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Der Held von Garika. Adolf Mützelburg
Читать онлайн.Название Der Held von Garika
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Adolf Mützelburg
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
III. Die Begegnung
Es war ungefähr eine Woche später, um die Mitte des Dezembermonats, als Master George oder Giorgi, wie man ihn in seiner Heimat Garika genannt haben würde, in das ärmliche Zimmer eines niedrigen Hauses trat, das am Fuße des Forts von Tschefketil oder St. Nikolai lag. Es war bereits Dämmerung, und Johnny, der in einer Ecke auf einer Kiste saß und seine Pfeife mit echt türkischem Tobak tauchte, der ihm aber kaum so gut mundete, wie sein altenglischer Shag, stand auf und ließ ein mächtiges Wer da? Vernehmen. Im nächsten Augenblick aber erkannte er seinen jungen Herrn und hieß ihn freudig willkommen. George reichte ihm herzlich die Hand. Johnny zündete eine kleine Lampe an, unsern Küchenlampen ähnlich.
»Nun setzen Sie sich, Master George!« sagte er, auf die Kiste deutend und eine andere für sich selbst aus einem Winkel ziehend. »Freut mich von Herzen, dass Sie wieder da sind! Kann ich mit etwas aufwarten? Rum, Tee, geräuchertes Fleisch, das ist alles, was ich habe! Es gibt hier nicht viel, Master George! Und was es gibt, kann man weder essen noch trinken!«
George hatte sich im Zimmer umgesehen. Der junge Mann trug die Spuren einer längern Reise, aber sein Aussehen war gut. Die Bewegung, die Abwechselung des Lebens schien ihm heilsam gewesen zu sein. Bereits zeigte sich jener bräunliche Anflug auf seinen Wangen, der einem männlichen Gesicht so gut steht. Johnny bemerkte das auch und winkte George freundlich zu.
»Sehen ganz gut aus, Sir!« sagte Johnny. »Bekommen Farbe! Nun, etwas Rum?«
George bat um Tee und Fleisch, da er vom Morgen an nichts gegessen, und Johnny fing an, den Tee auf der Maschine, die man für diesen Zweck mitgenommen, zu bereiten.
»Du hast Dich ja hier ganz traulich eingerichtet!« sagte George. »Vor acht Tagen sah es noch gräulich in dieser Bude aus. Du bist unbezahlbar, Johnny. Überall weißt Du zu helfen!«
»Hab’s von Mr. Hywell gelernt – der versteht’s im Großen!« antwortete Johnny und lachte gutmütig, als er seine Blicke durch das Zimmer schweifen ließ, das trübselig und öde genug aussah, aber vor acht Tagen freilich nichts als die nackten und zerrissenen Wände gezeigt hatte.
»Seht komfortable hier!« fügte er scherzend hinzu. »Ein Salon für Miss Mary.«
»Lieber Johnny. wir wollen Gott danken, wenn Miss Mary ein solches Zimmer hat!« sagte George. »Ich bringe schlechte Nachrichten!«
Johnny hustete und machte sich mit dem Teegeschirr zu schaffen.
»Nur zu, Sir!« sagte er dann. »Wird hoffentlich nicht so schlimm sein!«
George erzählte. Als er nach stürmischer, aber sonst ungefährdeter Fahrt das von den Türken eroberte Tschefketil an der russisch-türkischen Grenze erreicht und dort erfahren, dass für den Augenblick in den Kaukasusländern alles ruhig, auch für die Dauer des Winters keine Bewegung Schamyls zu erwarten sei, hatte er sich schnell entschlossen, vor allen Dingen Nachrichten über Mr. Hywell einzuziehen. Er hatte ein Pferd gekauft, einen Führer genommen und war nach Kars aufgebrochen. Johnny war in Tschefketil zurückgeblieben. Von Kars hatte sich George nach Erzerum gewandt und war von dort nach dem Fort Tschefketil zurückgekehrt. Er hatte die Reise in fast unglaublich kurzer Zeit gemacht und sein Pferd dabei zugrunde gerichtet. Trotzdem hatte er nichts Bestimmtes erfahren. Wohl aber hatte er an beiden Orten vernommen, dass die Kurden an der persischen Grenze sehr unruhig seien und dass mehrere Karawanen von ihnen geplündert worden. Ein Gerücht wollte sogar von vornehmen Engländern wissen, die bei einem solchen Überfall gefangen oder getötet worden, und in Erzerum zeigte man George mehrere Gegenstände, die von Kurden verkauft worden und unzweifelhaft in England gearbeitet waren, auch von längerem Gebrauch zeigten.
