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mußte einwilligen und begab sich, nachdem er sich etwas erholt hatte, Marja Nikolajewna schon ganz vergessend, mit Kity wieder zu seinem Bruder.

      Leisen Schrittes und unverwandt auf ihren Gatten blickend, welchem sie ihr mutiges und doch gefühlvolles Antlitz wies, betrat sie das Zimmer des Kranken und schloß, sich ohne Hast zurückwendend, geräuschlos die Thür. Mit unhörbaren Schritten näherte sie sich rasch dem Lager des Kranken und so herantretend, daß dieser den Kopf nicht zu drehen brauchte, nahm sie sogleich das Skelett seiner großen Hand in ihre frische, jugendliche, drückte sie und begann dann, mit jener, nur den Frauen eigenen, und nicht verletzenden stillen Lebhaftigkeit mit ihm zu sprechen.

      „Wir sind uns in Soden begegnet, sind uns aber dort nicht bekannt gewesen,“ sagte sie, „Ihr habt da nicht vermutet, daß ich einmal Eure Schwester werden würde.“

      „Ihr solltet Euch nicht nach mir erkundigt haben?“ frug er mit dem Lächeln, welches schon bei ihrem Eintreten aufleuchtete.

      „Nein; dann hätte ich ja erfahren. Wie recht Ihr doch gethan habt, uns von Euch Nachricht zu geben! Kein Tag ist vergangen, daß Konstantin nicht Eurer gedacht und sich beunruhigt hätte um Euch.“

      Die Lebhaftigkeit des Kranken währte indessen nicht lange. Sie hatte noch nicht aufgehört zu sprechen, als auf seinem Gesicht abermals der strenge vorwurfsvolle Ausdruck des Neides des Sterbenden gegenüber dem Lebenden erschien.

      „Ich fürchte, Ihr werdet Euch hier nicht recht wohl befinden,“ sagte sie, sich von seinem starren Blicke abwendend und im Zimmer Umschau haltend. „Man muß bei dem Wirt ein anderes Zimmer erbitten,“ sagte sie zu ihrem Manne, „schon, damit wir näher sind.“

      18

      Lewin konnte den Bruder nicht ruhig ansehen, nicht natürlich und ruhig unbewegt in seiner Gegenwart sein. Als er bei dem Kranken eingetreten war, hatte sich sein Blick und seine Wahrnehmungskraft unbewußt verdunkelt, und er gewahrte nicht mehr die Einzelheiten des Zustandes seines Bruders. Er hörte von dem entsetzlichen Geruch, sah die Unsauberkeit, Unordnung und die peinvolle Lage, dieses Stöhnen, und fühlte, daß Hilfe nicht mehr möglich war. Es war ihm nicht einmal in den Sinn gekommen, daran zu denken, daß er alle Einzelheiten in dem Zustande des Kranken erfaßte, daß da unter der Decke dieser Körper lag, diese gekrümmten abgezehrten Beine, Brustknochen, dieser Rücken und ob es nicht anginge, das alles besser zu legen, etwas zu thun, was die Lage, wenn nicht besser, so doch weniger mißlich gestaltete. Kalt rieselte es ihm über den Rücken hinab, als er an alle diese Einzelheiten zu denken begann. Er war fest überzeugt, daß hier nichts mehr zu thun war, weder etwas für eine Verlängerung des Lebens, noch für eine Erleichterung der Leiden; doch das Bewußtsein, sich eingestehen zu müssen, jede Hilfe sei unmöglich, machte sich ihm schmerzlich fühlbar und versetzte ihn in Erbitterung. Lewin wurde es infolge dessen noch schwerer ums Herz. Der Aufenthalt in dem Zimmer des Kranken war qualvoll für ihn, nicht darin zu sein aber noch schlimmer. Unter verschiedenen Vorwänden begab er sich daher fortwährend hinaus, da er nicht die Kraft besaß, allein hier zu bleiben.

      Kity aber dachte, fühlte und handelte durchaus nicht ebenso. Bei dem Anblick des Kranken jammerte es sie um ihn, und das Mitleid in ihrer Frauenseele erweckte durchaus nicht jenes Gefühl des Entsetzens und des Ekels bei ihr, wie es dies bei ihrem Manne hervorgerufen hatte, sondern lediglich die Erkenntnis ihrer Pflicht zu handeln, alle Einzelheiten seines Zustandes kennen zu lernen und ihnen beizukommen. Und da in ihr nicht der geringste Zweifel darüber bestand, daß sie ihm Hilfe leisten müsse, so zweifelte sie auch nicht daran, daß dies möglich sei und begab sich sofort ans Werk.

      Alle jene Einzelumstände, deren bloße Vorstellung schon ihren Mann in Schrecken versetzt hatte, lenkten sogleich ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie schickte nach einem Arzt und in die Apotheke, befahl der mit ihr gekommenen Zofe, sowie Marja Nikolajewna, zu fegen, den Staub zu wischen und den Kranken zu waschen, wusch selbst mit ab, und reichte Etwas unter die Bettdecke. Gegenstände wurden herbeigebracht oder aus dem Krankenzimmer hinausgetragen nach ihrer Anordnung, und sie selbst begab sich mehrmals nach ihrem Zimmer, ohne die ihr begegnenden Herren zu bemerken, langte Betttücher und Überzüge, Handtücher und Hemden hervor und brachte sie herbei.

