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das Bäumchen, verwechselt das Seelchen. Von Pjotr weiß ich noch gar nichts, als daß er sehr ungestüm sein wird, aber da er der Jüngste ist und mir schon jetzt die meisten Schmerzen verursacht hat, liebe ich ihn mehr als Iwan und Sofija zusammen. Vor allem Sofija lege ich Ihnen ans Herz. Sie ist sechzehn Jahre alt und schon ein Weib. Sie werden sie lieben, wehren Sie nicht ab. Ich kenne Sie. Und Sofija wird gescheit und eitel genug sein, Sie wiederzulieben. Aber sie braucht eine feste Hand.«

      Sie griff nach der zarten, eleganten Hand des Fürsten.

      »Ich weiß, diese Hand ist klein und schmal. Aber was sie einmal ergriffen hat, das hält sie fest. Halten Sie Sofija, halten Sie Rußland fest mit dieser winzigen Hand.«

      Der Fürst neigte sich über das Bett und küßte Natalia Naryschkina leicht die Stirn.

      Natalia Naryschkina schwebte auf einer weißen Abendwolke zum Himmel. Die Wolke schien ein Schwan, wie er auf Pjotrs Wiege abgebildet war. Er regte majestätisch seine sanften Schwingen. Seine Augen glänzten wie grüne Smaragde.

      Weit aufgetan war das kupferne Tor des Himmels. An der Pforte stand ein Engel in einem Zobelpelz, eine weiße Lammfellmütze auf dem Kopf. Er neigte sich, die Arme über der Brust gekreuzt wie ein Leibeigener. Schon stand ein mit zwei geflügelten Schimmeln bespannter Schlitten bereit, Natalia Naryschkina über die Schneefelder des Himmels zu IHM zu führen, der wie ein Eisberg kristallisch und kühn auf dem Polarstern thront. Sein Stuhl ist aus Lapislazuli. Seine Augen sind helle Saphire, sein Herz ist ein dunkelroter Rubin, der durch seine diamantne Brust leuchtet. Im kühlen roten Licht seines Herzens vergeht und schmilzt alles dahin wie Schnee im Frühlingswind: Gut und Böse, Haß und Liebe, Glück und Schmerz.

      Natalia Naryschkina wollte die Lippen öffnen. Er aber wußte schon alles, was sie getan, gedacht, gewollt. Er nahm ihren Willen für Vollendung und ihre Untaten für nicht getan. Daß sie Alexej Michailowitsch betrogen – er rechnete es ihr nicht an. Daß sie den Fürsten Galizyn geliebt: er war darüber froh und beglückt. Väterlich zog er sie an seine Brust. Wie wohl das tat: diese Kühle nach all dem Fieber. Diese Ruhe nach all der Unrast.

      Da fielen ihr die Kinder ein.

      Er schob mit seiner steinernen Hand die Wolken auseinander: da sah sie unten auf der Erde ihre drei Kinder. Pjotr schlief in der Wiege und verzog im Traum sein Gesicht. Iwan lag in einer Hundehütte und bellte. Sofija blickte dem Fürsten Galizyn über die Schulter, der nachdenklich an einer lateinischen Trauerode auf den Tod der unvergleichlichen Natalia Naryschkina feilte. Er markierte mit dem Gänsekiel den Takt der Verse:

      -???-???-???-???-???-???-???

      »Das sind Daktylen. Oder sollte man lieber den Anapäst wählen: was meinen Sie, Sofija?«

      Sofija blickte hilflos zu ihm nieder. Daktylen? Anapäste: was ging das sie an? Waren das Leibeigene, die man peitschen, Untertanen, denen man befehlen konnte? Ach, Daktylen, sie glitten leicht und sinnlos dahin wie die Wellen der Wolga.

      »Ich glaube, Fürst, Daktylen passen sehr gut für die arme Mama. Sie hatte so etwas Gleitendes, Schwebendes wie diese Verse, die Sie mir eben vorlasen und die ich nicht verstehe. Ich verstand übrigens auch Mama nicht. Wenn ich einmal gestorben sein werde, können Sie es bei Ihrem Trauercarmen auf mich ja einmal mit Anapästen versuchen. Die klingen härter, männlicher.«

      Der Fürst:

      »Sind Sie denn ein Mann, Sofija?«

      Sofija blickte trotzig ihm auf die Stirn.

      Pjotr wurde im Kinderwagen vorübergefahren.

      Er heulte wie ein Wolf.

      Die Amme zog entschuldigend die Schulter schief:

      »Er schreit Tag und Nacht und ist nicht zur Ruhe zu kriegen.«

      Sofija sah zum Fürsten hinüber:

      »Vielleicht gelingt es mir einmal, ihn stumm zu machen.« -

      Sie ging. Der Kies knarrte unter ihren festen, harten Schritten.