Das war aber auch alles. Es blieb also, wie George dem aufmerksamen Johnny auseinandersetzte, nichts übrig, als den Versuch zu machen, den Weg nach Tauris so weit, als dies unter den jetzigen Umständen nur irgend möglich sei, zu verfolgen, womöglich Tauris, die Hauptstadt des nördlichen Persien, in der die Wege nach Russland und der Türkei sich trennen, zu erreichen und bei den dort wohnenden Engländern genauere Erkundigungen einzuziehen. George hatte sich genau davon unterrichtet, wie diese Reise unternommen werden müsse. Man hatte ihm geraten, sehr einfach zu reisen, jeden Prunk zu meiden, um die räuberischen Kurden nicht anzulocken, einen zuverlässigen Führer zu nehmen und sobald als möglich aufzubrechen, da die Gegend während des Winters verhältnismäßig ruhig und sicher sein werde.
»Ich für mein Teil bin entschlossen«, sagte George. »Willst Du mich begleiten, Johnny, oder willst Du mich hier erwarten?«
»Was ist Ihnen lieber, Sir?« fragte der Engländer.
»Natürlich Deine Begleitung!« sagte George.
»Nun, dann gehe ich mit Ihnen!« rief Johnny energisch. »Es ist hier verdammt langweilig. Indessen wenn Sie es verlangten und für besser hielten, so wollte ich hier schon noch ein Jahr lang sitzen und mir die phlegmatischen türkischen Schildwachen oben auf dem Fort und das unruhige Meer ansehen, aber lieber ist es mir, mit Ihnen Mr. Hywell aufzusuchen. Haben wir denn keinen Konsul bei den Kurden?«
George schüttelte lächelnd den Kopf und setzte ihm auseinander, dass die Kurden ein unzivilisiertes Volk an der türkisch-persischen Grenze seien, das fast unabhängig auf seinen Bergen lebe und neben etwas Viehzucht viel Räuberei treibe. Wenn Mr. Hywell wirklich von ihnen gefangen, und nicht – was freilich nicht unmöglich, aber doch immer nicht wahrscheinlich sei – bei der Verteidigung getötet wäre, so werde man ihn, wie schon Mr. Wiedenburg in Sinope angedeutet habe, in einem kurdischen Dorfe festhalten und Boten aussenden, um womöglich ein Lösegeld für seine Freilassung zu erhalten. Die türkischen Behörden um Schutz anzurufen sei schon im Frieden eine schwierige Sache; jetzt, wo die Türken der kurdischen Reiterei gegen die Russen bedürften, verspreche eine solche Einmischung gar keinen Erfolg. Auch sei es möglich, dass der Überfall von persischen oder ganz unabhängigen Kurden verübt worden; denn von vielen Stämmen dieser nomadisierenden Völkerschaft wisse man kaum, unter welche Oberhoheit man sie rechnen solle.
Trotz seiner Ermüdung traf George noch an demselben Abend die nötigen Maßregeln, um im Laufe des nächsten Tages aufbrechen zu können. Ein gutes Pferd für George, ein frommes Tier für Johnny, der noch sehr selten auf dem Rücken eines Pferdes gesessen, wurden gekauft. An Decken, Waffen und was sonst zur Reise nötig, war kein Mangel. Ein Führer sollte erst von Erzerum aus genommen werden, da George jetzt den Weg bis dorthin kannte. Das zurückbleibende Gepäck wurde der Obhut eines Armeniers anvertraut, auf dessen Zuverlässigkeit George bauen zu können schien. Dann legte sich George auf das Lager, das ihm Johnny mit väterlicher Sorgfalt bereitet hatte.
Johnny weckte den todmüden jungen Mann nicht.
Es war fast Mittag am andern Tage, als George erwachte. Eine Stunde darauf saßen die beiden Männer im Sattel, und ritten die Straße nach Erzerum. George wählte diese, obgleich sie von Tschefketil aus die längere war, weil er immer noch hoffte, er werde in Erzerum etwas über Mr. Hywell hören oder ihm selbst begegnen.
Wieder war fast eine Woche vergangen, Weihnachten war nahe, der Winter hatte sich empfindlich fühlbar gemacht, und Johnny saß bereits ganz stattlich auf seinem überaus gutmütigen Pferde, als George und sein Gefährte, begleitet von einem armenischen Führer, die Karawanenstraße verfolgend, die über Bajazid nach Tauris führt, an einem kalten. trüben Morgen langsam den Abgang eines Berges hinaufritten. Auf der Spitze desselben zeigte ihnen der Führer die Richtung, in welcher der heilige Berg Ararat mit seinen beiden Spitzen liege, den man bei gutem Wetter vollkommen klar sehen könne. Heute aber lag in jener nordöstlichen Richtung nur eine graue Schneewolke.
»Trübe Aussicht!« sagte George zu Johnny und dachte mehr an Mr. Hywell und Mary als an den Ararat.
»Segel in Sicht!« rief Johnny, der diesen Ausdruck auch zu Lande liebte, und deutete die Straße entlang. Ein Reiter war auf dieser Straße ein Ereignis.
Denn obwohl in der Nähe die Türken mit den Russen kämpften, so war die Straße doch einsam.