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läßt, welchen er die ganze Welt, selbst die Könige, hat bezahlen lassen! Auf diese Art gibt man sich am Ende, so sicher ist das Gesetz des Fortschrittes, über Alles Rechenschaft: armes Volk! Du stirbst vor Hunger, das ist wahr, Du weißt aber doch wenigstens, wie und warum Du stirbst; die Hungersnoth ist nicht mehr das Resultat der Störung der Jahreszeiten, der atmosphärischen Veränderungen, der Kataklysmen der Natur: die Hungersnoth ist ein natürliches, gesetzliches, beim Parlament einregistrirtes Phänomen; man hat Hunger auf Befehl von Ludwig, und weiter unten gezeichnet Pbilippeaux.

      »Man hat unter Ludwig XIV. Hunger gehabt, man hat unter Ludwig XV. Hunger gehabt, man hat unter Ludwig XVI. Hunger; vier Generationen sind sich gefolgt, von denen nicht eine gesättigt worden ist: die Hungersnoth ist in Frankreich naturalisirt; sie hat hier ihren Vater und ihre Mutter: ihren Vater, die Steuer, ihre Mutter, die Speculation; eine monstruose Verbindung, die indessen ihre Früchte trägt, Kinder hervorbringt, eine eigenthümliche Race erzeugt, eine grausame, hungrige, unersättliche Race, eine Race von Lieferanten, Banquiers, Gefällpächtern, Financiers, Generalpächtern, Intendanten und Ministern; Du kennst sie, armes Volk! diese Race: Dein König hat sie geadelt, verherrlicht, in seine Carrossen steigen lassen, an dem Tage, wo sie nach Versailles kam, um ihn den Hungersnothvertrag unterzeichnen zu machen.

      »Und, armes Volk! in Ermangelung von Brod hast Du Philosophen und Oeconomisten, die Turgot und die Necker, Dichter, welche die Georgica übersetzen, Dichter, welche die Jahreszeiten machen, Dichter, welche die Monate machen; Jeder spricht über Landwirtschaft, schreibt über die Landwirthschaft, macht Versuche über die Landwirtschaft. Und Du, während dieser Zeit, Du, armes Volk! da der Fiscus Deine Ochsen, Deine Pferde, Deine Esel verschlungen hat, Du spannst Dich mit Deinem Weibe und Deinen Kindern an den Pflug an. Zum Glücke verbietet das Gesetz, das Pflugeisen in Beschlag zu nehmen; doch sei ruhig, das wird kommen! Das wird kommen, und dann wirst Du mit demselben Instrumente, mit dem Du Dir die Brust seit fünfzig Jahren öffnest, die Erde öffnen! Sterbend wirst Du die todte Erde mit Deinen Nägeln aufkratzen!

      »Oh! armes Volk!

      »Nun wohl! wenn dieser Tag gekommen ist, – und er wird kommen! – wenn die Frau einen letzten Bissen Brod von ihrem Manne verlangen und dieser sie mit einer grimmigen Miene anschauen wird, ohne ihr zu antworten; wenn die Mutter nur noch Thränen dem Geschrei ihres Kindes, dessen Eingeweide der Hunger verzehrt, wird zu geben haben; wenn die Entkräftung die Milch der Amme vertrocknet, und ihr ausgehungerter Säugling nur noch ein wenig Blut aus ihren Brüsten ziehen wird; wenn die Buden Deiner Bäcker, offen oder geschlossen, leer sein werden; wenn Du in Deiner Verzweiflung genöthigt sein wirst, um Dich zu nähren, Deine Zuflucht zu den ekelhaftesten Dingen, zu den abscheulichsten Thieren zu nehmen, – noch glücklich, wenn sie Dir Dein Bruder nicht entreißt, um sich selbst damit zu nähren! dann, armes Volk, wirst Du einmal für allemal über den Lafayette und den Necker enttäuscht sein, und Du wirst zu mir kommen, zu mir, Deinem wahren, Deinem einzigen Freunde, da ich allein Dich zum Voraus von den Calamitäten, die man für Dich bestimmt, von den Gräueln, denen Du vorbehalten bist, werde in Kenntniß gesetzt haben! . .«

      Diesmal hielt Marat im vollen Ernste an; hätte er aber auch nicht angehalten, es wäre ihm unmöglich gewesen, weiter zu gehen, so sehr war es für den wachsenden Enthusiasmus Bedürfniß, loszubrechen.

      Er stieg nicht von der Tribune herab: er wurde herabgetragen.

      Doch in dem Augenblicke, wo alle Arme sich gegen ihn ausstreckten, wo alle Hände, die ihn nicht berühren konnten, ihm zu Ehren klatschten, wo alle Stimmen jene unartikulirten Schreie von sich gaben, welche manchmal die Freude eben so furchtbar machen, als den Zorn, hörte man gewaltig an die Thüre von der Straße aus klopfen.

