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Polzer erwartete Wodaks Angriff und seine eigene maßlose Demütigung. Allein Wodak sagte nichts. Sein Benehmen schien Polzer vielmehr höflicher und zuvorkommender als sonst. Polzer beruhigte sich. Er dachte nicht, daß Wodak einen besonderen Plan bereit habe, ihn zu beschämen.

      Das war am Montag. Am Ende dieser Woche trat ein Ereignis ein, das Polzers Leben von Grund aus veränderte. Dieses Ereignis war für Polzer mit seinem Hut verknüpft.

      4. Kapitel

      Es war ein harter Hut, schwarz, mit einem ebensolchen Band. Seine Krempe war schmal und gerade, sein Kopf hoch. An beiden Seiten befanden sich je zwei kleine Luftlöcher.

      Polzer schien dieser Hut nie besonders merkwürdig, wenn auch die Krempe kaum einen Finger breit war. Auch später und selbst bei genauer Überlegung konnte Polzer nichts Sonderbares an ihm finden. Polzer blieb vor den Auslagen der Hutgeschäfte stehen. Er sah Hüte mit breiteren Krempen und niedrigeren Köpfen. Er beobachtete die Vorübergehenden und sah breitkrempige und schmalkrempige Hüte. Hüte mit hohem und Hüte mit niedrigem Kopf. Er begegnete Leuten, deren Hüte spitz zuliefen und von zwei Streifen in anderer Farbe quer überzogen waren. Solche Hüte schienen ihm besonders. Auffallend war ihm auch, daß sich die Hüte der Fremden von denen der Einheimischen unterschieden. Nach einiger Zeit erkannte Polzer jeden Fremden sofort an seinem Hut. Diese Hüte glichen einander. Nur in den Farben unterschieden sie sich. Doch waren sie fast durchwegs schwarz oder grau. Die Krempen waren stets gleich breit und die Köpfe gleich hoch. Zudem sahen diese Hüte immer neu aus.

      Am Samstag dieser Woche trug Polzer den schwarzen Hut. Er eilte aus der Bank nach Hause. Es war sieben Uhr abends. Die Straßen waren voll von verspäteten Käufern und heimkehrenden Angestellten. Die Luft war erfüllt vom Lärm der herabgleitenden Rolläden und den Glockenzeichen der überfüllten Straßenbahnen. Polzer bog vom Wenzelsplatz in die Wassergasse ein und überholte zwei halberwachsene Mädchen.

      Er hatte kaum einige Schritte weiter gemacht, als er das laute Lachen der Mädchen hörte. Er wandte sich um. Er wußte nicht, daß das Lachen ihm galt. Er begriff es, als er den lachenden Mädchen ins Gesicht sah. Ihre Augen hingen an seinem Hut. Polzer fürchtete, daß vielleicht ein Vogel seinen Hut beschmutzt habe. Er zog ihn erschrocken vom Kopf. Er drehte ihn in der Hand und untersuchte ihn gründlich. Die Mädchen hatten sich genähert. Sie lachten laut. Leute sammelten sich um Polzer. Er stand barhaupt in der Mitte. Immer neue Leute kamen. Es war die belebteste Straßenecke. Man bemerkte die Ansammlung aus der elektrischen Straßenbahn. Polzer sah hinter den Glasscheiben alle Gesichter sich zugewandt. Ringsum lächelten die Leute. Alle sahen ihn an. Polzer setzte den Hut wieder auf den Kopf.

      Die Eltern der beiden Mädchen waren herangekommen. Sie waren groß und dick. Der Vater hatte einen dunklen weichen Hut mit Gemsbart. Es waren Fremde. Polzer wollte gehen. Die Mädchen sprangen ihm nach. Er wandte sich um und stand ihnen knapp gegenüber. Sie hielten einander an den Händen und lachten. Sie trugen schwarze Lackhüte mit mehrfarbigen Bändern. Polzers Ratlosigkeit ermutigte sie.

      »O Gott, o Gott,« rief die eine, »wo haben Sie diesen Hut geerbt?«

      Polzer errötete. Denn tatsächlich stammte der Hut aus der Verlassenschaft des Herrn Porges. Frau Porges hatte ihn für Polzers Kopfform umarbeiten lassen.

      »Was ist das für ein Stück,« sagte der Vater und lachte. »Was verlangen Sie? Ich bin Käufer.«

      »Ich bin Beamter einer Bank,« erwiderte Franz Polzer beschämt.

      Die Mädchen waren weiter gegangen und die Leute um Polzer verliefen sich. Polzer nahm den Hut unter den Arm und eilte nach Hause.

