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nicht gern die Dienerschaft dazu rufen. Ich aber kann es nicht. Ihr könnt es auch nicht?“ wandte sie sich an Marja Nikolajewna.

      „Ich fürchte mich,“ versetzte diese.

      So entsetzlich es Lewin auch sein mochte, diesen grauenhaften Körper mit beiden Armen umfassen zu müssen und Stellen unter der Bettdecke zu berühren, von denen er nichts wissen mochte, machte Lewin, dem Einflusse seines Weibes nachgebend, das energische Gesicht, das dieses schon an ihm kannte und schickte sich dazu an, indem er die Arme vorstreckte, war aber bei aller seiner Kraft, von der seltsamen Schwere dieser ausgemergelten Glieder überrascht.

      Während er ihn wandte, seinen Hals von dem abgezehrten, langen Arme umfaßt fühlend, drehte Kity schnell und leise das Kopfkissen um und schob es wieder unter, legte den Kopf des Kranken zurecht und ordnete ihm das spärliche Haar, welches wieder an den Schläfen klebte.

      Der Kranke hielt des Bruders Hand in der seinen. Lewin fühlte, daß er etwas mit dieser Hand zu thun wünsche und dieselbe mit sich zog; erstarrend folgte er derselben. Nikolay führte seine Hand an die Lippen und küßte sie und Lewin erschauerte in Schluchzen und verließ, nicht fähig zu reden, das Gemach.

      19

      „Er hat sich vor den Weisen verborgen und den Kindern und Thoren entdeckt.“ So dachte Lewin auch über sein Weib, als er an diesem Abend mit ihr sprach.

      Lewin dachte an das Wort des Evangeliums nicht deshalb, weil er selbst sich für weise gehalten hätte. Er hielt sich nicht für weise, wußte aber auch recht wohl, daß er doch klüger war, als sein Weib und als Agathe Michailowna; wußte recht wohl, daß er, wenn er des Todes gedachte, dies mit allen Kräften seines Geistes that. Er wußte auch, daß viele höhere Geister von Männern, deren Gedanken er darüber gelesen hatte, nicht ein Hundertstel von dem gedacht hatten, was sein Weib und Agathe Michailowna darüber wußten. So ungleich nun diese beiden Weiber einander sein mochten, Agathe Michailowna und Katja, wie sie sein Bruder Nikolay, und auch Lewin sehr gern nannte, hierin waren sie einander vollkommen ähnlich. Beide wußten sicher, was Leben eigentlich war, und auch was Tod sei, und obwohl sie nicht antworten konnten, oder die Fragen auch nur verstehen, die sich Lewin aufdrängten, so zweifelten sie beide doch nicht an der Bedeutung dieser Erscheinung und betrachteten dieselbe vollkommen gleichartig, nicht nur unter sich, sondern, indem sie ihre Anschauung mit Millionen Menschen teilten. Der Beweis dafür, daß sie genau wußten, was Tod sei, lag darin, daß sie, ohne sich eine Sekunde zu besinnen, wußten, wie man mit Sterbenden umgehen müsse, und diese nicht fürchteten. Lewin und die anderen wußten, obwohl sie viel über den Tod sagen konnten, augenscheinlich nicht, warum sie ihn fürchteten; sie wußten sicher nicht, was zu thun sei, wenn ein Mensch starb. Wäre Lewin jetzt allein gewesen mit seinem Bruder, so würde er ihn voll Entsetzen betrachtet, und mit noch größerem Entsetzen gewartet haben, aber nicht imstande gewesen sein, irgendwie zu handeln.

      Er wußte nicht, was er sagen, wie er blicken, wie er gehen sollte. Über Fernerliegendes mit ihm zu sprechen, erschien verletzend, das ging nicht; über den Tod zu sprechen, die finstere Macht, ging auch nicht; schweigen – gleichfalls nicht. – Blickte er den Kranken an, so konnte dieser denken, er wolle ihn durchforschen, blickte er ihn nicht an, so konnte Nikolay denken, er sei bei etwas ganz Anderem. Ging er auf den Fußspitzen, so mochte der Bruder unzufrieden damit sein, trat er voll auf, so schickte sich das nicht.

      Kity dachte augenscheinlich gar nicht an sich und hatte wohl auch nicht die Zeit, an sich zu denken; sie dachte nur an ihn, weil sie etwas Bestimmtes wußte, und alles ging gut bei ihr von statten. Sie hatte ihm von sich erzählt, von ihrer Hochzeit und hatte gelächelt und ihn bemitleidet, ihm geschmeichelt, und mit ihm über Fälle von Genesungen gesprochen, und das alles ging ihr gut von statten; vielleicht weil sie etwas wußte.

      Der Beweis dafür, daß ihre Wirksamkeit, wie diejenige Agathe Michailownas, keine instinktive, rein physische unbedachte war, lag darin, daß außer der physischen Beruhigung, der Erleichterung der Leiden, sowohl Agathe Michailowna als Kity für den Sterbenden noch etwas weit Wichtigeres anstrebten, als physische Beruhigung, ein Etwas, das nichts Gemeinsames besaß mit physischen Umständen. Agathe Michailowna hatte in dem Gespräch über jenen verstorbenen Alten gesagt: „Nun, man hat ihm das Abendmahl, die letzte Ölung gegeben, gebe Gott, daß ein jeder so sterbe!“ Ganz ebenso hatte Kity ungeachtet aller Sorge für die Wäsche, die wundgelegenen Stellen, das Trinken des Kranken bereits am ersten Tage demselben von der Notwendigkeit gesprochen, daß er kommuniziere.

