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Kindergarten und mit der Annas Mutter geschehen war, blieb bis heute ungeklärt).

      Drei Wochen lang bewegten sich zwei Schwestern und der Bruder durch Weißrussland gen Osten – in den Stöckelschuhen, ohne Lebensmittel, ohne Kleidung, nur mit einer kleinen Damen-Aktentasche mit Fotos, Papieren und einem halben Kilo Streuzucker.

      Den Zucker lösten sie im Wasser und tranken die Lösung. Sie hatten weder Essen noch Geld. Es gab keine organisierten Mahlzeiten, sie legten Feuer an, kochten etwas – eine Suppe. Bei einer solchen Suppe holte sich der Bruder eine Lebensmittelvergiftung und musste den Weg mit dem Fieber von 40ºC weitergehen. Mal reichte man ihnen eine Tasse Milch, mal noch was: die Menschen hatten Mitleid mit zerlumpten Flüchtlingen. Sie schliefen in einer Reihe hingestreckt, auf der bloßen Erde. Es ist unbegreiflich, wie sie diese drei Wochen überstanden und überlebt haben!

      Bei solchen Umständen erreichten sie am 13. Juli die Stadt Roslawl im Gebiet Smolensk. Von dort gelangten sie auf Flachwagen mit Kohlen zum Evakuierungspunkt in Mitschurinsk, wo sie als Evakuierte angemeldet wurden. Sie wurden nach Kasan gesendet und kamen dort erst im August an.

      Ihr Juristin-Diplom hatte Anna in ihrer Aktentasche mitdabei. Damit wurde sie bei der Staatsanwaltschaft der Tatarischen Republik angestellt und bekam eine Stelle als Assistentin eines Rayon-Staatsanwaltes zugewiesen. Zwei lange Jahre arbeitete sie in der Stadt Аgrys an der Transsibirischen Eisenbahn.

      Анна Резник с мужем Федором / Anna Resnik mit ihrem Mann Fedor (1946)

      Seit ihrem ersten Lebenstag wusste Anna, dass sie Jüdin war. Als sie ca. sieben Jahre alt war, stellten ihre Eltern einen Lehrer für sie ein, mit dem sie ein Jahr lang Hebräisch lernte. Dann wanderte der Lehrer nach Palästina aus (wie es damals hieß), und der Unterricht hörte auf.

      Mit Antisemitismus wurde sie zum ersten Mal konfrontiert, als sie evakuiert war (in Minsk gab es keinen Antisemitismus – weder in der Schule noch an der Hochschule). Es ereignete sich zum Beispiel Folgendes.

      Anna war bereits als Assistentin des Staatsanwaltes tätig und brauchte eine Wohnung. Eine Tatarin, bei der sie ein Zimmer mieten wollte, empfing sie mit offenen Armen – in ihren Augen war ja Anna eine große Chefin. Dann sagte sie aber: «Es kamen einmal evakuierte Juden, aber ich ließ sie bei mir nicht wohnen». – «Ach so? Dann werde ich bei Ihnen auch nicht wohnen: Ich bin auch Jüdin». Diese einfältige und ungebildete Tatarin, die nie in ihrem Leben Juden gesehen hatte, war nichtsdestotrotz so eingestellt.

      Der Chef von Anna, der Bezirks-Staatsanwalt, war auch ein Tatar. Der Ermittlungsführer und der Richter waren auch Tataren. Jedoch spürte Anna keinen Antisemitismus seitens der Kollegen.

      Dann kam der neue Staatsanwalt der Republik und wählte für sich vier Juristen, um den ausschließlich aus Tataren bestehenden Zentralapparat zu stärken. Er stammte aus der Ukraine und brauchte den russischsprachigen Apparat und fachkundige Juristen. Er wählte vier junge Frauen, unter ihnen auch Anna. So fand sie sich 1943 in Kasan, im Zentralapparat der tatarischen Staatsanwaltschaft.

      In Kasan war Anna zuerst als Staatsanwältin der Ermittlungsabteilung tätig (Arbeit im Apparat). Dann wurde ihr ein gesondertes Arbeitsgebiet zugeteilt – Staatsanwältin für Minderjährige: in den Fokus der Staatsanwaltschaft trat der Zustand der Jugendkolonien u. ä.

