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Adams Söhne. Adolf von Wilbrandt
Читать онлайн.Название Adams Söhne
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Adolf von Wilbrandt
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Sie haben nur diesen einzigen?« fragte der Alte.
Wittekind nickte stumm.
»Und ich auch nicht einen mehr! – — An dem da haben Sie aber nichts Gewöhnliches. Man muss immer hinschauen. Anders als die Jugend von heute. Gar romantisch; unschuldig; rührend … In Italien hab’ ich früher so alte schöne Heiligenbilder geseh’n, mit rührenden Schwärmer-Augen; an die muss ich denken.«
»Es ist ein lieber, holder Junge!« murmelte Wittekind, mit einem weichen, väterlichen Lächeln.
»Ihre Statur scheint er nicht zu haben…«
Wittekind schüttelte den Kopf.
»Er ist kleiner, und zart gebaut; aber schlank, wohlgeformt. Kurz, wie im Gesicht, so auch darin seiner Mutter Bild!«
»Ja, ja, so ein Muttersöhnchen!« sagte Saltner ernst, aber ohne jede Härte; immer die Augen auf das Bild geheftet. »Ich verschau’ mich ganz in das feine G’frieserl; – verzeihen Sie mir das österreichische Wort. So ein wenig vom Christuskopf; – aber gefährliche Augen. Gar gut; gar weich; fast wie die lieben Augen einer schönen und guten Frau.«
»Sie haben Recht«, sagte Wittekind und tat einen langen, leise seufzenden Atemzug. »Ich kann Ihnen nicht sagen, wie freundlich und gut das Herz dieses jungen Menschen ist; gut bis zur Schwärmerei. Er leidet geradezu an der Menschenliebe: so nah geht ihm alles Elend, all die Ungleichheit, diese ganze Welteinrichtung, die so ungerecht aussieht.«
»Und sie wär’ es auch«, entgegnete der Alte, »wenn mit diesem einen Leben die ganze Schule schon aus wäre!«
»Wie meinen Sie das?«
Saltner antwortete nicht auf diese Frage, er sah wieder auf das Bild.
»Ach was!« sagte er plötzlich, »‘s ist ein edles Gesicht. Sie sind ein glücklicher Vater mit so einem Sohn!«
Wie es so oft ergeht, antwortete Wittekind nicht auf diese Worte, sondern auf das Unausgesprochene, das dahinter lag, das sich in dem »Ach was« leise angekündigt hatte.
»Ich bin vielleicht nicht ohne Schuld«, sagte er treu herzig, wieder leise seufzend. »Hab’ vielleicht seine Natur zu ruhig gewähren lassen; zu viel auf ihr Edles, Tüchtiges gebaut … Aber wann hatt’ ich ihn auch! Da ich auf dem Lande lebe, konnt’ ich ihn nicht bei mir behalten, denn ohne Schulkameraden wollt’ ich ihn nicht lassen; so gab ich ihn gleich weiter fort, zu meiner Schwester, die mit ihrem gelehrten Mann, dem Gymnasiums-Direktor, in einem auf blühenden, freundlichen Städtchen lebt. Aber sie ist ähnlich zart, weich und schwärmerisch, wie seine Mutter war; zu einer festen kleinen Eiche konnt’ er da nicht werden … Nun ist er ein junger Student; auf sein flehendes Bitten hab’ ich ihn nicht erst im Lande behalten, wie ich wollte, auf unserer Universität, eine Meile von meinem Gut – sondern nach Süddeutschland, nach München hab’ ich ihn ziehen lassen. Plötzlich schreibt er mir: mit seinen Nerven sei es nicht in Ordnung, sein Arzt hab’ ihn fortgeschickt, ins Gebirg’, da solle er eine Weile umherspazieren, bis er sich erholt habe. Das werde bald geschehen sein; im Übrigen fehle ihm nichts … Nach diesem Brief hatt’ ich keine Ruhe. Das einzige, letzte Kind. … Ich lasse die Ernte im Stich, helfe mir, so gut ich kann, fahre hierher ins Gebirg’, zum Berthold. Am Hintersee, von dem er mir geschrieben hatte, als von seinem Hauptquartier, – am Hintersee find’ ich nichts als einen neuen Brief: er ist nach Salzburg gegangen, will von da zu Fuß gegen Berchtesgaden, bei Grödig oder Sankt Leonhard könnten wir uns treffen. – Und so bin ich nun hier – und da ist ja Grödig; da geh’n wir ja schon ins Dorf. Aber wann kommt mein Sohn? Er ist leider ebenso unpraktisch, wie er edel und gut ist! Wer weiß, vielleicht kommt er erst bei stockdunkler Nacht. Und dabei lieb’ ich ihn so sehr, diesen – — denn ich sage Ihnen, er hat ein vornehmes, großes Herz. … Aber unpraktisch ist er. Und während ich, sein Vater, noch wie von Eisen bin, sind seine jungen Nerven ›nicht in Ordnung,‹ muss er ›spazieren gehen‹. … Da hält ein Wagen vor dem Wirtshaus; und da sitzt jemand vor der Tür. Verzeihen Sie, wenn ich etwas rascher gehe; – er könnte doch – — Zwar, im Wagen kommt er ja nicht. Was will ich. Aber wenn er etwa – — Berthold! Berthold! Bist du’s?«
Die letzten Worte rief Wittekind schon von weitem, während er mit großen Schritten durch die Dorfgasse stürmte. Es kam aber keine Antwort; die Gestalt vor der Wirtshaustür saß still, ohne sich zu rühren. Als die beiden Männer nun herankamen und die untere Hälfte dieser Gestalt nicht mehr durch ein junges Gebüsch verdeckt ward, sahen sie, dass es ein Mädchen war, das an einem Tisch saß und etwas Käse mit trocknem Brot verzehrte; ein Glas Bier stand daneben. Sie trug das schwarze Kopftuch mit den langen Zipfeln, das ›Salzburger Tüchel‹, das dort weit und breit getragen wird, sonst die gewöhnliche städtische Kleidung und eine einfache Korallenschnur um den Hals.
