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verließ schnell das Zimmer. Ich eilte ihr, Schlimmes ahnend, nach.

      Schweigend ging sie dahin, schnellen Schrittes, mit gesenktem Kopf und ohne mich anzusehen. Aber als wir die Straße hinuntergegangen und in die Uferstraße gelangt waren, blieb sie auf einmal stehen und ergriff meine Hand.

      »Ich ersticke!« flüsterte sie. »Ich habe solche Herzbeklemmung! . . . Ich ersticke!«

      »Kehre um, Natascha!« rief ich erschrocken.

      »Siehst du denn nicht, Wanja, daß ich ganz weggegangen bin, daß ich sie verlassen habe und nie wieder zurückkehre?« sagte sie und sah mich dabei mit unbeschreiblichem Kummer an.

      ganz

      Mein Herz krampfte sich zusammen. Das alles hatte ich schon, als ich zu ihnen hinging, geahnt; das alles hatte ich wie in einem Nebel vielleicht schon lange vor diesem Tag vorhergesehen; aber dennoch trafen mich ihre Worte jetzt wie ein Donnerschlag.

      Wir gingen traurig die Uferstraße entlang. Ich konnte nicht reden; ich dachte hin und her und wurde ganz wirr im Kopf. Mir war ganz schwindlig. Die Sache erschien so ungeheuerlich, so unmöglich!

      »Du verurteilst mich, Wanja?« sagte sie endlich.

      »Nein, aber . . . aber ich glaube es nicht; es kann nicht sein!« erwiderte ich, ohne zu wissen, was ich redete.

      »Doch, Wanja; es ist so! Ich habe sie verlassen und weiß nicht, was aus ihnen werden wird . . . ich weiß auch nicht, was aus mir werden wird!«

      »Gehst du zu ihm, Natascha? Ja?«

      ihm

      »Ja!« antwortete sie.

      »Aber das ist unmöglich!« rief ich ganz außer mir. »Siehst du nicht ein, daß das unmöglich ist, meine arme Natascha? Das ist ja Wahnsinn! Du tötest ja deine Eltern und richtest dich selbst zugrunde! Siehst du das nicht ein, Natascha?«

      »Ich sehe es ein; aber was kann ich tun? Es hängt nicht von meinem Willen ab!« antwortete sie, und aus ihren Worten klang eine solche Verzweiflung heraus, als ob sie zur Richtstätte ginge.

      »Kehre um, kehre um, solange es noch nicht zu spät ist!« flehte ich sie an, und ich flehte um so dringender und um so inständiger, je mehr ich mir selbst bewußt war, daß meine Bitten in diesem Augenblick völlig zwecklos und töricht waren. »Verstehst du auch wohl, Natascha, was du deinem Vater antust? Hast du das auch bedacht? Sein Vater ist deines Vaters Feind; der Fürst hat ja deinen Vater beleidigt, ihn der Unterschlagung beschuldigt, ihn einen Dieb genannt. Sie prozessieren miteinander . . . Und was rede ich? Das ist noch das wenigste; aber weißt du auch, Natascha (o Gott, du weißt das ja alles!), weißt du auch, daß der Fürst deinen Vater und deine Mutter verdächtigt hat, sie selbst hätten dich absichtlich mit Aljoscha zusammengebracht, als Aljoscha bei euch auf dem Land wohnte. Bedenke doch, stelle dir doch nur vor, wie dein Vater damals unter dieser Verleumdung gelitten hat! Er ist ja in diesen zwei Jahren ganz grau geworden; sieh ihn doch nur an! Aber die Hauptsache ist: du weißt das ja alles, Natascha, o du mein Gott! Ich rede gar nicht einmal davon, welch ein Schmerz es für sie beide sein wird, dich für immer zu verlieren! Du bist ja ihr größter Schatz; du bist alles, was ihnen für die Tage des Alters geblieben ist. Ich will davon gar nicht reden, denn du mußt das ja selbst wissen; aber denke daran, daß dein Vater überzeugt ist, du seiest von diesen hochmütigen Leuten grundlos verleumdet und beleidigt, ohne daß ihr dafür Rache nehmen könntet. Jetzt aber, gerade jetzt ist das alles von neuem aufgeflammt, und diese ganze alte, schmerzliche Feindschaft ist dadurch noch gesteigert worden, daß ihr Aljoscha bei euch aufgenommen habt. Der Fürst hat deinen Vater noch einmal beleidigt; in dem Herzen des alten Mannes kocht noch der Grimm über diese neue Kränkung, und da werden auf einmal all diese Beschuldigungen jetzt als gerechtfertigt erscheinen! Jeder, dem die Sache bekannt ist, wird jetzt dem Fürsten recht geben und dich und deinen Vater verurteilen. Was wird jetzt aus ihm werden? Das wird ihn mit einem Schlag töten! Schmach und Schande kommen über ihn, und durch wen? Durch dich, seine Tochter, sein einziges, teures Kind! Und deine Mutter? Sie wird ihren Gatten nicht überleben . . . Natascha, Natascha! Was tust du? Kehre um! Komm zur Besinnung!«

      Sie schwieg; endlich blickte sie mich wie mit stillem Vorwurf an, und es lag in diesem Blick ein so tiefer Schmerz, ein so schweres Leid, daß ich erkannte, wie sehr ihr auch ohne meine Worte das wunde Herz blutete. Ich erkannte, wie schwer ihr dieser Entschluß geworden war und wie sehr ich sie durch meine nutzlosen, zu spät kommenden Bitten quälte und marterte; ich sah das alles ein; dennoch konnte ich mich nicht halten und sprach weiter.