      Nachdem sie für die Nacht von dem Kranken in ihre beiden Zimmer zurückgekehrt waren, hatte sich Lewin niedergesetzt und den Kopf sinken lassen, ohne zu wissen, was er beginnen solle.

      Geschweige, daß er davon gesprochen hätte, zu Abend speisen zu wollen, oder das Nachtlager in Ordnung zu bringen, und zu überlegen, was nun zu thun sei, vermochte er nicht einmal mit seiner Frau zu reden; so schwer war ihm das Herz. Kity hingegen war geschäftiger, als gewöhnlich; sie war sogar lebhafter, als sonst. Sie befahl Abendessen zu bringen, packte selbst die Sachen aus, half die Betten vorzurichten und vergaß nicht einmal, sie mit persischem Pulver zu bestreuen. In ihr lag eine Munterkeit, eine Präcision im Denken, wie sie sich bei den Männern vor einer Schlacht, einem Kampfe, in gefahrvollen entscheidenden Momenten zeigt, jenen Minuten, in welchen ein für allemal der Mann seinen Wert zeigt und beweist, daß seine ganze Vergangenheit nicht umsonst gewesen ist, sondern eine Vorbereitung war für diese Minuten.

      Alles ging ihr von statten, und es war noch nicht zwölf Uhr, als alle Sachen sauber ausgepackt waren; sorgfältig und in einer Weise, daß das Zimmer ihrem eigenen Hause ähnlich wurde, ihren Zimmern. Die Betten waren aufgeschlagen, die Bürsten, Kämme, Spiegel aufgelegt, und Servietten übergebreitet.

      Lewin fand es sei unverzeihlich, jetzt zu essen, zu schlafen, ja selbst zu reden und dabei zu empfinden, daß jede seiner Bewegungen nicht schicklich sei. Sie hingegen steckte die Bürsten aus, verrichtete aber alles so, daß nichts Verletzendes darin lag.

      Essen konnten sie allerdings nicht und lange Zeit fanden sie auch keinen Schlaf, ja sie wollten erst lange Zeit gar nicht zur Ruhe gehen.

      „Ich bin sehr froh, daß ich ihm zugeredet habe, morgen zu kommunizieren,“ sagte sie, im Ärmelleibchen vor ihrem Necessaire sitzend und sich mit dem dichten Kamme das reiche duftige Haar strählend, „ich habe dies noch nie gesehen, weiß aber, daß Mama mir gesagt hat, es wären Gebete für die Herstellung dabei.“

      „Glaubst du wirklich, daß er wieder gesund werden kann?“ sagte Lewin, nach der, sobald sie den Kamm vorwärts bewegte, fortwährend verhüllten dichten Zahnreihe an der hinteren Seite ihres runden Köpfchens schauend.

      „Ich habe den Arzt gefragt; er sagte mir, daß er nicht länger als noch drei Tage leben könne. Aber können die es wissen? Ich bin gleichwohl sehr froh, daß ich ihn überredet habe,“ sagte sie, unter ihrem Haar hervor seitwärts nach ihrem Manne blickend. „Es ist alles möglich,“ fügte sie hinzu mit jenem eigentümlichen, ein wenig schlauen Ausdruck, der stets auf ihrem Gesicht lag, wenn sie über Religion sprach.

      Nach jenem Gespräch über die Religion, zur Zeit als sie noch Bräutigam und Braut waren, hatte weder er noch sie ein Gespräch darüber wieder angeknüpft, sie aber erfüllte dies Ceremoniell des Kirchenbesuchs, des Gebetes, stets in dem nämlichen ruhigen Bewußtsein, daß es so erforderlich sei. Ungeachtet seiner Versicherungen des Gegenteils war sie fest überzeugt, daß er ein ebensolcher, ja, noch besserer Christ war, wie sie und daß alles, was er darüber sprach, nur eine seiner sarkastischen Männerlaunen sei, ebenso wie das, was er über die broderie anglaise sagte: „Möchten doch die guten Leute lieber die Löcher zustopfen, hier aber werden sie absichtlich eingeschnitten“ und Ähnliches.

      „Jenes Weib da, die Marja Nikolajewna hat nicht verstanden, alles das einzurichten,“ sagte Lewin, „und – ich muß es eingestehen, daß ich sehr, sehr froh bin, daß du mitgekommen bist. Du bist solch eine Reinheit, daß“ – er ergriff ihre Hand, küßte sie aber nicht – das Küssen ihrer Hand in dieser Nähe des Todes, erschien ihm unpassend – sondern preßte sie nur, mit schuldbewußtem Ausdruck in ihre aufleuchtenden Augen blickend.

      „Für dich allein wäre es doch so peinlich geworden,“ sagte sie, wand die Hände emporhebend, welche ihre vor Freude erglühenden

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