      Der Diener, welcher im Gesellschaftssaale ein Essen für Ingenieure auszurichten hatte, erschien mehrere Male mit ärgerlicher Miene auf ihren Ruf, konnte aber nicht umhin, ihre Befehle zu erfüllen, da sie dieselben mit so wohlwollender Bestimmtheit erteilte, daß man sie unmöglich sich selbst überlassen konnte. Lewin hieß dies alles durchaus nicht gut; er glaubte nicht, daß daraus noch irgend ein Nutzen für den Kranken erwüchse, vor allem aber fürchtete er, der Kranke könne dabei noch in Aufregung geraten. Dieser jedoch verhielt sich, wenigstens wie es schien, dem gegenüber gleichgültig und geriet nicht in Erregung, sondern empfand nur eine gewisse Scham, interessierte sich aber im allgemeinen für das, was sie an ihm that. Vom Arzte zurückgekehrt, zu welchem Kity ihn gesandt hatte, fand Lewin, die Thüre öffnend, den Kranken in dem Moment, als man nach Kitys Anordnung seine Wäsche wechselte. Das lange bleiche Skelett des Rückens mit den großen hervorstehenden Schulterblättern, und den starrenden Rippen und Rückgratwirbeln war entblößt; Marja Nikolajewna und der Diener waren mit dem einen Hemdärmel in Unordnung geraten und konnten den langen herabhängenden Arm nicht hineinbringen. Kity, welche geschäftig die Thür hinter Lewin wieder schloß, hatte nicht nach dieser Seite geblickt, aber der Kranke stöhnte auf und sie wandte sich schnell zu ihm hin.

      „Schneller,“ befahl sie.

      „Ihr geht ja nicht,“ sagte der Kranke gereizt, „ich will selber“ —

      „Was sagt Ihr?“ frug Marja Nikolajewna dazwischen.

      Kity hatte jedoch gehört und verstanden, daß es ihm peinlich und unangenehm war, in ihrer Gegenwart entblößt zu sein.

      „Ich sehe nicht hin, sehe nicht hin!“ sagte sie daher, den Arm richtend, „Marja Nikolajewna, tretet von dieser Seite, bringt ihn in Ordnung,“ fügte sie hinzu. – „Geh doch – bitte – in meinem kleinen Reisesack befindet sich ein Riechfläschchen,“ wandte sie sich an ihren Mann, „du weißt ja, in der Seitentasche. Bring es mir doch, während man hier noch vollends Ordnung macht.“

      Als Lewin mit dem Riechfläschchen zurückkehrte, fand er den Kranken bereits wieder zurecht gelegt, und alles in seiner Umgebung völlig verwandelt. Der drückende üble Geruch war mit einer Atmosphäre von Essig und Parfüms vertauscht worden, welche Kity mit gespitzten Lippen und aufgeblasenen roten Wangen durch das Flacon umhersprengte. Von Staub war nichts mehr zu sehen und vor dem Bett lag ein Teppich. Aus dem Tische standen geordnet Flacons und Caraffen, lag auch die nötige Wäsche, sowie eine Arbeit in broderie anglaise von Kity. Auf einem andern Tische am Bett des Kranken, stand Getränk, ein Licht und Arzneipulver. Der Kranke selbst, gesäubert und gekämmt, lag in frischen Überzügen, auf hochgemachten Kissen und in weißem Hemd mit einem weißen Kragen um den unnatürlich dünnen Hals, und blickte mit einem Ausdruck von Hoffnung unverwandt auf Kity.

      Der von Lewin herbeigebrachte, erst im Klub aufgefundene Arzt, war nicht der nämliche, welcher Nikolay Lewin sonst behandelte und mit welchem dieser unzufrieden war. Der neue Arzt langte ein Hörrohr hervor und behorchte den Kranken, schüttelte den Kopf, verschrieb eine Arznei, und erklärte mit großer Ausführlichkeit zunächst, wie die Arznei zu nehmen sei, und dann, welche Diät beobachtet werden sollte. Er empfahl rohe oder nur weichgekochte Eier, und Selterswasser mit warmer Milch von bestimmter Temperatur.

      Nachdem der Arzt gegangen war, sagte der Kranke etwas zu seinem Bruder, allein Lewin vernahm nur die letzten Worte „deine Katja“; an dem Blicke jedoch, mit welchem jener sie anschaute, erkannte Lewin, daß sie gelobt worden sei. Er rief nun auch Katja, wie Nikolay sie genannt hatte.

      „Mir ist schon bei weitem besser,“ sagte er, „bei Euch wäre ich freilich schon längst wieder gesund geworden. Wie wohl mir ist!“ Er ergriff ihre Hand und zog sie an seine Lippen, gab aber, wie in der Furcht, es möchte ihr dies unangenehm sein, seine Absicht auf, ließ die Hand sinken und streichelte sie nur. Kity faßte diese Hand mit ihren beiden Händen und drückte sie. „Jetzt legt mich auf die linke Seite und geht schlafen,“ fuhr er fort.

      Niemand hatte verstanden, was er sprach, nur Kity hatte es erfaßt. Sie hatte es verstanden,

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