      Der Fürst sah ihr tief erschrocken nach.

      »Dieses Kind hat entsetzliche Pläne. Werde ich es zu bändigen wissen?«

      Er sah zum Himmel empor, wo Natalia Naryschkina an der Brust des weißen Herrn lag und auf ihn niederblickte.

      »Hilf mir, heilige Natalia«

      Eine Träne tropfte aus ihrem Auge.

      Über Preobraschensk begann es zu regnen.

      Nach zwei Jahren befällt Pjotr eine plötzliche Lähmung.

      Seine Beine müssen geschient werden.

      Der alte Kutscher Potapoff schüttelt bedenklich sein Haupt. Es geht ihm ganz wie Ilja, dem gewaltigen Sohn des Bauern Iwan, dem Helden von Kiew. Dreißig Jahre konnte er sich nicht bewegen, weder Hände noch Füße regen, saß unbeweglich auf einem Fleck. Bis der fremde Pilger eines Tages zu ihm trat und sprach: »Steh auf« – da konnte er stehen – »Geh« – da konnte er gehen. »Nimm dieses Schwert und bekämpfe die Drachen- und Schlangenbrut« Und er gab ihm das Schwert, das einst der Engel Gabriel gegen Luzifer geschwungen hatte. »Kämpfe damit Aber nenne deinen Feinden nie deinen Namen. Zeige dein Angesicht, aber verbirg dein Herz unter einem eisernen Panzer. Seinen Namen nennt nur der Besiegte. Sein Herz zeigt nur der Tor. Der Held kämpft namen- und herzlos. Wer den Namen seines Gottes vor seinen Feinden ruft, der gibt sich aus der Hand.«

      So sprach der alte Kutscher Potapoff.

      »Pjotr mag dreißig Jahre ruhig gelähmt bleiben. Ich habe keine Angst um ihn.«

      Pjotr genas ebenso plötzlich, wie er erkrankt war. Und war er früher ein schwächliches, zartes Kind gewesen, so wuchs er jetzt zu einem jungen Bären heran, der sich mit Potapoffs Wolf herumbiß. Einmal muß Potapoff den Wolf aus Pjotrs Klauen retten. Pjotr hätte ihm sonst die Kehle durchgebissen. Dagegen rettete Fürst Galizyn Pjotr eines Tages durch einen glücklichen Zufall aus ernstlicher Lebensgefahr. Er fand den närrischen Iwan am Bett des schlafenden Pjotr. Iwan zückte einen Dolch in seiner Hand. Der Fürst entwand ihm das Messer. Er betrachtete es aufmerksam. Er zog die Stirn in Falten und schob die Brille von der Nase, wie er zu tun pflegte, wenn er nachdachte. Endlich besann er sich, wo er den Dolch schon einmal gesehen hatte. In Sofijas Händen. Sie hatte damit gespielt und ihm das Messer zum Scherz auf die Brust gesetzt. -

      »Du hast das Messer Sofija gestohlen?« fragte der Fürst.

      »Nein,« sagte der Idiot mit einem bösen Blick, »Sofija hat mir das Messer gegeben, und darum hast du kein Recht, es mir zu nehmen.«

      »Troll dich«, schrie der Fürst. Er zitterte vor Aufregung, die Brille klirrte auf den Mosaikfußboden, der den letzten Kaiser von Byzanz zeigte.

      Der Idiot schlich mit geducktem Kopf von dannen.

      An der Tür bleckte er noch einmal die Zunge heraus.

      Der Fürst ging Sofija suchen. Er begegnete ihr im Hof, wie sie gerade von ihrem Nachmittagsritt heimkam. Sie sprang vom Pferd, warf ihm die Zügel über, gab ihm einen Schlag mit der flachen Hand und ließ den Rappen allein zum Stall traben.

      Sie schlug dem Fürsten mit der Reitpeitsche leicht über die Schulter.

      Er zuckte zusammen. Sein weiches, kindliches Gesicht versuchte sich männlich zu straffen.

      »Lassen Sie die Kindereien, Sofija -«

      »Oh, das war gar keine Kinderei, Andrej. Ich schlug Sie nur – weil ich Sie liebe. Lieben Sie mich ebenfalls?«

      Sie spitzte ihren Mund wie eine Haselmaus und schien ihn hier im Hof öffentlich zum Kuß herauszufordern.

      Der Fürst wurde ärgerlich.

      »Ja, ich liebe Sie ebenfalls. Glühend. Leidenschaftlich. Aber doch nicht bis zu jenem Wahnsinn, den Sie vorzuhaben scheinen.«

      Er zog den Dolch aus der Rocktasche:

      »Kennen Sie dieses Messer?«

      Sofija erblaßte leicht:

      »Zeigen Sie her. – Allerdings. Es pflegt zu meiner persönlichen Verteidigung auf dem Nachttisch an meinem Bett zu

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