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Goldbrokat und ließ es Pjotr auf der Stelle anlegen.

      Er umschritt ihn mehrmals prüfend.

      Wie der Henker sein Opfer, dachte Pjotr. Was hat er mit mir vor?

      Dann hieß der Fürst ihn einsteigen. Timmermann, ebenfalls in großer Uniform, saß hinten auf. Potapoff kutschierte. Nun kutschiere ich Ilja, den großen Helden von Kiew. Heil Zeige dein Angesicht, aber verbirg dein Herz unter dem goldenen Brokat. Die Fahrt beginnt. Glückauf

      Im Moskauer Kreml empfing ihn Sofija in weißem Atlas. Sie stand oben auf der Freitreppe. Er sah sie seit Jahren wieder zum erstenmal. Sie schritt die Freitreppe hernieder. Wie schön sie war Der Fürst half ihm aus dem Wagen. Sofija verneigte sich vor ihm. Er errötete, war verwirrt und wußte nichts zu sagen.

      Sie fuhren in silberner Staatskarosse zur Metropolitankirche.

      Adrian, der Patriarch, empfing ihn, weihte und segnete ihn.

      Iwan war gestorben.

      Pjotr wurde, sechzehnjährig, zum Zaren ausgerufen.

      Er stand im grellen Mittagslicht auf der Terrasse vor der Kirche und sah hinab auf das wogende Volk, das Mützen, Blumen, Schals, Jacken, Tücher unaufhörlich in die Luft warf und schrie:

      »Lang lebe Zar Pjotr«

      Sofija nahm ihn bei der Hand und führte ihn bis vorn an die Estrade.

      Da wurde er plötzlich sich seiner bewußt.

      Er riß sich von Sofija los, sprang auf die Estrade selbst, warf seine Fellmütze in die Luft und brüllte:

      »Es lebe Rußland«

      Sofija war zurückgetaumelt.

      Der Fürst wiegte seinen Vogelkopf hin und her.

      Der Patriarch hielt die Hände betend gefaltet.

      Das Volk tobte und raste vor Jubel.

      Dieses Volk beschloß Pjotr kennenzulernen.

      Heimlich zuweilen entwich er aus Preobraschensk in der Tracht eines Gärtnerjungen.

      Er mischte sich unter Knechte, Händler, Bauern, Arbeiter, fremde Matrosen. Er lernte von ihnen das Saufen und Raufen, das Fluchen und Gott und den Teufel suchen. Er war bärenstark. Ungern band und bändelte man mit ihm an.

      Er lernte die Weiber kennen.

      Seine erste Geliebte war eine braune schmutzige Zigeunerin, die ihm aus der Hand wahrsagte.

      »Brüderchen,« sagte sie lachend, »du hast mir einen Silberrubel geschenkt, aber ich muß dir trotzdem die Wahrheit sagen: du wirst einmal ein großer Verbrecher, ein großer Räuber wie Stenka Rasin, ein großer Mörder wie Iwan der Schreckliche. Ja, Brüderchen, sogar ein Mörder wirst du. Denk' an mich, wenn es soweit ist. Armer kleiner Pjotr, man wird dich einmal ›Pjotr den Furchtbaren, Pjotr den Besessenen› nennen. Denn du bist besessen von allen guten und bösen Dämonen, vom heiligen und unheiligen Geist, von Gott und dem Teufel.«

      Seine zweite Geliebte war ein junges, zartes, fünfzehnjähriges Geschöpf, die Tochter eines Branntweinwirtes.

      Er liebte sie zu heftig.

      Sie ertrug seine Liebe nicht.

      Sie starb daran.

      Sofija fuhr dem Fürsten schmeichlerisch über die Stirn.

      »Du bekommst schon Runzeln, Liebling. Du mußt etwas für dich tun, für dich und deinen Ruhm, ehe es zu spät ist.«

      Der Fürst schob die Hornbrille zurecht und klappte die »Ilias« zu, in der er gelesen hatte.

      »Mein liebes Kind, Dank für deinen freundlichen Hinweis auf mein beginnendes Alter: aber ich lese lieber von kriegerischen Taten, als daß ich selbst welche verrichte. Was sollte ich alter Mensch auch noch mit Krieg und Kriegsruhm anfangen? Mars ist nur ein Druckfehler für Mors. Ich sonne mich an deiner Jugend, an deinem Ruhm. Ich denke, mag die Jugend handeln.«

      Sofija ließ nicht nach.

      »Da unten in unserem Reiche liegt irgendwo die Krim. Ein Chan, der uns Untertan und tributpflichtig ist, soll wider uns rebellieren. Du mußt den Aufstand niederwerfen.«

      »Eine lächerliche Idee, Kind. Laß ihn rebellieren. Rußland ist so groß, wir merken ja gar nichts davon. Er oder sein Nachfolger wird schon wieder zur Besinnung kommen.«

      Sofija schmollte:

      »Du hast keinen Sinn für Heldentum.«

      »Doch, Kind, doch, aber für unnützes Heldentum nicht.«

      »Dann ziehe ich selbst in den Krieg. Willst du mir die Strapazen eines Feldzuges zumuten?«

      Sie zwirbelte an seiner Stirnlocke.

