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Ives befand sich aber noch an der Mündung des Flusses, weshalb wir auf die Lösung unserer Zweifel nicht vor seiner Ankunft in Fort Yuma rechnen konnten. Eins der beiden bei Fort Yuma liegenden Dampfboote wurde sofort dem Kommandeur des Postens, Lieutenant Winder, von den Eigentümern zur Beförderung der Depeschen zur Verfügung gestellt, und wie sich von selbst versteht, wurde das Anerbieten nicht zurückgewiesen. Lebensmittel wurden schnell an Bord gebracht, und schon am folgenden Tag nach dem Eintreffen der Post verließ der Dampfer »Colorado« Fort Yuma, um an die Mündung des Flusses zu eilen.

      Wir alle waren sehr gespannt auf die Ankunft des Lieutenant Ives, doch konnten wir, selbst im glücklichen Fall, derselben nicht vor Ablauf von vierzehn Tagen entgegensehen. Unser häusliches Stilleben, wie wir jene Zeit scherzweise nannten, wurde daher für lange durch nichts Außerordentliches unterbrochen.

      Der 24. Dezember war endlich da; Dr. Newberry hatte zur Feier des Weihnachtsabends zu einer Bowle eingeladen; da aber meine kaum überstandene Krankheit die größte Vorsicht von meiner Seite erforderte, um nicht abermals durch einen Rückfall ans Bett gefesselt zu werden, so mied ich die Gefahr und blieb zurück, während meine Gefährten sich alle zum Fort begaben. Koch und Aufwärter ließ ich ebenfalls ruhig ihrem Vergnügen nachgehen, und ich befand mich auf diese Weise mit Grizzly allein in dem einsamen Lager.

      Es war ein Abend, so still und so schön, daß ich ihn nie wieder habe vergessen können. Über den schwarzen Massen der Weidengebüsche, deren dunkle Schatten einen schmalen Streifen des Spiegels des Colorado bedeckten, hing, hell wie eine schüchterne Sonne, die runde Scheibe des Mondes, mit mildem Licht das tiefblaue Firmament überziehend und den Glanz der Mehrzahl der Gestirne gleichsam verdrängend. Es war eine schöne, eine prachtvolle Verteilung von unbestimmtem Licht und Schatten; wie matte Versilberung schimmerten die beleuchteten Punkte und Gegenstände, während auf der anderen Seite nur die Umrisse der dunklen Massen sich auszeichneten und es der Phantasie freistellten, sich mit Bildern reicherer Zonen zu umgeben. — Der Wüsten einziger Schmuck ist die Sternennacht, wohltätig kleidet sie in Schatten, was das Auge unsanft berühren könnte, und zieht den Blick aufwärts, wo ein weises Walten sich kundgibt in der genauen Befolgung streng vorgeschriebener Gesetze.

      An diesem Abend erschien mir der Colorado nicht wie ein Wüstenstrom, sondern wie ein Fluß, der sich mutwillig zwischen üppig bewaldeten Ufern dahindrängte. Die Ruhe, die auf der ganzen Gegend lag, wurde nur selten von dem heiseren Ruf eines einsamen Uhus oder von dem Geheul fern jagender Wölfe unterbrochen; dagegen verriet der Colorado unausgesetzt durch verstärktes und schwindendes Gemurmel das eigentümliche Wirken in seiner Tiefe. Wie spielend bauten die sandreichen Fluten kleine Bänke auf und rissen sie im nächsten Augenblick wieder mit sich fort, wodurch auf der Oberfläche des Wassers mit plätscherndem Geräusch trichterförmige Wirbel entstanden, die ihre Wellen nach allen Richtungen sandten, den glatten, beweglichen Spiegel weithin kräuselten und in demselben den bleichen Widerschein des Mondes zittern machten.

      Wie die Weihnachtstage die ersten Jahrestage sind, welche das Kind seinem Gedächtnis einzuprägen vermag, so hält auch der Mann dieselben noch immer gern fest, und zwar weniger aus Gewohnheit, als um auf denselben wie auf den Sprossen einer Leiter im Geist von Jahr zu Jahr in längst vergangene Zeiten zurückzuwandern. So saß auch ich stundenlang vor dem Zelt und versuchte traumähnliche Bilder entschwundener Jahre mir zu vergegenwärtigen; ich achtete weder auf die Wölfe noch auf Grizzlys tapfere Angriffe gegen sie; ich saß und sann, bis aus der Ferne jubelnde Stimmen zu mir drangen und die Rückkehr meiner heiteren Gefährten verkündeten.