      Er trat in sein Zimmer und legte den Hut auf den Tisch. Er betrachtete ihn genau. Er sah, daß im Leder an seiner Innenwand die Buchstaben G. P. angebracht waren. Herr Porges hatte Gottlieb geheißen. Bisher hatte Polzer diese Buchstaben nicht bemerkt. Er empfand die Demütigung auf der Straße, die ihn schmachvoll den Blicken aller Passanten ausgesetzt hatte, als Niedertracht des Verstorbenen und seiner Witwe Klara, die ihn erniedrigen wollten. Der böse Blick von Frau Porges fiel ihm ein. Zugleich ward ihm klar, daß sie, die ihn den Augen der Passanten von allen Seiten hilflos ausgeliefert und preisgegeben hatte, ihre Drohung, ihm das Zimmer zu entziehen, wahrmachen könnte. Er entfernte die beiden Buchstaben aus dem Hutleder und legte sie neben den Hut auf den Tisch.

      Als Frau Porges eintrat, bemerkte sie den Hut sogleich. Auch die Buchstaben sah sie. Sie blickte Polzer fragend an.

      Polzer sagte ruhig:

      »Ich werde den Hut nicht mehr tragen, Frau Porges.«

      »So? Einen noch so guten Hut? Der selige Porges hat ihn lange besessen und so selten getragen. Er war fast immer zu Bett.«

      »Ich lehne es ab, Frau Porges,« sagte Polzer.

      »Was lehnen Sie ab?«

      »Den Hut Ihres verstorbenen Mannes zu tragen, Frau Porges. Ich lehne es ab, die Erbschaft nach Ihrem verstorbenen Mann anzutreten, in jedem Falle, Frau Porges.«

      »In jedem Falle?«

      Polzer verstand, daß sie an das Zimmer denke.

      »Was den Hut betrifft, nur was den Hut betrifft, Frau Porges.«

      Frau Porges lächelte und setzte sich.

      »Was ist denn geschehen, Herr Polzer?« fragte sie.

      Polzer berichtete den Vorfall auf der Straße.

      »Ich werde den Hut nicht mehr tragen,« schloß er.

      Frau Porges hatte sich erhoben. Sie nahm den Hut und betrachtete ihn.

      »Ein schöner Hut. Ein fast neuer Hut. Man könnte ihn gut noch verkaufen ... Sie werden morgen zu Bunzl gehen, in die Schulgasse, vormittags. Morgen ist Sonntag. Sie werden den Hut verkaufen,« sagte sie entschieden und verließ das Zimmer.

      Daran hatte Polzer nicht gedacht. Wenn sie ihm kündigen wollte, mußte er es eben tun.

      Er lief hinaus, darüber mit ihr zu sprechen.

      In der Küche war es schon finster. In Frau Porges‘ Schlafzimmer brannte Licht. Polzer stand im finstern Flur. In dem Glaseinsatz der Tür sah er Frau Porges‘ Schatten sich bewegen. Dann wurde es in Frau Porges‘ Zimmer finster.

      Polzer stand noch eine Weile im Flur und wartete. Dann ging er in sein Zimmer zurück. Sein Abendbrot stand unberührt auf dem Tisch. Auch die Zeitung hatte er noch nicht gelesen. Zu all dem fand er jetzt keine Ruhe. Er mußte wissen, ob er morgen zu Bunzl würde gehen müssen, um den Hut zu verkaufen, oder ob Frau Porges davon abstehen würde. Morgen war Sonntag, er konnte also vormittag hingehen. Aber dazu waren Vorbereitungen zu treffen. Der Hut mußte verpackt werden. Jedenfalls, wenn es dazu kommen sollte, mußte Polzer zeitlicher aufstehen. Man sollte vielleicht auch die Buchstaben im Hutleder wieder anbringen. Sie gehörten im Grunde dazu.

      Keinesfalls durfte Polzer es so weit kommen lassen, daß Frau Porges wegen dieser Angelegenheit ihm das Zimmer kündige. Er sah ein, daß sie ihm mit Recht zürne. Die Ablehnung des Hutes mußte sie als Beleidigung ihres verstorbenen Gatten verstehen. Es war kein Zweifel, daß sie sich ernsthaft mit dem Gedanken trug, ihm nun das Zimmer zu entziehen. Sie war hinausgegangen, ohne seine Antwort abzuwarten. Wenn sie ihm morgen kündigte, mußte er am Ersten eine andere Wohnung beziehen. Es war ihm bekannt, daß während der Umzüge häufig Diebstähle vorkämen. Er stellte sich vor, wie schwer es sein mußte, die Leute, die zudem unwillig und grob waren, zu überwachen. Polzer erschrak, als er sich die Menge seiner Sachen vergegenwärtigte, die verpackt werden mußten. Auf die Hilfe von Frau Klara Porges konnte er nicht rechnen. Das Heiligenbild würde er in Papier einschlagen und in die Hand nehmen. Besondere Aufregung brachte der Gedanke an das Suchen der neuen Wohnung. In welchem Stadtteil sollte er zuerst suchen? Die Stadt war groß, man konnte nicht wissen, wo man beginnen solle. Außerdem waren Zimmer nur mit Mühe zu bekommen und dann vielleicht bei unehrlichen Leuten. Auch Kinder konnten im Hause sein.

      Polzer legte sich zu Bett. Aber er fand keinen Schlaf. Er wußte, daß er all diese Aufregungen nicht würde ertragen können. Vielleicht würde er krank werden und in der Bank fehlen müssen. Die Arbeit

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