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Nachmittag, Frau Porges,« erwiderte Polzer.

      Das geschah am Donnerstag. Polzer verbrachte Freitag und Samstag in Aufregung. Er hörte Frau Klara Porges in der Küche mit dem Geschirr hantieren und singen. Er begegnete ihr auf der Treppe. Sie sah ihn vertraulich lächelnd an. Polzer beschloß zu fliehen.

      Das war in der Nacht vom Samstag zum Sonntag. Er übersah seine Sachen und überlegte einen Plan. Er mußte das Haus am Morgen verlassen, solange sie noch schlief. Er mußte eine Wohnung in der Vorstadt finden, wo er verborgen sein konnte. Er hatte an Häusern Zettel aushängen gesehen. Er nahm sich vor, vorsichtig zu sein und sich genau zu erkundigen, ehe er die Wohnung nahm, ob jüngere Frauen da seien und Kinder. Er hatte seit jeher Angst vor Kindern. Auch ob die Leute einen ehrlichen Eindruck machten, wollte er beobachten. Es mehrten sich die Nachrichten von Diebstählen und selbst von Morden.

      Gegen Morgen fiel ihm ein, daß sein Gepäck nicht zu retten sei und daß er kein Geld besitze, da Frau Porges es verwaltete. Zudem konnte sie jederzeit ihn vor der Bank erwarten. Er erkannte, daß er ihr nicht entfliehen könne.

      Außer dem Widerwillen, mit dem er dem mehrstündigen Beisammensein mit Frau Porges entgegensah, war ihm an dem Ereignis seine Außergewöhnlichkeit bedrückend. Franz Polzer war gewöhnt, Sonntag nachmittags einen bestimmten Spaziergang zu machen. Er verließ das Haus um vier Uhr, ging über den Karlsplatz nach dem Kai und schritt dort ein Stück am Ufer entlang. An bestimmten Stellen blieb er stehen und sah auf den Fluß. Dann bog er in das Innere der Stadt ab.

      Um fünf Uhr betrat er ein kleines Café und setzte sich an einen Tisch im Billardzimmer. Er sah den Billardspielern zu. Dieses Zusehen versetzte ihn in eine gehobene Stimmung. Er verfolgte das Rollen der glatten Kugeln über das grüne Tuch und freute sich des hellen Klangs des Zusammenstoßes. Zugleich beobachtete er die Bewegungen der Spieler, wie sie sich weit über das Brett bogen und zum Stoß ansetzten. Mit Aufmerksamkeit zählte er die guten Punkte, die jeder Spieler erzielte. Sein Wunsch war, es möge einem von ihnen gelingen, eine endlose Serie von Treffern zu erzielen, er hielt den Atem bei jedem Stoß an und war enttäuscht und verletzt, wenn er mißlang.

      Seine Sehnsucht war, selbst Billard zu spielen. Sie erfüllte sich ihm nie. Polzer schrak davor zurück, seine Bewegungen öffentlich allen Augen preiszugeben. Der Doktor forderte ihn später einmal auf zu spielen. Polzer hatte das Queue schon in der Hand und war sich bewußt, daß er es nun sorgfältig kreiden müsse. Da entsann er sich, daß er einmal schon ein Queue in der Hand gehalten habe. Es schien ihm, als seien Leute dabei gewesen. Er wußte im Augenblick nicht, ob es im Traum gewesen sei. Aber es konnte nicht gut anderswo gewesen sein. Als er zu kreiden begann, war es gewachsen und schwer geworden, und er hatte das Gleichgewicht verloren.

      Polzer erinnerte sich dessen erschrocken und stellte das Queue vorsichtig in den Rahmen zurück.

      Gegen Sonnenaufgang überlegte Polzer, ob er Krankheit vorschützen solle, Er verwarf diesen Gedanken, da er noch nie einen Tag krank gewesen war, seit er bei Frau Porges wohnte. Eine andere Möglichkeit auszuweichen, gab es nicht. Wenn starker Regen den Ausflug unmöglich machen würde, war zu befürchten, daß Frau Porges ihn ins Café begleite. Das mußte peinlicher sein als der Ausflug.

      Polzer wußte nicht, wie Frau Porges sich für die Straße kleide. Er war ihr auf der Straße noch niemals begegnet. Vielleicht besaß sie, wie die Tante, keinen Hut. Er wagte nicht, sie danach zu fragen. Keinesfalls konnte er auf Eleganz rechnen. Aber selbst wenn sie ohne Hut käme, mußte er nun schon neben ihr unter die Leute.

      Da Kuchelbad als Ausflugsort beliebt war, war ein großer Andrang von Menschen zu erwarten. Polzer dachte daran, daß er sich um die Fahrkarten werde drängen müssen, und daß er auf dem kleinen Schiff gepfercht unter fremden Menschen werde stehen müssen, wenn überhaupt er schnell genug sein würde, unter den ersten an Bord zu kommen. Er hatte die Panik solcher Augenblicke vom Kai aus manchmal mit angesehen. Auch konnte das Schieben und Drängen der Menschen bei Besteigen des Dampfbootes Taschendieben günstige Gelegenheit bieten. Polzer beschloß, seine Taschenuhr zu Hause zu lassen.