      Анна Резник (2010-е) / Anna Resnik (2010er)

      Vom Holocaust wusste man nahezu nichts. Man wusste allerdings, dass Ghettos geschaffen wurden und Juden «Gelbe Sterne» tragen mussten. 1943 hoffte Anna immer noch, Mamas Kindergarten aufzufinden, sie hoffte, er wäre evakuiert worden (manche Unternehmen und Anstalten waren ja evakuiert worden!).

      Nach der Befreiung von Minsk im Jahr 1944 schrieben Anna und ihre Schwester mehrere Anfragen. Und von irgendjemand kam eine Postkarte, auf der es stand, dass ihre Mutter zusammen mit anderen Alten in einer Scheune verbrannt wurde. Nach dem Krieg ging Anna hin, besuchte mehrere Gräber. Aber sie erfuhr nichts Näheres.

      Sie kam mehrmals nach Minsk, einmal reisten die Geschwister zu dritt. Ihr Haus in Minsk blieb verschont, sie versuchten es, dort einige Male reinzukommen, es zu betreten, aber die neuen Bewohner ließen sie nicht rein.

      Moskau

      1945 heiratete Anna – jetzt schon Anna Iossifowna – einen Moskauer und lebte in der Hauptstadt ihr ganzes Leben lang bis sie nach Deutschland kam. Ihren künftigen Ehemann lernte sie in Moskau kennen, wo sie bei einer Konferenz der Unionsstaatsanwaltschaft für Minderjährige Vorträge zu fünf Tagesordnungspunkten hielt.

      Sie und ihr Mann hatten ein gleiches Unglück – seine Mutter kam auch in Minsk ums Leben. Er absolvierte das Luftfahrthochschule und war am Forschungsinstitut 17 tätig, nahm an der Gründung dieses Instituts teil und leitete die Informationsabteilung daran. Darüber hinaus beschäftigte er sich mit Literatur, studierte ein Jahr lang am Literaturinstitut, war eine sehr interessante Person und ein fähiger Köpf. Er starb im Jahre 1984 im Alter von 70 Jahren.

      Es war nicht so einfach für Anna, nach Moskau umzuziehen. Nach dem Gesetz, war es ihrem Arbeitgeber möglich, ihr Arbeitsverhältnis nicht zu kündigen, und für das eigenmächtige Verlassen des Arbeitsplatzes konnte sie sogar vor Gericht gestellt werden. Sie löste dieses Problem ganz einfach: Sie ließ den Staatsanwalt Tatariens, den Russen namens Sadownitschi, spüren, dass er ein Antisemit war.

      Nach ihrer Erzählung über die schwere Evakuierung, die sie überlebte, zog er ein schiefes Gesicht und meinte: «Was, sind Sie geflohen?» Und da ließ sich Anna hinreißen und sagte entschieden: «Hätte es aber jemanden interessiert, ob noch eine Jüdin ums Leben gekommen wäre?»

      Er unterzeichnete sofort ihren Kündigungsantrag, obwohl es in seinen Händen lag, nicht zu kündigen – in Sachen Minderjährige gab es noch eine Menge Arbeit zu erledigen. Und 1946 wurde die tatarische Staatsanwaltschaft einem totalen Pogrom ausgesetzt: beinahe alle im Apparat tätigen Juden wurden entlassen.

      Обложка книги А.И. Резник / Umschlag des Buches von A.I. Resnik (2012)

      Die Schwester zog nach Omsk, der Bruder wurde in Lemberg sesshaft, und Anna Iossifowna siedelte nach Moskau um. Dort lief sie noch einem Antisemiten – dem Staatsanwalt des Gebiets Moskau – in die Arme. Bei der Arbeitssuche in Moskau wurde sie von ihrer ehemaligen Chefin – Faina Jakowlewna Fajbischewskaja, der Leiterin des Referats Minderjährige der republikanischen Staatsanwaltschaft – protegiert. Diese äußerst intelligente ältere Frau rief den Staatsanwalt des Gebiets Moskau an und schlug die Kandidatur von Anna vor. «Wie heißt sie mit Nachnamen?», fragte der Herr am anderen Ende der Leitung. «Resnik» (dieser Nachname lässt aber nicht auf die Herkunft seiner Trägerin schließen). Dann fragt der Staatsanwalt: «Wie lautet ihr Vor– und Vatersname?» Frau Fajbischewskaja guckte auf ihre Protegée und meinte mit einem Lächeln: «Sehen Sie, ich kenne nur die Initialen davon».

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