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Waschbär oder eine Katze. Es würde auf jeden Fall wieder alleine herausfinden, also konnte ich jetzt genauso gut auch verschwinden. Aber ich ging nicht. Stattdessen setzte ich vorsichtig meinen Fuß über die Türschwelle. Zu meiner Erleichterung knarrten wenigstens die Dielen nicht und da ich kein Licht machen konnte, streckte ich meine Hände aus und tastete mich langsam durch das dunkle Innere vorwärts. Falls jemand hier war, musste es ihm zumindest genauso ergehen wie mir, versuchte ich mir Mut zu machen.

      Meine Zuversicht verschwand in dem Moment, als meine vorgestreckten Fingerspitzen gegen etwas Weiches stießen. Ich schrie auf und als mein Arm gepackt wurde, reagierte ich instinktiv. Ich holte mit dem anderen Arm zu einem Abwehrschlag aus. Bevor ich mein Ziel jedoch erreichen konnte, wurde auch meine andere Hand abgefangen.

      »Hey, entspann dich«, erklang eine Stimme aus der Dunkelheit. »Ich lass dich jetzt los, aber hör auf auszuflippen, ja?«

      Die Worte wirkten. Ich versteinerte auf der Stelle und mein Angreifer hielt Wort und gab mich frei.

      »Cassian?« Diese sexy Stimme hätte ich überall erkannt.

      »Du hast’s erfasst«, erklang es spöttisch vor mir aus der Finsternis.

      »Was … was machst du hier?«

      »Irgendwas stimmt mit der Stromleitung nicht. Ich habe versucht, sie zu reparieren. Nicht unbedingt mit Erfolg, wie du siehst.«

      Ich sah überhaupt nichts und das störte mich. Aber noch mehr nervte es mich, dass er meiner Frage auswich.

      »Was zum Teufel hast du in diesem Haus verloren?«

      »Das habe ich dir doch gerade erklärt.« Seine Stimme hatte den üblichen lässigen Tonfall. »Ich habe versucht …«

      »… Licht zu machen«, vollendete ich seinen Satz. »Ich seh zwar gerade nichts, aber ich bin nicht taub.«

      »Na dann ist doch alles super.«

      »Gar nix is’ super«, zischte ich. »Besonders wenn du in leer stehende Häuser einbrichst, um Stromleitungen zu reparieren.«

      Ich hörte sein leises Lachen und sofort kribbelte es wieder in meinem Magen.

      »Tut mir leid, wenn ich dich enttäusche, aber ich bin hier nicht eingebrochen.«

      »Ach nein?«

      »Nein, denn ganz zufällig habe ich einen Schlüssel für dieses Haus.«

      »Schlüssel?«, echote ich ungläubig.

      »Ja. Ich habe das Haus nämlich gemietet«, erklärte er in dem geduldigen Tonfall, mit dem man einem kleinen Kind etwas klarmacht.

      Oh nein. Ganz toll. Wenn er es nicht schon tat, musste er mich spätestens jetzt für eine komplette Idiotin halten.

      Während ich noch überlegte, was ich sagen sollte, rieb ich mir über meine kalten Arme. Mein dünnes Sportzeug war eindeutig nicht fürs Herumstehen in der Kälte geeignet.

      »Die Hei… Heizung ist … ist wohl auch kaputt, was?«, schlotterte ich.

      »Es gibt hier nur Öfen und ich hatte nicht genug Holz für das ganze Haus. Aber im Wohnzimmer ist es wärmer.«

      Ohne nachzudenken, machte ich einen Schritt vorwärts und erwischte prompt seinen Fuß.

      »Tschuldigung«, murmelte ich und zog mich wieder zurück. Nein, heute war wirklich nicht mein bester Tag.

      »Du könntest mir deine Hand geben, dann bring ich dich hin«, schlug er vor. »Aber nur, wenn du mich nicht wieder trittst oder zu schlagen versuchst.« Sein ironischer Ton war unüberhörbar.

      Ich verzog das Gesicht. »Das verspreche ich nur, wenn du vorher versprichst, mich nicht noch mal zu Tode zu erschrecken.«

      Statt eines Versprechens ertönte wieder nur sein leises Lachen.

      »Deine Hand«, erinnerte er mich.

      Obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass er sie sah, streckte ich sie in die Richtung, aus der seine Stimme kam. Wieder war es wie ein Stromschlag, als er mich berührte. Automatisch wollte ich meine Hand zurückziehen, doch er hielt mich fest und während er vorausging, spürte ich, wie das seltsame Prickeln an Intensität zunahm. Es wanderte von meiner Hand in den Arm und plötzlich kribbelte mein ganzer Körper. Erst als es wieder nachließ, fühlte ich seine Hand richtig. Sie war ein bisschen rau, aber angenehm warm, und ich begann mich zu entspannen. Zumindest ist er kein Vampir, Abby.

      Unglaublich, aber wir erreichten das Ende des Flurs, ohne zu stolpern oder irgendwo anzustoßen, und als ich hinter ihm das Wohnzimmer betrat, empfing mich tatsächlich angenehme Wärme.

      Neben dem Feuer im Kamin war ein altmodischer Leuchter mit fünf flackernden Kerzen die einzige weitere Lichtquelle, aber es genügte, um endlich wieder etwas zu sehen. Cassian, in dem gleichen blauen T-Shirt, das er heute in der Schule getragen hatte, stand neben mir und hielt noch immer meine Hand. Auch er schien es zu bemerken, denn er ließ sie los, schlenderte zum Kamin hinüber und lehnte sich dagegen.

      »Hier ist es auf jeden Fall warm.« Er deutete auf den altmodischen Sessel vor sich und während ich mich setzte, fühlte ich mich plötzlich ganz eigenartig. Das alles erinnerte mich so sehr an meinen Traum, dass es beinahe unheimlich war. Nur der Wolf fehlte noch.

      »Und?«

      Ich fuhr hoch. »Was?«

      »Ich meine, gehört es zu deinen üblichen Freizeitbeschäftigungen, abends durch fremde Häuser zu schleichen?«

      Was für eine blöde Frage? »Natürlich nicht.« Mein Ton war entsprechend zickig. »Ich war joggen.«

      »Ach? Hier im Haus?«

      »Unsinn«, entgegnete ich hochmütig. »Aber als ich hier zufällig vorbeikam, hab ich ein Geräusch gehört. Ich dachte, es wären Jugendliche im Haus, die irgendwelchen Mist anstellen.«

      »Und was hättest du gemacht, wenn es so gewesen wäre? Ich meine, es ist ziemlich mutig von dir, hier einfach so reinzugehen, ohne zu wissen, was dich erwartet.« Er sah mich auf eine seltsam abschätzende Art an.

      Einen Moment hielt ich seinem Blick stand, doch dann seufzte ich. »Nein, war es nicht. Ich hab nur einfach nicht bis zum Ende nachgedacht.« Mein Ton war jetzt alles andere als selbstsicher. »Hab wohl vergessen, dass ich kein Superkämpfer bin, so wie du«, gab ich zu und lächelte etwas gequält, doch er erwiderte mein Lächeln nicht.

      »Ich bin kein Superkämpfer«, entgegnete er und es klang beinahe kühl.

      »Da bist du aber der Einzige, der so denkt.« Er musste das Getuschel im Sportunterricht doch mitbekommen haben?

      »Nein, im Ernst, dein Freund war wirklich gut. Ich hatte einfach nur Glück.«

      »Doug ist nicht mein Freund.« Das war mir einfach so herausgerutscht. »Ich meine, er ist schon mein Freund. Ähm … ein guter Freund. Ein Kumpel eben …« Oh Mann! Warum machte ich bloß alles immer noch schlimmer? Hastig drehte ich den Kopf zur Seite und tat, als würde ich mich in dem Wohnzimmer umsehen, damit er die unangenehme Röte auf meinem Gesicht nicht bemerkte.

      Neben dem Kamin und dem Sessel, in dem ich saß, gab es noch ein imposantes dunkelbraunes Ledersofa, einen Couchtisch aus dunklem Holz, einen kleinen Schrank in der gleichen Holzart und eine riesige Standuhr. Alles Sachen, die dem alten Mr. Warner gehört haben mussten, und jetzt wurde mir auch klar, warum das Haus von außen so unbewohnt gewirkt hatte. Die altmodischen Samtvorhänge, bei denen man mit viel Fantasie unter der dicken Staubschicht einen dunkelroten Farbton ausmachen konnte, waren zugezogen, sodass kein Lichtschein nach draußen dringen konnte.

      »Sind deine Eltern gar nicht zu Hause?«, versuchte ich unser Gespräch auf etwas Unverfängliches zu lenken.

      »Nein.«

      »Und wo sind sie?«

      Dass ich schon im nächsten Fettnäpfchen gelandet war, wurde mir sofort klar, als ich den Ausdruck auf seinem Gesicht bemerkte.

      »Sie

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