      »Du bekommst übrigens schon weiße Haare, silberweiße Haare wie ein Lämmchen.«

      Der Fürst seufzte:

      »Du wirst keine Ruhe geben, bis das Lamm von den Füchsen der Krim nicht zerrissen ist. Also gut, ich werde die Tartaren bekehren.«

      »Timmermann,« sagte Pjotr, »heute ist Sonntag, der Tag des Herrn, nicht der Tag der Knechte. Ich will nicht in die Messe gehen und einen dreckigen Popen die heiligen Gefäße und die reine Liturgie des Chrysostomus verunreinigen sehen. Ich will nicht hundert und aber hundertmal, wie von meinem Vater Alexej die Sage geht, das Knie vor den bunten Bildern beugen. Ich will aufrecht meinem Gott gegenübertreten und sagen:

      «Hier ist Pjotr, dein Sohn, Väterchen. Er will versuchen, deiner nicht unwert zu leben und zu arbeiten. Hören Sie, Timmermann: zu arbeiten. Fünfzehnhundertmal sich bekreuzen und drei Stunden in der Messe stehen, das ist keine Arbeit. Meine lieben russischen Brüder halten Faulenzerei für die gottwohlgefälligste Tugend. Diese Faulheit muß ihnen ausgeprügelt werden. Rußland braucht Handwerker, die ihr Hand- und Seelenwerk verstehen. Auch die Dworjanje müssen endlich etwas lernen: zu reiten, zu streiten, zu leiten. Neulich verlor mein Pferd unterwegs ein Eisen. Ich habe keinen Schmied gefunden, der es recht hätte beschlagen können. Ich habe es selbst in einer Schmiede beschlagen müssen. Dieser Schmied wußte dann bei einem Glase Kwaß die amüsantesten Geschichten von Gott und der Welt zu erzählen, daß ich mich bog vor Lachen. Aber ein Pferd beschlagen: das konnte er nicht. So sind die Russen. Sie können alles – nur nicht das, was sie können sollten und müßten. Unsere Bauern wissen nicht Egge und Pflug zu führen, sie können guten von schlechtem Ackerboden nicht unterscheiden. Sie bauen immer gerade soviel an, als sie in guten Erntejahren für sich und ihre Familie brauchen. Wenn ein schlechtes Erntejahr kommt, verhungern und verrecken sie natürlich, dumm und gottergeben. Sie säen Korn in den Wald und pflanzen Obstbäume in ein Haferfeld. Rußland braucht Arbeiter, Arbeiter, Arbeiter. Aber nicht solche, die so heißen, sondern solche, die so sind. Sechsundzwanzig Stunden am Tag muß jeder arbeiten, sonst kommt Rußland nicht hoch. Rußland braucht eine Flotte und Matrosen, die sie zu führen wissen. Das Meer liegt offen da. Wir müssen bei Holländern, Engländern, Venezianern in die Schule gehen. Rußland braucht ein Heer, Offiziere und Soldaten. Der Militärdienst muß auf alle Klassen der Bevölkerung ausgedehnt werden. Frankreich und Preußen müssen uns Vorbild sein. Die Erde liegt offen da. Jetzt haben wir einen zusammengelaufenen Haufen Bewaffneter, von denen nur ein Bruchteil alte verrostete Gewehre trägt, mit denen er nicht einmal umzugehen weiß, die meisten aber haben nur Keulen, Sensen und Messer. Versteht einer was von Strategie? Drauflos lautet im Ernstfall die Parole, der Tausende nutzlos zum Opfer fallen. Es gibt ja genug Menschen in Rußland. Aber soviel wir sind: was vermögen wir gegen Schweden? gegen Polen? gegen die Türken? Perser? ja, auch nur gegen aufständische, schlecht bewaffnete Tartaren? Nichts, weil wir ein Nichts sind.«

      Pjotr hatte sich in Wut geredet.

      »Mein Vater hat die Juden aus dem Lande gejagt. Ich halte das für einen schweren Fehler. Sie waren der Sauerteig im russischen Brot. Sie waren wie Schmeißfliegen um uns schwerfällige Hengste. Aber es war recht so. Sie ließen uns nicht zur Ruhe kommen. Wir schlugen wenigstens hin und wieder aus. Jetzt haben wir auch das verlernt und dösen so im Stall dahin. Timmermann, auch die Juden hatten ihre Helden. Heute ist Sonntag. Lies mir aus ihrem Heldenbuch, dem alten Testament. Lies mir von den Makkabäern«

      Pjotr

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