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in dem unschuldigen Schlummer eines Kindes an meiner Brust, während die Hand eines Fremden diese Worte für Dich niederschreibt, wie sie meinen Lippen entfahren. Bedenke, wie mächtig meine Ueberzeugung sein muß, wenn ich hier auf meinem Sterbebette den Muth habe, Dein ganzes Leben schon bei seinem Beginne durch den Schatten meines Verbrechens zu trüben. Bedenke dies – und laß Dich warnen! Bedenke es – und vergieb mir, wenn Du kannst!«

      Dies waren die letzten Worte des Vaters an den Sohn.

      Seiner ihm aufgedrungenen Pflicht unerbittlich getreu, legte Mr. Neal die Feder nieder und las die Zeilen, die er soeben geschrieben, laut vor. »Soll noch sonst etwas hinzugefügt werden?« frug er mit seiner mitleidslosen festen Stimme. Es sollte nichts mehr hinzugefügt werden.

      Mr. Neal legte das Manuskript zusammen und schloß es in ein Couvert ein, das er mit Mr. Armadale’s Petschaft versiegelte. »Die Adresse?« sagte er mit unbarmherziger Geschäftsförmlichkeit »An Allan Armadale junior«, schrieb er, wie die Worte ihm vom Bette aus dictirt wurden. »Durch Güte des Herrn Godfrey Hammick, in Firma Hammick & Ridge, Lincoln’s-Inn-Fields, London.« Nachdem er die Adresse geschrieben, wartete er und überlegte einen Augenblick. »Soll Ihr Testamentsvollstrecker dies öffnen?« frug er.

      »Nein! Er soll es meinem Sohne übergeben, wenn dieser alt genug ist, um es zu verstehen.«

      »In dem Falle«, fuhr Mr. Neal mit der trockensten Geschäftsmäßigkeit fort, »will ich ein datiertes Schreiben beifügen, in welchem ich die Worte wiederhole, die Sie soeben gesprochen haben, und die Umstände auseinandersetze, unter denen meine Handschrift in dem Documente erscheint.« Er that dies in den kürzesten und deutlichsten Ausdrücken, las, was er geschrieben, wie das Vorhergehende laut vor, unterschrieb seinen Namen und seine Adresse, und ließ dann den Doctor als Zeugen des ganzen Verfahrens und als ärztliche Autorität in Bezug auf Mr. Armadales derzeitigen Zustand, ebenfalls unterzeichnen. Sobald dies geschehen, legte er alles in ein zweites Couvert, versiegelte dasselbe wie zuvor und adressierte es an Mr. Hammick, indem er »Zu eignen Händen« hinzufügte.

      »Bestehen Sie darauf, daß ich dies auf die Post gebe?« frug er, indem er mit dem Briefe in der Hand aufstand.

      »Geben Sie ihm Zeit, sich zu besinnen«, sagte der Doctor. »Um des Kindes willen, geben Sie ihm Zeit, sich zu besinnen! Eine Minute mag ihn anders stimmen.«

      »Ich will ihm fünf Minuten geben«, erwiderte Mr. Neal, indem er, bis zuletzt unerbittlich gerecht, seine Uhr vor sich auf den Tisch legte.

      Sie warteten, indem sie beide aufmerksam Mr. Armadale beobachteten. Die Anzeichen einer mit ihm vorgehenden Veränderung vermehrten sich schnell. Die Bewegung, welche die unausgesetzte geistige Aufregung seinen Gesichtsmuskeln mitgetheilt hatte, fing unter demselben gefährlichen Einflusse sich nach unten zu erstrecken an. Seine bisher regungslosen Hände lagen nicht länger still; sie bewegten sich in jammervollem Ringen auf der Bettdecke. Beim Anblicke dieses warnenden Zeichens wandte der Doctor sich mit einer Gebärde der Unruhe um und winkte Mr. Neal, näher zu kommen» »Legen Sie ihm sofort Ihre Frage vor«, sagte er; »falls Sie fünf Minuten verstreichen lassen, mag es zu spät sein.«

      Mr. Neal trat ans Bett. Auch er hatte die Bewegung der Hände wahrgenommen. »Ist das ein schlimmes Zeichen?« frug er.

      Der Doktor neigte ernst den Kopf. »Legen Sie ihm ohne Verzug Ihre Frage vor«, wiederholte er, »oder es dürfte zu spät sein.«

      Mr. Neal hielt den Brief vor die Augen des Sterbenden. »Wissen Sie, was dies ist?«

      »Mein Brief.«

      »Bestehen Sie darauf, daß ich denselben auf die Post gebe?«

      »Ja!«

      Mr. Neal ging mit dem Briefe in der Hand der Thür zu. Der Deutsche folgte ihm ein paar Schritte und öffnete die Lippen, um ihn um ein längeres Verziehen zu bitten, begegnete jedoch dem unerbittlichen Auge des Schotten und trat schweigend wieder zurück. Die Thür schloß sich und schied sie von einander, ohne daß der Eine wie der Andere ein Wort gesprochen.

