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der Stirne, angehört: er fühlte, daß in der Seele des gerechten Mannes, der gesprochen hatte, nicht die Anklage, sondern der Zweifel war.

      Es war beinahe vier Uhr, als sich die Jury in den Berathungssaal zurückzog.

      Man führte den Angeklagten weg, und, – unerhörtes Factum in den gerichtlichen Annalen! – nicht eine von den seit dem Morgen anwesenden Personen dachte daran, ihren Platz zu verlassen, welche Zeit auch die Beratschlagung sich verlängern sollte.

      Es war also von diesem Augenblicke an im Saale ein ungeheures, äußerst belebtes Gespräch, das sich über die verschiedenen Umstände der Debatten entwickelte, während sich zugleich eine entsetzliche Bangigkeit aller Herzen bemächtigte.

      Herr Gérard hatte gefragt, ob er sich entfernen könne. Seine Kraft reichte aus, um die Todesstrafe beantragen zu hören: sie ging aber nicht so weit, daß er diese Strafe aussprechen zu hören vermochte.

      Er stand auf, um wegzugehen.

      Die Menge war, wie gesagt, sehr gedrängt, und dennoch bildete sich sogleich eine Passage auf seinem Wege: Jeder trat auf die Seite, als wollte er einem unreinen oder garstigen Thiere Platz machen: der Zerlumpteste, der Aermste, der Schmutzigste der Zuhörer hätte sich durch die Berührung dieses Menschen befleckt geglaubt.

      Gegen halb fünf Uhr hörte man den Ton einer Klingel.

      Vom Inneren des Saales ausgegangen, theilte sich ein Schauer beim Klange dieses Glöckchens nach außen mit. Sogleich, wie eine steigende Fluth, schlug die Woge den Saal, und Jeder beeilte sich, sich niederzusetzen. Doch das war eine vergebliche Aufregung: der Ches der Jury ließ ein Actenstück vom Processe verlangen.

      Indessen drangen die ersten Strahlen eines bleichen, grauen Tages durch die Fenster ein und singen an das Licht der Kerzen und der Lampen zu vermischen. Das war die Stunde, wo die stärksten Organisationen die Müdigkeit fühlen: es war die Stunde, wo die heitersten Geister die Traurigkeit begreifen: es war die Stunde, wo man friert.

      Gegen sechs Uhr wurde das Glöckchen aufs Neue hörbar.

      Diesmal konnte keine Täuschung mehr stattfinden: es war wohl die Freisprechung oder das Todesurtheil, was nach einer zweistündigen Berathung verkündigt werden sollte.

      Eine elektrische Bewegung theilte sich der ganzen Versammlung mit, deren Schauer man, so zu sagen, aus der Oberfläche sah. Die Stille trat wie durch einen Zauber bei diesem eine Secunde vorher so geräuschvollen und so bewegten Auditorium wieder ein.

      Die Verbindungsthüre zwischen dem Audienzsaale und dem Berathungssaale öffnete sich, die Mitglieder der Jury erschienen, und Jeder strengte sich an, zum Voraus aus ihrem Gesichte den Spruch, der verkündigt werden sollte, zu lesen: die Züge von einigen derselben deuteten die lebhafteste Gemüthsbewegung an.

      Der Gerichtshof kam einige Augenblicke nachher.

      Der Ches der Jury trat vor, und, die Hand aus der Brust, aber mit schwacher Stimme, begann er die Lesung des Wahrspruches.

      Fünf Fragen waren der Entscheidung der Jury unterworfen worden.

      Sie waren also abgefaßt:

      »1. Ist Herr Sarranti schuldig, mit Vorbedacht einen Mord an Orsola begangen zu haben?

      »2. Ist dieses Verbrechen anderen hiernach specificirten Verbrechen vorangegangen?

      »3. War der Zweck desselben, die Vollbringung dieser Verbrechen zu erleichtern oder vorzubereiten?

      »4. Hat Herr Sarranti am Tage des 19. August oder in der Nacht vom 19. aus den 20. einen Diebstahl mit Einbruch in der Wohnung von Herrn Gérard begangen?

      »5. Hat er die zwei Neffen des genannten Herrn Gérard verschwinden gemacht?«

      Es trat eine Pause von einem Augenblicke ein.

      Keine Feder vermöchte die Bangigkeit dieses Augenblicks wiederzugeben, der, obgleich schnell wie der Gedanke, dem Abbé Dominique, welcher mit dem Advocaten bei der leeren Bank des Angeklagten geblieben war, ein Jahrhundert scheinen mußte.

