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zögerte einen Moment. Dann schlang sie ihren Arm in den seinen. Die Frage war zu wichtig.

      »Hast du auch den lieben Gott gesehn?«

      Hann zögerte und seufzte wieder.

      Es fiel ihm zu schwer.

      »Hann, was tat der liebe Gott?«

      »Line – ich darf nicht drüber sprechen. Oll Kusemann hat es mir direkt verboten. Aber« – er wälzte sich seine Last ab – »du sollst es wissen. Der liebe Gott sitzt an einem großen goldenen Tisch und um ihn herum lauter graue Seelen.«

      »Und was machen sie da?«

      »Da essen sie Mittag.«

      »Mittag? Jemine, essen die da oben auch?«

      »Jawoll – die Schüsseln und Gläser hab' ich genau erkannt. Oll Kusemann sagt, die wären all' von Sonnenschein.«

      Line starrte ihn an.

      »So schön is es da oben?« fragte sie endlich. Begierig hob sie die Augen zu den großen roten Flecken empor, die sich allmählich silbern ränderten.

      Es wurde immer dunkler. – Plötzlich schrie Line auf.

      »Line, was is?«

      »O da oben!« rief sie und legte schaudernd den Kopf auf das Dach des Kobens. Sie zitterte.

      Deutlich hatte sie den alten, toten Lotsen geschaut, wie er in seinem roten Schiff über sie hinfuhr. Dabei hatte er »Line« gerufen – ganz deutlich »Line«. Jetzt hob auch der Junge das Haupt. Dann nahm er die Mütze ab und grüßte nach oben.

      »Ich hab' ihn auch gesehn,« flüsterte er dabei.

      Für eine Weile herrschte tiefe Stille zwischen den Kindern. Erst nach einiger Zeit nickte Hann ernsthaft vor sich hin und legte den Zeigefinger an seine plumpe Nase: »Ich hab's mir gleich gedacht,« sprach er, »daß er nun da oben als Schiffer angestellt is. Ich möcht' auch gern einmal in solch schönem roten Schiff fahren.«

      »Möchtest du denn auch schon dahin?« fragte Line frierend vor Furcht und schüttelte die schmalen Schultern.

      »Da kommen alle Menschen hin, die hier unten nicht gesessen haben.«

      »Und die gesessen haben?«

      »Die kommen zum Teufel. – Oll Kusemann hat ihn erst neulich in Stralsund getroffen. Er trug einen Zylinder.«

      »Nein, nein,« zitterte Line und nahm rasch Hanns Hand in die ihre.

      Sie hielt ihn ganz fest.

      Aber nach ein paar Augenblicken sprach Hann nachdenklich weiter: »Das hat der liebe Gott schlecht gemacht.«

      »Was, Hann?«

      Immer näher drängte sie ihre zitternden Glieder an den Jungen heran.

      »Daß er nicht gleich lauter Seelen gemacht hat. Dann brauchte man nicht erst in solch engen, schwarzen Kasten, und die Begräbniskosten wären auch nicht da – und man hätte gleich eine Anstellung in so einem feinen, roten Schiff.«

      In diesem Moment ging ein Windstoß durch die Bäume. Altes Laub flog den Kindern um die Ohren, und eine der Kühe nebenan stieß ein wehklagendes Brüllen aus.

      Da durchdrang das kleine Mädchen ein überwältigender Schrecken. Heftig, wie sie war, glaubte sie, Hann wäre an allem schuld. Und während sie ihn mit aller Kraft in den Arm kniff, so daß er einen heiseren Schmerzensruf ausstoßen mußte, schrie sie wild auf: »Du Dummerjahn – bloß hier unten bleiben – ich will nich solch ein Gespenst werden – nein, nein, ich will nich grau sein.«

      Heftig sprang sie auf den zottigen Hofhund zu, den sie schutzsuchend umklammerte. Und Pluto, der Hann nicht leiden konnte, heulte wütend nach dem Dach des Schweinekobens hinauf und fletschte die Zähne nach dem Jungen.

* * *

      So hob über den Schweinen die Geburtsstunde eines Philosophen an. In dem Kuhstall daneben aber wurde zu derselben Spanne Zeit das Schicksal entschieden, das alle, die sich jetzt in dem Lotsenhäuschen befanden, aneinanderketten, verwirren und dann auf ewig trennen sollte.

