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du schwimmen, Hann?« fragte er deshalb mit plötzlichem Entschluß, wobei er seine Hakennase spürend in die Abendröte erhob.

      »Ne, Siebenbrod.«

      »Sag' Vater zu mich.«

      »Du bist ja aberst nicht mein Vater.«

      »Das schadet nichts. Sag' so.«

      »Ne, ich kann nicht schwimmen, Vater.«

      Der Junge begann wieder leise zu schaudern. Warum sollte er dem Bootsmann diesen Namen erteilen? Sein richtiger Vater schlief doch dort drüben unter den belaubten Ulmen, die man hinter der Kirche hervorlugen sah – Und weshalb grinste Siebenbrod so komisch bei dem Worte »schwimmen«?

      »Siehst du,« bemerkte der Stiefvater, indem er noch näher an den sitzenden Jungen herantrat, wobei er mit gespreizten Beinen das Schwanken des Schiffleins zu verhindern suchte. »Das ist das Unglück bei uns Schiffern und Fischern. – Keiner kann. – Mein Vater is auf solche Weise vertrunken, und mein Großvater is auch vertrunken. Deshalb will ich dich jetzt die Kunst zeigen. Du willst ihr doch lernen?«

      »Woll,« stotterte Hann mit Beben.

      »Gut, dann komm zu mich – aberst vorsichtig.«

      Hann kroch dicht neben den Stehenden hin. Der besah ihn sich schmunzelnd.

      Jetzt folgte ja eigentlich ein großer Spaß. Und dann war's ja auch eine Wohltat.

      »Fürchtest du dich?« fragte er noch einmal.

      Der Knabe schüttelte mit zugeschnürter Kehle den Kopf. Sprechen konnte er nicht mehr.

      »Na, dann pass' auf! – So wird's gemacht.« Ein rascher Griff – die Habichtskrallen hakten sich wieder, wie am Vormittag, in den Rockkragen des Jungen ein – dann hob er ihn hoch in die Höhe und ließ ihn zuvörderst ein wenig herumwirbeln.

      »Du fürchtest dich doch nicht?« meinte er noch einmal ehrlich. – »Na, dann schwimm.«

      Er ließ ihn los.

      Plumps. Das Boot schwankte, als wollte es kentern. Hann versank sofort spurlos unter die Oberfläche.

      »Na, also,« sagte Siebenbrod neugierig.

      Nach ein paar Sekunden tauchte Hann wieder empor, kirschrot im Gesicht, mit Händen und Füßen wie besinnungslos um sich schlagend.

      »So 's recht,« lobte Siebenbrod, »so bleib man bei.«

      »Hilfe – Hilfe – laß mir ins Boot.«

      »I ne, mein Jünging, dann lernst du ja nichts.«

      »Ich – ich – kann nich mehr.«

      »I – das glaubst du man. Siehst – stoß tüchtig aus – so 's schön.« Erst als Hann nach zehn Minuten wortlos das zweitemal versank, zog der Lehrmeister seinen Schüler auf die Planken zurück. Er war sehr zufrieden mit ihm. Aus Hann mußte etwas Erwähltes werden. Er hatte nach der Warmbieruhr eine volle Viertelstunde ausgehalten.

      »Schön – schöning.«

      Und wie der Junge völlig betäubt und teilnahmlos, zitternd und fröstelnd auf dem Vorratskasten saß, da schoß Siebenbrod der Gedanke durch den Kopf, daß er diese große Leistung auch gebührend ehren müsse. Rasch schloß er deshalb den Kasten auf, nahm die Flasche heraus, und als Hann errötend voller Ekel abwehrte, setzte er dem Jungen mit sanfter Gewalt das Glas an den Mund und zwang ihm mehrere Schluck hinunter.

      »I, Jünging, das is dich ja gesund, der schöne Kirsch, so – so – siehst du – na, ich sag bloß, aus dich wird was – sollst mal sehn.«

      Hann drehte sich etwas im Haupt. Aber dadurch steigerte sich Siebenbrods Zufriedenheit nur.

      Wie schön roch nicht der geliebte Kirsch.

      Wehmütig verbarg der Bootsmann das rubinfunkelnde Naß wieder in den Schiffsschrank. – »Ja, wenn man Zesnerfischer werden wollte.« Kein Spaß, wahrhaftig! Aber aus Hann wurde was! – Das stand fest.

