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grausamen Gebräuchen ihrem Gott dienten. Er dachte nicht anders, als daß es nicht bloß eine schwere Sünde für einen römischen Katholiken als auch eine große Gefahr sei, im Hause eines Juden ein- und auszugehen. Milka hatte früher bei Juden gedient. Sie hatte es der Tante im Laden erzählt. Vor dem Osterfest war sie entlaufen. Denn sie hatte sich gefürchtet. Seine Scheu überwand Polzer erst nach und nach durch seine Liebe zu Karl Fanta. Karl Fanta sah, daß Polzer sich unglücklich fühle, und oft umarmten und küßten einander die beiden Knaben unter Tränen.

      Polzer wagte es nicht, Karl Fanta sein Herz auszuschütten. Er wuchs auf in dem kleinen engen Haus, in dem unsauberen Laden, in dem er in seinen freien Stunden zwischen Mehl- und Pfeffersäcken, Gurkenfässern und Kanditenbüchsen kleine Leute nach ihren Wünschen fragen oder die Diele kehren mußte. Er schämte sich dieses Ladens. Er schämte sich seines Vaters, dessen Rock immer mehlbestaubt war, der ehrerbietig auswich, wenn ein reicher Bürger an ihm vorbeikam, seiner Tante, die ohne Hut ging und deren schwarzes Haar an den Schläfen leicht ergraut und vom Wind zerrauft war. Sie band auch kein Tuch um den Kopf, immer sah man die weiße Linie ihres Scheitels zwischen den schwarzen Haaren links und rechts. Seines Freundes Mutter war eine große, vornehme Dame, die Schmuck trug und dunkle Kleider. Sie hatte ein blasses, feingeschnittenes Gesicht wie ihr Sohn, der ihr sehr ähnlich sah. Auch sie hatte schwarzes Haar wie die Tante, allein es war zu einem Schopf gekämmt. Bei ihr wie bei ihrem Sohn waren an den Schläfen bläulich schimmernde Äderchen sichtbar. Das Schönste an ihr wie an Karl waren die schmalen weißen Hände. Karls Vater war ein korpulenter Herr, der ruhig und gemessen sprach, voll Selbstbewußtsein und Würde. Polzer konnte in dieser Umgebung, konnte vor dem schönen Karl nicht von seines Vaters kleinem Rosinenladen erzählen.

      Polzer bürstete seinen Anzug und preßte seine Hosen unter Büchern. Er wollte aussehen wie ein Gymnasiast aus einem Bürgerhaus und nicht wie der Sohn eines Greislers. Er verbarg seine Hände, die von der Arbeit im Laden rot und dick waren, vor den Menschen, eine Gewohnheit, die dazu beitrug, den Eindruck größter Unsicherheit und Unbeholfenheit hervorzurufen, und die er auch später nie ablegte. Wenn ein Fremder bei Karls Eltern war und den Hausherrn leise nach Franz Polzer fragte, fühlte dieser, wie er rot wurde vor Scham. Man mochte so leise und unauffällig wie nur irgend möglich diese Frage stellen, Franz Polzer hörte sie nicht, er fühlte sie mit seinem maßlos geschärften inneren Ohr.

      Er wollte nichts mehr, als aus gutem Hause sein. Lange später noch errötete er, wenn man ihn des näheren über seine Abkunft fragte, und antwortete ausweichend. Manchmal log er und sagte, sein Vater sei Gymnasiallehrer gewesen oder Richter. Einmal behauptete er sogar, er sei Fabrikantensohn. Im nächsten Augenblick schon fühlte er den prüfenden Blick des Fragers an seinem Anzug herabgleiten und wurde sich der Dürftigkeit seines Äußeren schmachvoll bewußt.

      Karl Fantas Vater ermöglichte ihm den Besuch der Universität in der Hauptstadt. Polzer bezog sie zusammen mit Karl. Er widmete sich dem Studium der Medizin, Karl dem der Jurisprudenz. Polzer war glücklich, von zu Hause fortzukommen, nicht mehr die Schande des Ladens immer vor sich sehen zu müssen, nicht mehr immer der Strenge des Vaters gehorchen, den Scheitel der Tante sehen und ihre Scheltworte über sich ergehen lassen zu müssen. Eine einzige Erinnerung nahm er von zu Hause mit, die ihm immer über alles teuer gewesen war. Die Erinnerung an seine Mutter. Er hatte sie kaum gekannt. Er glaubte sich aber zu erinnern, daß sie ihn an ihr Sterbelager habe bringen lassen, auf dem sie mit gelöstem Haar lag. Sie drückte ihn an sich, und ihre Tränen feuchteten sein Haar. Bei dieser Erinnerung wurde ihm stets warm ums Herz. Er flüchtete vor dem Haß seiner Tante in die Liebe zu seiner Mutter, die in demselben Maße wuchs, wie die Abneigung gegen die Tante stärker wurde.

      Das Verhältnis Polzers zu Karl war so innig, wie es irgend zwischen jungen gleichaltrigen Menschen sein konnte. Polzer freute sich, an der Seite dieses schönen Jünglings leben zu dürfen, dessen Sicherheit und Anfechtungslosigkeit er nicht weniger bewunderte als das edle Maß seiner Glieder. Karl war immer freundschaftlich zu ihm, und Polzer war es ein Bedürfnis, Karl seine Wünsche von den Augen ablesen zu können und ihm durch kleine Handreichungen behilflich zu sein. Er bereitete ihm seine Wäsche vor und sah darauf, daß kein Fleckchen an Karls Kleidung war. Karl hatte schwarzes Haar, das sich wie Seide anfühlte. Trotz seines freundlichen Zutrauens war Polzer oft, als ginge Karl innerlich an ihm vorbei. Er sehnte sich nach einer kleinen Zärtlichkeit, einer Wiederholung jener Knabenküsse. Doch diese Sehnsucht wurde nicht erfüllt.