      »Stille!« rief der Herr des Etablissements.

      Und es trat sogleich völlige Stille ein.

      Unter dem allgemeinen Schweigen hörte man auf dem Straßenpflaster den Kolben der Gewehre der Wache schallen.

      Dann klopfte man zum zweiten Male noch heftiger als das erste Mal.

      »Oeffnet!« sprach eine Stimme, »ich bin es . . . ich, Dubois! der Ritter von der Wache in Person, der wissen will, was hier vorgeht . . . Im Namen des Königs, öffnet!«

      In demselben Augenblicke, und wie durch einen Hauch ausgeblasen, erloschen alle Lichter, und man befand sich in der tiefsten Finsterniß.

      Einen Moment verblüfft und unsicher, fühlte Danton, daß ihn eine kräftige Hand beim Faustgelenke faßte.

      Diese Hand war die von Marat.

      »Komm! sagte er; »es ist von Wichtigkeit, daß man weder den Einen, noch den Andern von uns hier festnimmt, denn die Zukunft bedarf unserer.«

      »Komm . . .« erwiederte Danton, »das ist leicht zu sagen . . . Ich sehe nichts . . .«

      »Ich sehe,« versetzte Marat; »ich habe so lange in der Nacht gelebt, daß die Finsterniß mein Licht geworden ist.«

      Und er zog in der That Danton mit derselben Geschwindigkeit und derselben Sicherheit fort, als ob Beide bei Hellem Tage, im Angesichte der Sonne gegangen wären.

      Danton überschritt die Schwelle einer kleinen Thüre und stieß an die erste Stufe einer Wendeltreppe, deren Mitte er nicht erreicht hatte, als er die Angeln knirschen und die Füllungen der Haupteingangsthüre unter dem Kolben der Gewehre der Nachtwache brechen hörte.

      Dann folgte ein erschrecklicher Tumult auf dieses erste Geräusch. Die Wache machte offenbar einen Einfall in den Clubb.

      In diesem Momente öffnete Marat eine Thüre, welche auf die Rue des Bons-Enfants ging.

      Die Straße war verlassen und ruhig.

      Marat schloß die Thüre hinter sich und hinter Danton und steckte den Schlüssel in die Tasche.

      »Nun haben Sie zwei Clubbs gesehen,« sagte er: »den Socialclubb und den Clubb der Menschenrechte; im einen spricht man über den Negerhandel, im andern über den Weißenhandel; welcher beschäftigt sich nach Ihrer Ansicht mit den wahren Interessen der Nation? Sagen Sie.«

      »Herr Marat,« erwiederte Danton, »ich habe Sie, diese Gerechtigkeit werden Sie mir widerfahren lassen, beim ersten Worte, beim ersten Anblicke begriffen; nur glaube ich, daß wir uns, nachdem wir uns begriffen, müssen kennen lernen.«

      »Ah! ja,« sagte Marat, »und ich kenne Sie, während Sie mich nicht kennen . . . Wohl! es sei!.. frühstücken Sie morgen mit mir.«

      »Wo dies?«

      »Im Marstalle von Artois . . . Sie mögen nach dem Doctor Marat fragen; doch ich sage Ihnen zum Voraus, wir werden bei mir nicht frühstücken, wie wir bei Ihnen zu Mittag gegessen haben.«

      »Gleichviel! ich werde Ihnen zu Liebe und nicht Ihrem Frühstücke zu Liebe kommen.«

      »Oh! wenn Sie mir zu Liebe kommen, dann bin ich ruhig; da Sie eine gute Aufnahme finden werden, so werden Sie auch zufrieden sein.«

      »Morgen also!« sagte Danton, indem er eine Bewegung machte, um sich zu entfernen.

      Dann näherte er sich aber wieder Marat, dessen Hände er noch nicht ganz losgelassen hatte, und sprach:

      »Sie müssen sehr gelitten haben.«

      Marat lachte bitter.

      »Sie glauben?« sagte er.

      »Ich bin dessen sicher.«

      »Ei! Sie sind ein größerer Philosoph, als ich dachte.«

      »Ich täuschte mich also nicht?«

      »Das ist es gerade, was ich Ihnen morgen zu erzählen gedenke,« erwiederte Marat. »Kommen Sie.«

      Und während Marat wieder nach dem Platze des Palais-Royal ging, entfernte sich Danton in der Richtung des Pont-Neuf durch die Rue du Pélican.

      In dieser Nacht schlief Danton schlecht: wie der Taucher von Schiller, war er in einen Abgrund getaucht und hatte darin unbekannte Ungeheuer entdeckt!

       IX

      Der Marstall von Monseigneur dem Grafen von Artois

      Wir werden

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