      Der Doctor kehrte an das Bett zurück und flüsterte dem sterbenden Manne zu: »Lassen Sie mich ihn zurückrufen, es ist noch Zeit, ihn zurückzuhalten!« Es war nutzlos Es kam keine Antwort; nichts verrieth ihm, daß er verstanden oder nur gehört worden sei. Die Augen des Sterbenden schweiften von dem Kinde ab, ruhten einen Augenblick auf seinen eigenen zuckenden Händen und blickten dann flehend in das mitleidsvolle Antlitz, das sich über ihn hinbeugte. Der Doctor hob seine Hand auf, wartete einen Augenblick, folgte dem auf das Kind gerichteten sehnsüchtigen Blicke des Vaters und lenkte, den letzten Wunsch desselben verstehend, die Hand sanft nach dem Haupte des Kindes. Die Hand berührte dasselbe und zitterte heftig. Im nächsten Augenblicke ward der Arm von dem Zittern ergriffen, das sich dann dem ganzen Oberkörper mittheilte. Das bleiche Gesicht wurde roth, dann blau, dann wieder bleich. Endlich lagen die zuckenden Hände still und die Farbe wechselte nicht mehr.

      Als der Doctor mit dem Kinde im Arm aus dem Sterbezimmer in das nächste Zimmer trat, stand das Fenster dort offen. Er schaute im Vorübergehen hinaus und sah Mr. Neal langsam nach dem Gasthofe zurückkehren.

      »Wo ist der Brief?« frug er.

      Drei Worte genügten dem Schotten als Antwort: »Auf der Post.«

      Sechstes Kapitel

      An einem warmen Maiabende im Jahre achtzehnhundert einundfünfzig zog Se. Ehrwürden Mr. Decimus Brock, zur Zeit ein Gast in Castletown auf der Insel Man, sich auf sein Schlafzimmer zurück, von einer ernstlichen persönlichen Verantwortlichkeit verfolgt und ohne eine klare Vorstellung von der Art und Weise, wie er sich aus seiner gegenwärtigen Verlegenheit zu ziehen im Stande sein werde.

      Der Geistliche hatte dasjenige Stadium des menschlichen Lebens erreicht, wo ein vernünftiger Mann gelernt hat, allen unnützen Kampf gegen tyrannische Sorgen aufzugeben. Er ließ jeden ferneren Versuch, in seiner augenblicklichen Bedrängniß zu einer Entscheidung zu kommen, fahren und setzte sich mit vollkommener Gelassenheit in bloßen Hemdärmeln auf sein Bett nieder, wo er sich zunächst der Betrachtung hingab, ob diese Sorge in der That so ernster Natur sei, wie dieselbe sich ihm bisher dargestellt hatte. Indem Mr. Brock diesen neuen Ausweg aus seinen Verlegenheiten einschlug, sah er sich unerwarteter Weise bald auf einer Wanderung, welche die am wenigsten erheiternde im ganzen menschlichen Leben zu sein pflegt – auf einer Wanderung durch die Jahre seiner Vergangenheit.

      Die Ereignisse dieser Jahre, die alle mit derselben kleinen Gruppe von Charakteren in Verbindung standen und alle mehr oder weniger die Verlegenheit herbeigeführt hatten, die sich jetzt zwischen den Geistlichen und seine Nachtruhe drängte, stiegen eines nach dem andern in regelmäßiger Reihenfolge in Mr. Brocks Erinnerung auf. Das erste derselben führte ihn durch einen Zeitraum von vierzehn Jahren zu seiner Pfarre an der Sommersetshire-Küste des Kanals von Bristol zurück zu einer Privatunterredung mit einer fremden Dame, die ihm einen Besuch machte.

      Die Gesichtsfarbe der Dame war zart und ihre Gestalt wohl conservirt; sie war allerdings noch jung, aber ihr Aussehen war jugendlicher, als ihre Jahre hätten erwarten lassen. Es lag ein Schatten von Trauer in ihrem Gesichtsausdrücke und ein leidender Ton in ihrer Stimme, welche bekundeten, daß sie gelitten hatte – doch nicht genug, um ihren Kummer der Welt aufzubringen. Sie brachte einen hübschen achtjährigen blonden Knaben mit, den sie als ihren Sohn vorstellte und der zu Anfang ihrer Unterredung hinausgeschickt wurde, um sich im Pfarrgarten zu unterhalten. Vor ihrem Eintritt in das Arbeitszimmer des Geistlichen hatte sie ihre Karte abgegeben, und diese Karte meldete sie unter dem Namen »Mrs. Armadale« an. Noch ehe sie die Lippen geöffnet, begann Mr. Brock ein Interesse für sie zu fühlen; und sobald der Sohn entlassen worden, wartete er mit einiger Spannung auf das, was die Mutter ihm mitzutheilen hatte.

      Mrs. Armadale machte den Anfang damit, daß sie ihn unterrichtete, sie sei eine Wittwe. Ihr Gatte sei kurz nach ihrer Vermählung auf der Fahrt von Madeira nach Lissabon bei einem Schiffbruche ums Leben gekommen. Nach diesem Verluste sei sie unter dem Schutze ihres Vaters nach England zurückgebracht worden, und ihr Sohn, ein nachgebornes Kind, sei auf dem Familiengut in Norfolk zur Welt gekommen. Der bald darauf erfolgte Tod ihres Vaters habe sie elternlos gemacht und sie der Vernachlässigung und den Mißdeutungen ihrer übrigen Angehörigen, zweier Brüder, ausgesetzt, ja sie fürchte, für

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