Скачать книгу

Immerhin schienen hier Menschen zu wohnen. Es gab Straßen mit mehr als nur einem Haus, was es immerhin fast wie eine Stadt aussehen ließ. All die Gebäude, Häuser und Geschäfte waren so winzig und malerisch, ganz nah an der Straße und in allen Farben des Regenbogens gestrichen. Keira war erleichtert, endlich an einem Ort zu sein, der nicht nur aus vereinzelten Häusern und einsamen Straßen bestand.

      Sie fuhr langsamer und folgte den Straßenschildern bis sie die Adresse fand, die sie suchte, das St. Paddy's Inn. Das B&B befand sich auf der Ecke zweier Straßen, ein dreistöckiges, dunkelrotes Backsteingebäude. Von außen sah es für Keira sehr irisch aus.

      Sie parkte den Wagen, sprang heraus und holte ihre Tasche aus dem Kofferraum. Sie war erschöpft und wollte sich gern ausruhen.

      Aber als sie näher kam, war schnell klar, dass an Ausruhen gar nicht zu denken war. Schon von Weitem hörte sie fröhliche Unterhaltung und lautes Debattieren. Außerdem hörte sie Musik. Geige, Klavier und Akkordeon.

      Die Glocke über der Tür klingelte, als sie das Gebäude betrat, einen kleinen dunklen Pub mit alten karmesinroten Tapeten und vielen runden Holztischen. Der Pub war zum Bersten gefüllt, alle hatten ein Bier in der Hand. Sie schauten sie an, als sie eintrat und konnten offenbar sofort erkennen, dass sie hier nicht hingehörte, dass sie nicht nur eine Touristin, sondern darüber hinaus auch noch Amerikanerin war.

      Keira fühlte sich von dem Kulturschock ein wenig überwältigt.

      „Was darf's denn sein?“, sagte eine männliche Stimme mit starkem Akzent, den Keira kaum verstehen konnte. Sie schaute zur Bar, hinter der ein alter Mann stand. Er hatte ein faltiges Gesicht und ein Büschel grauer Haare mitten auf dem ansonsten kahlen Kopf.

      „Ich bin Keira Swanson“, sagte sie und trat näher. „Vom Viatorum Magazin.“

      „Ich verstehe kein Wort! Lauter!“

      Keira versuchte, die laute Musik zu übertönen und wiederholte ihren Namen. „Ich habe hier ein Zimmer gebucht“, fügte sie hinzu, als der Mann sie nur ratlos anschaute. „Ich bin eine Journalistin aus Amerika.“

      Schließlich schien der Mann doch zu verstehen, wer sie war und warum sie hier war.

      „Ja, sicher!“, rief er und grinste breit. „Von der Zeitung mit dem schicken lateinischen Namen.“

      Er hatte eine warmherzige Ausstrahlung, geradezu großväterlich, und Keira entspannte sich ein wenig.

      „Genau die“, bestätigte sie.

      „Ich bin Orin“, sagte er. „Mir gehört St. Paddy. Ich wohne hier. Und das ist für dich.“

      Ein Glas Guinness wurde vor ihr auf dem Tresen abgestellt. „Ein traditionelles St. Paddy-Willkommen.“

      Keira zögerte. „Ich trinke eigentlich nicht“, sagte sie lachend.

      Orin schaute sie vielsagend an. „Doch, tust du, solange du im County Clare bist, Mädchen. Hier kannst du ganz locker sein, wie jeder andere auch. Und außerdem müssen wir auf deine sichere Reise anstoßen! Dank sei der Jungfrau Maria.“ Er bekreuzigte sich.

      Keira fühlte sich ein wenig überrumpelt, als sie das Guinness nahm und an dem starken Gebräu nippte. Sie hatte noch nie vorher Guinness getrunken und der Geschmack sagte ihr nicht gerade zu. Nach dem kleinen Schluck war sie sich ziemlich sicher, das nicht austrinken zu können.

      „Hört mal alle!“, rief Orin den anderen Besuchern des Pubs zu. „Das ist die amerikanische Journalistin!“

      Keira wollte sich verkriechen, als sich plötzlich alle zu ihr umdrehten, applaudierten und jubelten, als sei sie eine prominente Persönlichkeit.