      Im Abendglanz lachte dazu von fern die See, die sich doch einmal zwischen die Schuldigen legen sollte, unschuldig wie ein kleines Kind, das in azurner Wiege geschaukelt wird.

      Der Bootsmann Dietrich Siebenbrod lehnte am Pfosten des Kuhstalles und beobachtete, wie die Witwe seines Brotherrn die Kühe melkte.

      Der leichte Seewind spielte mit den Enden des ihm so ungewohnten Bratenrockes, und unter dem wolligen Zylinder, der noch immer sein Haupt bedeckte, fühlte sich Siebenbrod feierlich angeregt.

      Deshalb sprach er auch kein Wort, sondern horchte mit Ernst auf das Einströmen der Milch.

      »Strull – strull,« ging es gleichmäßig fort.

      Da schlug vom nahen Kirchturm die Uhr, deren goldene Buchstaben in der Abendsonne gleißten und funkelten.

      Die entscheidende Unterhaltung begann. Erst harmlos und ungewollt, wie fast alle großen Ereignisse.

      »Acht,« sagte Dietrich Siebenbrod, und nachdem er seine sogenannte Warmbieruhr gezogen hatte, setzte er hinzu: »Nu is der Herr all sechs Stunden begraben.«

      »Ach, Gott!« —

      In das »Strull-strull« mischte sich ein Schlucken, man hörte das Rascheln des frischen Heus, das von den Kühen aus den Raufen gezogen wurde, und dann rann die Milch wieder stoßweise in den Holzeimer.

      Nach einer Pause der Sammlung fuhr Siebenbrod fort: »Der Lotsenkapitän aus Göhren war auch beim Begräbnis.«

      Und die melkende Witwe antwortete seufzend: »Ja, ja, sie haben meinem sel'gen Mann alle viel Ehr' angetan.«

      Darauf zog sie mit der Linken ihr Taschentuch hervor und führte es an ihre weinenden Augen, mit der Rechten melkte sie fürbaß.

      »Den Lotsenposten bekomm' ich nich,« sprach Siebenbrod ruhig weiter – »Der Kapitän hat gesagt, es is wegen …«

      »Den Schnaps,« tönte es aus dem Stall – »ja, ja Siebenbrod, das is nich recht von Ihnen.«

      »Jetzt gewöhn' ich mir ihn aber ab,« unterbrach der Bootsmann mit festem Entschluß.

      »Is das sicher?«

      »Ganz sicher.« —

      Die Witwe setzte den vollen Eimer beiseite, jedoch bevor sie den andern heranzog, wandte sie ihr ältliches, vergrämtes Gesicht der Stallöffnung zu. Dann betrachtete sie den Bootsmann aufmerksam, brach aber sofort, kopfschüttelnd, in ein leises Weinen aus: »Ne – ne, – es is zu slimm.«

      »Was? – Frau Klüth.«

      »O nix nich – Siebenbrod – ich meinte man so.«

      Damit machte sie sich an die letzte Kuh.

      »Strull – strull.«

      Siebenbrod rührte sich. Er hatte sich in der Nacht vorher alles überlegt. Es ging nicht anders. Er mußte es tun.

      »Frau,« begann er und nahm vor der Wichtigkeit des Moments den Hut in beide Hände: »Ich wollt' nun noch fragen, wie es mit mir wird?«

      »Mit Ihm?«

      »Ja, da ich ja nun den Lotsenposten nich bekomm, und da das mit der Pension wohl auch man dumm's Zeug von oll Kusemann is, so wollt ich man fragen, wie ich mich von nu an gehaben soll?«

      »Je, Siebenbrod, wie mein lieber Mann gesagt hat – dann wollen wir es in Gott's Namen mit der Fischerei versuchen. Man muß doch leben. Und vier Kinder sind auch nich leicht durchzubringen.«

      »Je, das sag' ich man. Aber – aber, Frau, nehmen's nich übel – ich bin doch nu auch all siebenunddreißig Jahr alt.«

      »Je, was meint Er damit?«

      Die Witwe melkte hastiger, so daß die Kuh ein wehklagendes, mißbilligendes Brummen ausstieß.

      Siebenbrod überzählte noch einmal die Kühe, dann sagte er ruhig: »Je, es is man wegen den Zesnerfischern.«

      »Was

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