      Man lobte an der Universität Polzers Fleiß und sein Verständnis. Er legte die ersten Vorprüfungen mit ausgezeichnetem Erfolg ab. Da erkrankte Karl und wurde von den Ärzten nach dem Süden geschickt, wo er ein Jahr bleiben sollte. Nicht mehr Gesellschafter des reichen Freundes, war es Polzer unmöglich, das Studium fortzusetzen, und er mußte froh sein, als ihm Karls Vater eine Stellung in der Bank verschaffte.

      In der Bank wurde er in kurzem ein anderer. Alles zerfloß an seiner Tätigkeit. Regelmäßigkeit, Pünktlichkeit, die unausweichliche Gewißheit des nächsten Tages zerstörten ihn. Er ging auf in Tätigkeiten, die seine Zeit zerlegten. In diesen siebzehn Jahren kam er kaum je unter Menschen. So wurde er unsicher, wenn er einmal etwas anderes tun sollte, als er zu tun gewöhnt war. Hatte er mit Fremden zu sprechen, fielen ihm die Worte plötzlich nicht ein, die er sagen sollte. Immer hatte er das Gefühl, daß seine Kleidung nicht entspreche, ihm nicht passe und ihn lächerlich mache. Die geringste Unregelmäßigkeit verwirrte ihn. Er legte Wert auf die peinlichste und gewohnte Ordnung auch in seinem Zimmer. Die Zeitung mußte täglich genau auf demselben Fleck auf dem Tisch liegen, und zwar parallel zu den Tischkanten. Seine Pedanterie ging so weit, daß es ihn erregte, wenn die Gardinenschnüre nicht gerade ausgerichtet und in ihrer Verlängerung auf dem Fensterbrett nicht im rechten Winkel abgebogen lagen. Verstimmt brachte er sie in Ordnung.

      Franz Polzer war etwa zehn Jahre in der Bank, als sein Vater starb. Das Begräbnis fiel auf einen Sonntag, so daß er keinen Arbeitstag versäumen mußte. Am Samstag nachmittag verließ er mit der Bahn die Stadt.

      Immer ist Polzer der Begräbnistag in unangenehmster Erinnerung geblieben. Auf der Hinreise konnte er im überfüllten Zug keinen Platz finden und mußte die ganze Zeit stehen. Seine Füße, solche Anstrengung nicht gewohnt, schmerzten noch in den folgenden Tagen. Er kam schlechter Laune an und wurde von der Tante, die denken mochte, er sei gekommen, ihr den väterlichen Laden nun streitig zu machen, mürrisch begrüßt. Er fand trotz schneidender Winterkälte ein ungeheiztes Zimmer und schlief von schlechten Träumen gequält auf seinem alten Bett. Am Morgen war für ihn kein Frühstück gekocht. Er fand es unpassend, in einen Gasthof zu gehen, und mußte so bis zum Begräbnis nüchtern bleiben. Leute kamen, die er kaum mehr kannte, und drückten ihm die Hand. Seine Tante stand im Mittelpunkt neben der aufgebahrten Leiche des Vaters. Polzer wie ein Fremder in einer dunklen Ecke des Zimmers.

      Als die Einsegnung begann, mußte er neben die Tante treten. Nun erst sah er seinen Vater. Er hatte einen schwarzen Rock an, der über der Brust Falten machte. Sein Haar war ganz grau geworden. Sein Gesicht schien klein und eingefallen. Der Anblick der Leiche machte auf Polzer keinen Eindruck. Er berührte ihn nicht anders als der Anblick eines fremden Gegenstandes. Er fühlte sich nicht an seinen Vater erinnert.

      Am Friedhof faßte ihn die Tante unter und weinte laut. Polzer stand im weichen Schnee und fühlte, wie die Feuchtigkeit sein Schuhwerk durchdrang. Er kannte seine Empfänglichkeit für Erkältungen und trat unruhig von einem Fuß auf den andern.

      Die Blicke aller Menschen, die zur Beerdigung gekommen waren, lagen musternd und beobachtend auf Franz Polzer. Die Aufmerksamkeit, die er erregte, machte ihn unsicher. In seiner Hilflosigkeit tastete er mehrmals nach den Knöpfen seiner Hose, um sich immer von neuem zu vergewissern, daß sie geschlossen sei. Er schämte sich dieser auffallenden Bewegung zutiefst, konnte aber nicht verhindern, daß nach wenigen Minuten das Gefühl seiner Nacktheit ihn wieder unwiderstehlich zu ihr zwang.

      Nach der Beerdigung erklärte Franz Polzer seiner Tante, daß er nichts vom Gute seines Vaters erben wolle. Geld hatte der Vater keines hinterlassen. Das Haus war überschuldet. Polzer wollte keinen Anzug und kein Möbelstück. Er wollte keine Erinnerung.

      2. Kapitel

      Die Witwe war bleich und mager, als Polzer nach Karl Fantas Abreise nach dem Süden bei ihr einzog. Die Trauerkleider

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