, und sagte:
»Liebste Frau Baronin, in Berchtesgaden erlaubte ich mir zu sagen: bleiben wir doch noch hier. Aber um jeden Preis wollten Sie ja fort!«
›Das ist eine merkwürdige Stimme‹, dachte Wittekind, indem er den Kopf neugierig vorstreckte. ›Was für ein edles Metall. Offenbar eine Altstimme. Und wie schön sie spricht. Das Gesicht zu dieser Stimme möchte ich wohl seh’n!‹ – Er neigte sich aber vergebens vor und zur Seite: der Schleier verhüllte auch dieses andre Gesicht, unter einem feinen Strohhut, zu sehr; er war blau und doppelt. ›Wozu denn diese dichten Schleier?‹ dachte Wittekind etwas entrüstet. ›Auf den Landstraßen ist ja fast kein Staub, nach all den Gewittern.‹
»Bei alledem sind wir hier, meine Damen«, sagte jetzt eine vierte Stimme, »und wir sollten wohl aussteigen!«—
Wittekind horchte auf. Es fiel ihm bei dieser kalten, etwas näselnden Stimme ein Knabe ein, den er einmal als Schuljunge – obgleich der andre zwei Jahre älter war – durchgeprügelt hatte. Wie kam ihm der auf einmal hier am Untersberg in den Sinn? Könnte der Herr da hinten, den der Aristokrat verdeckte, wirklich Friedrich Waldenburg sein? Die Gestalt erhob sich, lang und etwas schwerfällig, zeigte ihren breiten Rücken, stieg auf der andern Wagenseite vorsichtig aus, und wandte sich dann herum, vermutlich um den Damen beim Aussteigen zu helfen. Jetzt sah Wittekind das Gesicht dieses langen Menschen, und nach einem raschen, scharfen Blick konnte er nicht mehr zweifeln.
Es war ein Kopf, den man nicht vergaß (wenn er ihn auch vor fünfzehn Jahren, in Italien, zuletzt geseh’n hatte); ein auffallend großer, aber wohlgeformter Kopf mit bedeutender Stirn, großen, aber durch breite, schwere Lider halb bedeckten Augen, deren helles und kaltes Licht eigentümlich strahlte; unter einer starken, feingeschnittenen Nase ein geistreicher Mund, den ein schöner, lichtbrauner Bart überschattete und sich in einen ebenso schönen Backenbart verlor. Das Kinn war ausrasiert, der Kopf nur noch mit dünnem, schlichtem Haar bedeckt, der kurze Hals durch eine kropfähnliche Anschwellung entstellt. Kurz, man sah einen schönen Menschen und wusste nicht, ob man sich nicht täuschte; einen von diesen Köpfen, bei denen man sich fragt, ob mehr die Natur von vornherein, oder mehr der Geist nach und nach, und von innen heraus, ihn so gewinnend geformt hat. Und was für ein Geist? Seele oder Verstand? Wärme oder Kälte?
»Wahrhaftig, das ist Friedrich Waldenburg!« rief Wittekind unwillkürlich aus, doch mit halber Stimme. Der Angerufene horchte auf und spähte zwischen den Insassen des Wagens herüber. Dann stieß er einen hellen Ton der Verwunderung aus, und ein kaltes Lächeln lief ihm über die Lippen.
»Alle guten Geister!« sagte er, mit einem gewissen schönen Vortrag wie auf dem Theater. »Das ist ja Karl Wittekind, der ›Biedere‹, der ›Gerechte!‹«
»Jedenfalls