      Er hatte am Sonntag kaum die Gabel aus der Hand gelegt, als Frau Porges eintrat.

      Sie war gut gekleidet. Sie trug ein schwarzes Kostüm mit langer Jacke, einen kleinen schwarzen Hut mit Schleier, schwarze Handschuhe, eine Ledertasche und einen Schirm. Polzer zog seinen Rock an. In die Tasche des Überziehers steckte er die Zeitung.

      Der Landungssteg war voll von Menschen. Polzer sah aus dem Tarif, daß die Fahrt zweiter Klasse nicht allzu teuer zu stehen komme, und entschloß sich, zweiter Klasse zu fahren. Er war seit jeher ein Freund vornehmen Reisens. Frau Porges war umsichtig und sicherte zwei Sitzplätze. Sie begann sofort ungemäß laut zu sprechen. Polzer vergewisserte sich, daß kein Bekannter auf dem Schiff sei. Frau Porges gab er keine Antwort, da ihn das Gefühl belästigte, die Umstehenden könnten dem Gespräch folgen. Da wurde auch Frau Porges still.

      In Kuchelbad bestiegen Polzer und Frau Porges einen Hügel, der ziemlich menschenleer war. Polzer kam der Gedanke, daß er keine Gelegenheit haben würde, sich im Falle des Bedürfnisses auf einen Augenblick von Frau Porges zu entfernen. Kurz darauf begannen sich Anzeichen einzustellen, die ihn mit Besorgnis erfüllten. Seine Unruhe stieg, als er an einer solchen Notwendigkeit nicht mehr zweifeln durfte. Es zeigte sich ihm keine geeignete Möglichkeit, ein Beiseitetreten glaubhaft zu begründen, trotzdem sich der ihn quälende Reiz immer mehr zu schmerzhaftem Drang verdichtete.

      Am Abhang breitete er seinen Überrock aus. Sie saßen nebeneinander. Er zog die Zeitung aus der Tasche und begann zu lesen. Frau Porges verwies es ihm halb scherzhaft. Die untergehende Sonne beschien ihr Gesicht. Er bemerkte, daß ihre Wangen mit weichen Härchen bedeckt waren.

      »Daß Sie gar nicht mit mir plaudern wollen,« sagte Frau Porges seufzend. »Sie haben mit mir einen Ausflug gemacht, und nun blicken Sie stumm vor sich hin. Ich habe mich darauf gefreut, und jetzt machen Sie mich ganz traurig.«

      »Das wollte ich nicht, Frau Porges,« sagte Polzer.

      »Das wollten Sie nicht, wirklich, Sie wollten mir nicht die Freude verderben?«

      Frau Porges rückte ihm etwas näher.

      »Nein, das wollte ich nicht, Frau Porges,« sagte er, ohne sie anzusehen.

      »Ich glaube, daß Sie ganz anders sind, als es den Anschein hat. Nicht wahr, ich habe recht?«

      »Das entzieht sich meiner Beurteilung, Frau Porges. Aber nehmen wir es an, Frau Porges, nehmen wir es an!«

      »Frau Porges, immer Frau Porges! Wo wir solange miteinander leben! Wer würde es glauben, wenn man es ihm erzählte!« Sie sah ihn zärtlich an. »Sagen Sie Frau Klara zu mir!«

      »Nein,« erwiderte Polzer sogleich.

      Als sie auf das Schiff kamen, war es Abend geworden. Im Sitzen wurde Polzers Schmerz immer größer. Er bemerkte einen Oberbeamten aus der Buchhaltung in der Nähe. Das Schiff war übervoll, neigte sich auf die Seite und schaukelte. Frau Porges schrie auf und preßte sich an seinen Arm. Er war ganz finster.

      »Lassen Sie mich sogleich los,« sagte Polzer.

      Er preßte die Schenkel aneinander. Er glaubte, daß seine Blase platzen müsse.

      »Was ist Ihnen geschehen?« fragte Frau Porges.

      »Etwas Fürchterliches,« sagte er tonlos, »etwas Fürchterliches.« Als sie landeten, konnte er vor Schmerzen kaum mehr gehen. Frau Porges nahm seinen Arm und stützte Polzer. Polzer ließ es zu.

      Er biß vor Schmerz die Zähne aufeinander und wimmerte leise. Bei jedem Schritt fürchtete er, daß sein Wille endlich schwächer sein würde als der Drang. Sie gingen durch eine mattbeleuchtete Nebengasse. Frau Porges blieb stehen. Sie sah sich nach allen Seiten um.

      »So,« sagte sie, »es ist genug. Niemand kann Sie sehen.«

      Polzer hätte es nicht mehr länger ertragen. Er konnte rasch noch die Knöpfe öffnen. Dann befreite er sich von der Qual seiner Schmerzen.

      Erst das Geräusch machte ihm bewußt, was er tue. Es schien ihm unerhört laut, und er versuchte vergeblich, den Schall zu mildern.

      Am

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