Von ihrem Käse aufblickend zeigte sie ein paar feurige, braune, schöngefärbte Augen und wahre Rosen von Wangen, während die Lippen in der sinkenden Sonne wie Kirschen glühten. Sie war sicher kein Kind mehr, aber sie schien noch sehr jung zu sein.
»Da kommt er ja!« rief sie auf einmal aus, sprang auf wie ein Federball und lief den Männern entgegen.
»Grüß’ Sie Gott!« rief sie dann dem überraschten Saltner zu und ergriff seine Hand, die sie küssen wollte. Der Alte aber machte sich los, nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und küsste sie auf die Stirn.
»Dumme Kathi!« sagte er. »Lass’ doch das Händeküssen; großes Mädel du! Machst du mir das noch einmal, so werd’ ich sehr bös’ und küss’ dich ohne weiteres auf den Mund. Ei, Kathi, wo kommst du her? Oder ›wo kommen Sie her,‹ muss ich nun wohl sagen —«
Sie schüttelte hastig den Kopf.
»Nun, wo kommst denn her? Bist der ›Gems’‹ etwa durchgegangen, du Bachstelze du?«
»Aber nein! Aber nein!« rief das Mädchen in drolliger Entrüstung aus, mit einer weichen, klangvollen, eher tiefen Stimme. »Herr von Saltner! Das fragen Sie mich … Und bloß um Ihretwegen hab’ ich mich auf den Weg gemacht! Und such’ Sie und frag’ nach Ihnen, wo Sie denn wohl stecken – am hangenden Stein, und in Sankt Leonhard, und nun hier in Grödig —«
»Kind, da bin ich ja! – s’ ist ja alles in Ordnung; hab’ euren rührenden Schreibebrief erhalten, dass ihr meinen Namenstag wieder feiern wollt – hab’ vor Rührung geweint, wie sich’s gebührt, und meine Einsiedelei verlassen und mich aufgemacht —«
»Aber eine Antwort geschrieben haben Sie uns nicht!« rief das junge Mädchen.
»Hab’ ich das nicht? – Nein, das hab’ ich nicht. Nun, warum denn auch: ich war ja auf dem Weg – und vor Nacht bin ich noch oben in der ›Gemse‹!«
»Aber wir wussten halt nichts! Und weil gar kein Brief kam, hat heut’ endlich der Onkel gesagt – nein, ich hab’ gesagt: der Herr von Saltner ist doch – — Nein, ich will’s lieber nicht sagen. Und dann hat der Onkel gesagt: ›Nun, so fahr’ du mit, Kathi, der Herr Verwalter fährt nach Sankt Leonhard an die Bahn, und da herum soll der Herr von Saltner jetzt zu finden sein, der Verwalter hat ihn geseh’n‹; Na, da hab’ ich mich schnell zurechtgemacht —«
»Und bist nun hier«, fiel Saltner ein, »um den alten Mann an seinen Namenstag zu mahnen, den ihr feiern wollt…«
Er fuhr sich mit der gebräunten Hand durch den weißen Bart:
»Da bin ich aber schön zerknirscht! Ich schreibe den Brief nicht, ich kann mich nicht mehr benehmen, wie es sich gehört; diese kleine Goldkathi aber fährt in die Welt hinein, um mich wie ein verlorenes kleines Kind zu suchen. Blitz, Wetter und Mädel du! Bist doch eigentlich ein ganz süßes Geschöpf. Und dabei lächelt sie wie ein Kind. Sag’ mir zur Strafe, Kathi, dass ich ein alter Narr und ein dummer Kerl bin, und dann sei wieder gut!«
Die rosige Kathi erglühte noch rosiger, vor Vergnügen über seine Reden und dann wieder aus Zartgefühl; dabei stieß sie ein eigentümliches, zitterndes, liebliches Lachen aus.
»Was Sie alles reden«, sagte sie mit leiser Stimme. »Kommen Sie jetzt nur mit!«
»Freilich komm’ ich mit«, entgegnete