      »Du hast doch selbst noch soeben zu Anna Andrejewna gesagt, du würdest vielleicht nicht zum Abendgottesdienst gehen. Also wolltest du doch dableiben und warst noch nicht völlig entschlossen?«

      Sie antwortete nur mit einem bitteren Lächeln. Wozu hatte ich auch diese Frage gestellt? Ich konnte ja doch wissen, daß alles schon unwiderruflich entschieden war. Aber freilich war ich ebenfalls meiner nicht mächtig.

      »Hast du ihn denn wirklich so liebgewonnen?« rief ich und blickte sie voll Entsetzen an; ich wußte selbst kaum, was ich fragte.

      »Was soll ich dir darauf antworten, Wanja? Du siehst ja, wie es steht: er hat mir befohlen zu kommen, und da bin ich nun hier und warte auf ihn«, erwiderte sie mit demselben bitteren Lächeln.

      »Aber höre doch, höre doch nur«, begann ich, nach einem Strohhalm greifend, wieder zu bitten, »das läßt sich alles noch in Ordnung bringen; das läßt sich auf eine andere Weise einrichten, auf eine ganz andere Weise! Dabei brauchst du nicht von zu Hause fortzugehen. Ich will dir sagen, wie es zu machen ist, Nataschenka. Ich übernehme es, alles für euch zu bewerkstelligen, alles, auch die Zusammenkünfte und alles . . . Nur geh nicht von zu Hause fort! Ich werde eure Korrespondenz vermitteln; warum sollte ich das nicht tun? Es wird immer noch besser sein als der jetzige Zustand. Ich werde das einzurichten verstehen; ich werde euch beiden Dienste erweisen; ihr sollt sehen, daß ich das tun werde . . . Und du wirst dich nicht zugrunde richten, Nataschenka, wie du es jetzt vorhast . . . Denn so richtest du dich vollständig zugrunde, vollständig! Sag ›ja‹, Natascha, und alles wird schön und glücklich gehen, und ihr werdet einander lieben, soviel ihr wollt . . . Und wenn die Väter aufhören werden, miteinander zu streiten (denn dahin wird es mit Sicherheit kommen), dann . . .«

      »Laß es gut sein, Wanja, hör auf!« unterbrach sie mich, indem sie mir kräftig die Hand drückte und unter Tränen lächelte. »Du guter, guter Wanja! Du guter, ehrlicher Mensch! Und von dir selbst sagst du kein Wort! Ich bin es gewesen, die unser Verhältnis gelöst hat, und dabei hast du mir doch alles verziehen und denkst nur an mein Glück. Du willst unsere Korrespondenz vermitteln . . .«

      Sie brach in Tränen aus.

      »Ich weiß ja, Wanja, wie du mich geliebt hast, wie du mich immer noch liebst, und nicht einen Vorwurf hast du mir in dieser ganzen Zeit gemacht, nicht ein bitteres Wort zu mir gesagt! Aber ich, ich! O Gott, wie schwer habe ich mich gegen dich vergangen! Denkst du wohl noch an die Zeit, Wanja, an die Zeit, als du und ich zusammengehörten? Ach, wäre ich ihm nie begegnet, hätte ich ihn nie kennengelernt! Dann würde ich mit dir zusammen leben, Wanja, mit dir, du mein Guter, Lieber! . . . Nein, ich bin deiner nicht wert! Du siehst ja, was für eine ich bin: in einem solchen Augenblick erinnere ich dich an unser früheres Glück, und du leidest doch ohnehin schon genug! Drei Wochen lang bist du nicht zu uns gekommen; aber ich schwöre dir, Wanja, auch nicht ein einziges Mal kam mir der Gedanke in den Kopf, daß du mir vielleicht fluchtest und mich haßtest. Ich wußte, weshalb du fortbliebst: du wolltest uns nicht stören und für uns ein lebendiger Vorwurf sein, und auch dir selbst mußte es ja peinlich sein, uns anzusehen. Aber wie habe ich auf dich gewartet, Wanja, wie habe ich auf dich gewartet! Höre, Wanja, obwohl ich Aljoscha wie eine Irre, wie eine Wahnsinnige liebe, so liebe ich dich als meinen Freund vielleicht doch noch mehr. Ich fühle schon, ich weiß schon, daß ich ohne dich nicht leben kann; du bist mir notwendig; dein Herz ist mir notwendig, dein goldenes Herz . . . Ach, Wanja! Was für eine bittere, schwere Zeit kommt jetzt!«

      Sie zerfloß in Tränen. Ja, es war ihr schwer ums Herz!

      »Ach,

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