      „Wir freuen uns ja so, dass du da bist!“, sagte eine Frau mit krausen Haaren. Für Keiras Geschmack kam sie ihr etwas zu nahe und lächelte etwas zu breit. Dann fügte sie etwas leiser hinzu: „Du solltest vielleicht den Guinnessbart von der Lippe wischen.“

      Rot vor Scham, tat Keira genau das. Gleich darauf hatte sich eine andere Besucherin mit den Ellenbogen einen Weg durch die Menge gebahnt, was niemanden zu stören schien. Sie verkleckerte ein wenig von ihrem Getränk unterwegs. „Ich kann es nicht erwarten, den Artikel zu lesen.“

      „Oh, danke“, sagte Keira. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass die Leute hier lesen würden, was man über sie schrieb. Das würde es vielleicht doch deutlich schwieriger machen, den zynischen Blickwinkel beizubehalten.

      „Wieso bist du Journalistin geworden?“, fragte ein Mann neben ihr.

      „Ich bin einfach nur eine Autorin. Keine Reporterin“, antwortete sie errötend.

      „Nur eine Autorin?“, rief der Mann laut und Aufmerksamkeit heischend. „Habt ihr das gehört? Sie sagt, sie ist nur eine Autorin. Also, ich kann mal gerade so einen Stift festhalten. Da musst du wohl ein wahres Genie sein.“

      Alle lachten. Nervös nahm Keira noch ein paar kleine Schlucke vom Guinness. Die irische Gastfreundschaft war ihr durchaus recht, aber es war auch ein ziemlicher Kulturschock. Es gab so viele Möglichkeiten, diesen Ort in ihrem Artikel niederzumachen, das wurde ihr unangenehm bewusst.

      „Ich zeige dir dein Zimmer“, sagte Orin schließlich, als sie wenigstens die Hälfte ihres Biers ausgetrunken hatte.

      Sie folgte ihm eine schmale, knarzende Treppe hinauf, einen Korridor entlang, der mit einem fadenscheinigen Teppich ausgelegt war und arg staubig roch. Keira folgte ihm schweigend, nahm alles in sich auf und entwarf im Geiste ein paar scharfe Formulierungen über die veraltete Einrichtung. An den Wänden hingen gerahmte, verblasste Fotografien von örtlichen Fußballmannschaften der Vergangenheit. Keira musste schmunzeln, als sie sah, dass viele der Spieler denselben Nachnamen trugen: O'Sullivan. Sie machte heimlich ein Foto von einem der Schwarzweißbilder und schickte es an Zachary mit dem Kommentar: Mr. O'Sullivan muss ein fruchtbares Zuchttier gewesen sein.

      „So, da sind wir“, sagte Orin, öffnete eine Tür und ließ sie eintreten.

      Das Zimmer war grauenvoll. Obwohl groß, mit einem Doppelbett und großem Fenster, war es schrecklich eingerichtet. Die Tapete war pfirsichfarben, mit Flecken, die viele Generationen von Händen hinterlassen hatten. Auf dem Bett lag eine dünne Steppdecke, aber nicht hübsch gemustert, sondern eher wie aus einem Notlager.

      „Das ist das Zimmer mit dem Tisch“, sagte Orin und grinste stolz. Er deutete auf einen kleinen Holztisch am Fenster. „Zum Schreiben.“

      Keira errötete. Sie war innerlich entsetzt von der Vorstellung, einen ganzen Monat in diesem schmierigen Zimmer wohnen zu müssen. Aber sie quetschte ein „Danke schön“ hervor. So viel zu dem Thema, sie würde locker einen Monat rustikal leben können.

      „Willst du dich erst einmal etwas eingewöhnen, bevor du Shane kennenlernst?“, fragte Orin.

      Keira runzelte verwirrt die Stirn. „Wer ist Shane?“

      „Shane Lawder. Dein Führer für das Festival“, erklärte Orin.

      „Natürlich“, sagte Keira und erinnerte sich an Heathers Notizen. Da war die Rede von einem Tourführer gewesen. „Ja, danke, ich würde Shane gern kennenlernen.“ Sie hatte nicht das geringste Bedürfnis, auch nur eine einzige Minute länger in diesem Zimmer zu bleiben. Sie warf ihre Tasche auf das Bett und ging die knarzende Treppe wieder hinunter.

      „Shane!“, rief Orin, nachdem er seinen Platz hinter dem Tresen wieder eingenommen hatte.

      Zu Keiras Überraschung war es der Geigenspieler, der antwortete. Er legte das Instrument beiseite und kam zu ihnen herüber, während die anderen Musiker einfach weiterspielten, als wäre nichts gewesen.

      Keira konnte erkennen, dass sich unter seinem Zottelbart ein kantiger Kiefer verbarg. Tatsächlich war es so, dass er durchaus gutaussehend gewesen wäre, wenn er sich nur die Haare geschnitten und weniger schlabberige Kleidung getragen

Скачать книгу