* * *

      Der arme Junge.

      Er getraute sich nicht in das Lotsenhäuschen zurück, als Siebenbrod nach der gemeinschaftlichen Seefahrt in dem rotgepflasterten Flur verschwand. Noch zitterte er vom Kopf bis zum Fuß. Dazu summte der ungewohnte Alkohol förmlich in seinem Kopf herum. Er sah alles, als ob es auf Wolken tanze.

      Und dann die Scham!

      Geprügelt, durchgehauen, wie ein boshafter Köter. Nun wußten es doch gewiß bereits alle.

      Ganz sicher, von Line mußten sie es längst gehört haben.

      Oh, wenn bloß Line nicht dabei gewesen wäre. Das tat so weh. Er konnte sich selbst gar nicht erklären, warum das Bild des erstaunten, lächelnden Kindes in seinem Innern wie mit Messern eingerahmt schien.

      Das riß und schnitt.

      Ne, ne, lieber nicht Abendbrot essen, obwohl er vor Müdigkeit am liebsten sich auf die offene Dorfstraße geworfen hätte. Nein, irgend jemand dasjenige anvertrauen, was er erlebt. Wenn er das nur könnte!

      Aber wem?

      Der Junge dachte nach.

      Seinen Brüdern?

      Nein, nein, die waren zu fein dazu.

      Sein Mudding?

      Auch nicht, die weinte und gab selten Antwort.

      Draußen klang im selben Moment eine Handharmonika durch die stille Abendluft herüber.

      »Judemädel, wasch dich, kämm dich, putz dich schön,

      Denn wir woll'n zum Tanze geh'n.«

      Malljohann spielte wieder auf dem Dach seiner Kajüte, während am Bollwerk einige Matrosen mit ein paar Dorfmädchen dazu lachten und sangen.

      Bewahre, was sollte Hann wohl unter solch Fröhlichen anfangen?

      Ne, ne, Malljohann war auch nicht der richtige.

      Aber plötzlich wußte er's.

      Es gab nur einen.

      Oll Kusemann.

      Ja, zu dem mußte er sich schleichen.

      Und es war so natürlich, daß der Knabe zu dem Lügenlotsen seine Zuflucht nehmen wollte. Denn dieser Phantast ohnegleichen, dem das Leben eine einzige bunte Unwahrheit, eine schillernde Seifenblase erschien, der sich an seinen eigenen, närrischen Geistessprüngen ergötzte wie ein Kind, das den Affenkäfig beschaut, – er brauchte Hann als sein Publikum, als seinen Hörer – und deshalb liebte er ihn. Und auch Hann verehrte den Alten leidenschaftlich als seinen einzigen Freund. Ja, in das Wetterhäuschen zu oll Kusemann mußte der Junge.

      Vorsichtig, nach allen Seiten ausspähend, schlich der Geprügelte die wenigen Schritte bis zur Hafenmündung, wo auf einer Steinmole eine ausrangierte Badehütte stand.

      Das war der Beobachtungsposten des Lügenlotsen.

      Und richtig, da lehnte der Gesuchte in der offenen Tür, strich über seine schmucke, blaue Uniform und fuhr sich wohlig über den spitz geschorenen, grauen Kinnbart, denn oll Kusemann hielt sich trotz seiner Sechzig für einen schönen Mann, für einen Eroberer, von dem Frauen, Dirns und noch Jüngere zu erzählen wußten.

      Als er den fröstelnden Jungen gewahrte, schielte er mit seinen fröhlichen, blauen Augen auf ihn hin, denn oll Kusemann schielte ein wenig, spuckte pfeilschnell und kunstgerecht seinen Priem dem Ankömmling vor die Füße und äußerte teilnehmend: »Na, Hann, bist ins Wasser geschmissen worden?« Denn der Lügenlotse hatte durch sein Lugfenster und mit seinem Fernrohr längst das Erlebnis seines Freundes festgestellt.

      Hann stutzte.

      Was war das wieder für ein neues Wunder?

      »Woher weißt du das, oll Kusemann?«

      Statt einer Antwort wies der Angeredete mit seinem Fuß ein wenig in die Höhe, und da sah denn Hann, wie oben auf dem Dach der Hütte der gezähmte Rabe oll Kusemanns, Niklas mit Namen, hin und her hüpfte, von dem der Lotse oft mit größtem Ernst behauptet hatte, daß

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