      Der Chef der Jury sprach folgende Worte:

      »Bei meiner Ehre und bei meinem Gewissen, vor Gott und vor den Menschen ist die Erklärung der Jury:

      »»Ja, mit Stimmenmehrheit bei allen Fragen, der Angeklagte ist schuldig!««

      Aller Augen waren auf Dominique geheftet: er stand wie die Anderen.

      Durch die graue Atmosphäre des Morgens sah man seine Blässe sich in Leichenfarbe verwandeln; er schloß die Augen und hielt sich am Geländer fest, um nicht zu fallen.

      Das ganze Auditorium erstickte einen Seufzer des Schmerzes.

      Es wurde der Befehl gegeben, den Angeklagten hereinzuführen.

      Aller Augen wandten sich nach der kleinen Thüre.

      Herr Sarranti erschien wieder. Dominique reichte ihm die Hand und sprach nur die Worte:

      »Mein Vater!«

      Doch er hörte den Todesspruch an, wie er die Anklageacte gehört hatte, – ohne ein Zeichen von Aufregung von sich zu geben.

      Weniger unempfindlich, stieß Dominique eine Art von Seufzer aus, schaute mit glühendem Auge den Platz an, den Herr Gérard inne gehabt hatte, und zog mit einer krampfhaften Bewegung eine Papierrolle aus seiner Tasche: dann schob er mit einer äußersten Anstrengung diese Rolle wieder in seinen Rock zurück.

      Während des kurzen Augenblicks, der so viele verschiedenartige Empfindungen in sich schloß, beantragte der Herr Staatsanwalt mit einer mehr erschütterten Stimme, als man von einem Manne hätte erwarten sollen, der diesen strengen Spruch hervorgerufen hatte, gegen Herrn Sarranti die Anwendung der Artikel 293, 296, 302 und 304 des Strafcodex.

      Der Hof begann die Berathung.

      Das Gerücht verbreitete sich nun im Saale, wenn Herr Sarranti ein paar Secunden im Saale wiederzuerscheinen gesäumt habe, so sei dies der Fall gewesen, weil er, während man seinen Todesspruch ausgearbeitet, tief eingeschlafen sei. Zugleich sagte man, der Wahrspruch der Schuldhaftigkeit habe nur die streng nothwendige Majorität für sich gehabt.

      Nach einer Berathung von fünf Minuten setzte sich der Hof wieder, und der Präsident verkündigte mit tiefer Bewegung und einer erstickten Stimme den Spruch, der Herrn Sarranti zur Todesstrafe verurtheilte.

      Dann sagte er, sich an Herrn Sarranti wendend, der ruhig und unempfindlich gehört hatte:

      »Angeklagter Sarranti, Sie haben drei Tage, um ein Cassationsgesuch einzureichen.«

      Sarranti verbeugte sich.

      »Ich danke, Herr Präsident,« erwiderte er; »doch es ist nicht meine Absicht, dies zu thun.«

      Dominique schien bei diesen Worten mit Gewalt aus seiner Betäubung gerissen zu werden.

      »Doch, doch, meine Herren,« rief er, »mein Vater wird um Cassation nachsuchen, denn er ist unschuldig.«

      »Mein Herr,« sagte der Präsident, »das Gesetz verbietet, solche Worte auszusprechen, wenn das Urtheil verkündigt ist.«

      »Dem Advocaten des Angeklagten, Herr Präsident, doch nicht seinem Sohne,« rief Emanuel. »Wehe dem Sohne, der nicht immer an die Unschuld seines Vaters glaubt!«

      Der Präsident schien einer Ohnmacht nahe.

      »Mein Herr,« sagte er zu Sarranti, dem er diesen Titel gegen alle Gewohnheit gab, »haben Sie eine Bitte an den Hof zu richten?«

      »Ich bitte, frei meinen Sohn sehen zu dürfen, der sich hoffentlich nicht weigern wird, mir als Priester aus dem Schaffot beizustehen.«

      »Oh! mein Vater, mein Vater,« rief Dominique, »Sie werden es nie besteigen, das schwöre ich Ihnen!«

      Mit leiser Stimme fügte er dann bei:

      »Und wenn es Jemand besteigt, so werde ich es sein.«

       II

      Die Liebenden der Rue Macon

      Wir haben gesagt, welche Wirkung der Urtheilspruch im Inneren des Saales hervorbrachte:

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