      Die Zahl der Wölfe hatte in der nächsten Umgebung unseres Lagers so sehr zugenommen, und dabei hatte sich ihre angeborene Scheu in eine solche Frechheit verwandelt, die sie vorzugsweise zur nächtlichen Stunde durch kühne Diebstähle bekundeten, daß unser Hund ihnen nicht mehr gewachsen war und ich daher beschloß, die lästigen Tiere auf einen Schlag aus unserer Nachbarschaft zu vertreiben. Wie gewöhnlich auf solchen Reisen führte ich auch damals ein Fläschchen mit Strychnin bei mir, und ich wählte dieses schnell tötende Gift als Mittel zu meinen Zwecken. Ich nahm fünf kleine Stücke Fleisch, vergiftete diese stark, befestigte sie an kleinen Stäbchen und stellte diese in einiger Entfernung vom Lager an verschiedenen Punkten auf. Als ich am folgenden Morgen die für die Wölfe so gefährlichen Stellen wieder in Augenschein nahm, überzeugte ich mich, daß zwei Stücke Fleisch verschwunden waren, daß die Tiere aber noch Kraft genug besessen hatten, sich im Dickicht zu verkriechen. Die drei übrigen Bissen ließ ich den Tag über stehen, wodurch das Gift sich wahrscheinlich mehr auflöste und die Wirkung desselben noch beschleunigte, denn als ich am darauffolgenden Morgen die Runde machte, fand ich vor jedem Stäbchen einen toten Wolf liegen und verjagte noch einen vierten, der eben angefangen hatte, einen seiner verunglückten Kameraden anzufressen. Da ich mir an diesem Tag einen weiten Spaziergang vorgenommen hatte, der mich nach dem schon längst ausgekundschafteten Lieblingsaufenthalt einer großen Ohreule führen sollte, so bat ich King, bei den Wolfsleichen zu lauern, und derselbe war auch glücklich genug, bei dieser Gelegenheit noch einen der frechen Räuber zu erlegen. Das Töten von sechs Wölfen verschaffte uns einige Ruhe, doch nur für die ersten Tage; denn als wir acht Tage später das Lager verließen, schien sich die volle Zahl derselben wieder angesammelt zu haben. Ich darf wohl nicht vergessen, einen Umstand zu erwähnen, der damals eine Art Mißstimmung in unserer Expedition hervorrief. Es hatte sich nämlich unter den Indianern das Gerücht verbreitet, daß die Mormonen schon bis zu den Dörfern der Mohave-Indianer gedrungen seien. Unter dem Vorwand, die ersten Ursachen dieser Nachrichten zu ergründen, rüsteten die Eigentümer der dortigen Dampfschiffe das in Fort Yuma zurückgebliebene Boot »Jessup« aus, bezogen vom Kommandeur des Postens Waffen und Soldaten und begaben sich in den ersten Tagen des Januar auf den Weg, um den oberen Colorado zu erforschen. Natürlich mußte ein solcher Schritt, der in größter Eile vor der Ankunft des Lieutenant Ives und unseres eigenen Dampfbootes getan wurde, Unwillen und Mißtrauen erregen, denn außer dem Umstand, daß wir von der Regierung ausgeschickt waren, nur wenige Tage später ebenfalls aufbrechen sollten und dennoch nicht imstande waren, die ersten Nachrichten über den noch so unbekannten Strom einzuziehen, ging uns auch der Reiz verloren, während der Reise selbst denken zu können, daß wir einer Straße zogen, die nie vorher von einem Europäer erforscht worden sei.

      Ob nun die oben erwähnte Eifersucht zwischen den Offizieren der Linie und denen vom Ingenieurcorps Veranlassung zu solchem Benehmen gab, ob der Spekulationsgeist einzelner, die am oberen Colorado das Dorado des Westens zu finden und für sich beanspruchen zu können hofften, oder der Umstand, daß Lieutenant Ives ein Dampfboot von Philadelphia mitgebracht und die Hilfe der bei Fort Yuma liegenden Dampfer ausgeschlagen hatte, Ursache war oder ob der uneigennützige Wunsch, die sich unserem Unternehmen entgegenstellenden Schwierigkeiten für uns kennenzulernen, zugrunde lag, wage ich nicht zu entscheiden. Ich weiß nur, daß die Mitglieder der Colorado-Expedition mit sehr unangenehmen Gefühlen dem Boot »Jessup« nachblickten, als es seinen Weg stromaufwärts einschlug und gerade nicht die besten Segenswünsche mit sich nahm.

      Mit jedem Tag wuchs unsere Sehnsucht nach dem ersten Anblick unseres Dampfbootes. Wir fingen in der Tat schon an, besorgt zu werden, wenn wir den niedrigen Wasserstand des Colorado beobachteten und das fortgesetzte Fallen des Stroms wahrnahmen. Selbst die dortigen Eingeborenen behaupteten, den Fluß noch niemals so niedrig gesehen zu haben; und wenn es auch manches für sich hat, die Schiffbarkeit eines noch unbekannten Stroms zu einer ungünstigen Jahreszeit festzustellen, so wären wir doch gewiß auf das unangenehmste enttäuscht worden, wenn wir schon kurz nach dem Beginn unserer Fahrt auf einer Sandbank das Steigen des Flusses hätten abwarten müssen. Endlich am Abend des 6. Januar erschien Lieutenant Ives unvermutet in Fort Yuma. Er hatte die Nachricht von der Abfahrt der »Jessup« erhalten und war hierdurch sowie auch durch die Depeschen von Washington veranlaßt worden, dem Dampfboot, das fortwährend mit den Sandbänken zu kämpfen hatte, vorauszueilen. Von einem Ansiedler, der einige Meilen südlich vom Pilot Knob lebte, hatte er ein Pferd geborgt, und es gelang ihm dadurch, in zwölf Stunden die Strecke zurückzulegen, zu der das nachfolgende Dampfboot beinahe noch drei Tage brauchte.

      Der ursprüngliche Plan unserer Reise war folgender: Zugleich mit dem Dampfboot sollte von Fort Yuma auch unsere Landexpedition aufbrechen, und beide Teile sollten soviel wie möglich immer in Verbindung miteinander bleiben. Die Befehle, die Lieutenant Ives von seiner Regierung zugegangen

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