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automatisch das Richtige tun.“

      Overbeck unterbrach seine Ansage, denn im Nebenraum erklang die Anrufmelodie eines Handys.

      „Es ist meines.“ Leni erhob sich aus ihrer kauernden Position und begab sich in den Umkleideraum. Kurze Zeit später kam sie zurück und flüsterte Overbeck zu: „Es ist Gehweiler, ein Kollege der Inspektion Hermeskeil. Sie haben einen jungen Mann am Tatort in Hermeskeil festgenommen. Sie schließen nicht aus, dass er der Mörder ist.“

      Overbeck nickte und überlegte kurz. Dann traf er einen Entschluss und wandte sich an seine angehenden Schüler in Punkto Selbstverteidigung.

      „Ich glaube, Sie haben verstanden, worum es mir geht, wenn Sie sich entschließen, diesem Dojo beizutreten. Überlegen Sie es sich. Ich würde mich freuen, Sie im nächsten Training wieder begrüßen zu können. Und noch eines.“

      Die Gruppe sah ihn erwartungsvoll an.

      „Im Hinblick darauf, dass wir unsere Zusammenkunft heute Abend vorzeitig beenden müssen, wird das nächste Training für Sie ebenfalls kostenfrei sein. Wir sehen uns.“

      „Sie haben den Mörder von Dellmann und Kerner festgenommen?“, fragte Overbeck, während die angehenden Karategi das Dojo verließen. „Wie sicher sind sie sich?“

      „Sie scheinen sich überhaupt nicht sicher zu sein. Aber der Mann macht ihnen gegenüber keinerlei Angaben. Auch nicht zu seiner Person. Hinzu kommt, dass der Mann in dem Haus am Waldrand festgenommen wurde. Was also sollen sie denken?“

      „Wir müssen also hin.“ Es war eine Feststellung, die Overbeck traf. „Okay, Leni. Wir treffen uns auf der Dienststelle, beim Präsidium.“

      Kapitel 23

      Es war warm und schwül. Margreth Kollinger, oder besser gesagt Maggie Heidfeld stand am offenen Fenster ihres dürftigen Hotelzimmers und schaute gedankenversunken über die Dächer der Stadt, in die sie die Vergangenheit geführt hatte. Hier würde sich ihr Schicksal erfüllen, so oder so. Sie wollte ihre Rache und nie waren dieser Gedanke, dieser Vorsatz so präsent gewesen wie in diesen Tagen.

      Zwei der vier verhassten Menschen waren inzwischen tot. Diese Kenntnis ließ zwiespältige Gedanken in ihr aufkommen. Sie hatte ihren Tod gewollt, genauso wie sie den Tod der anderen beiden Männer wollte, denn sie hatten den Tod verdient. Sie hatten ihr das Liebste genommen, das sie auf dieser Welt gehabt hatte, dafür hatten sie den Tod verdient. Sie brauchten kein Gesetz, kein Gericht. Das Gericht war sie, Maggie. Selbst wenn einer oder gar alle eines natürlichen Todes sterben sollten, ehe sie sie fand, war es ihr Wille, ihr Wunsch, dass sie starben. Sie hatten kein Recht, auf dieser Welt zu sein. Wenn sie aber nicht auf natürliche Weise oder durch einen unglückseligen Umstand zu Tode kamen, dann würde sie zur Stelle sein. Ein Todesengel, der sie zur Hölle schickte.

      Die Kirche war zum Greifen nah und Maggie dachte darüber nach, in welchem Stil sie wohl erbaut war. Kunst war nie ihr Ding gewesen. Gotik war der einzige Stil, den sie als solchen erkennen würde. Das dort … sie überlegte, das dort könnte Jugendstil sein. Warum? Sie hatte keine Begründung. Vielleicht, weil es ein moderner Bau war. Jugendstil ist doch modern, dachte sie. Oder täusche ich mich?

      Sie verdrängte die Gedanken. Es war ihr egal. Als nun mit einem Mal die Glocken die Mittagszeit einzuläuten begannen, hatte sie das Gefühl, das Gotteshaus stünde unmittelbar neben ihr. Bevor sich der Schmerz in ihren Ohren verstärkte, schloss sie das Fenster. Das Geläut war nun nicht mehr so laut. Im Gegenteil, es verursachte in Maggie ein wohliges Gefühl.

      Wie es wohl im Inneren dieser Kirche aussehen möge? Es war lange her, dass sie in einer Kirche gewesen war. Sie überlegte. Dann verwarf sie die Gedanken. Es war in ihrer Kindheit, als ihre Eltern noch lebten. Da war sie regelmäßig mit ihrer Mutter zur Kirche gegangen und an den freien Wochenenden begleitete sie auch ihr Vater. Er trug dann meist seine Uniform. Nicht, dass er der Welt zeigen wollte, wer er war, nein, sie glaubte heute, es waren andere Gründe, wirtschaftliche vielleicht. Sicherlich wollte er damit seine zivile Kleidung schonen, dachte sie. Oder er war ein fanatischer Uniformträger, auch das sollte es geben.

      Sie fand keine Antwort und sie wunderte sich, wieso sie überhaupt solche Gedanken hegte.

      Das Läuten der Glocken hatte aufgehört und Maggie öffnete das Fenster erneut. Mit den Fingern der rechten Hand fuhr sie sich durch die Haare, die sie offen trug. Auch sonst hatte sie sich der Temperatur entsprechend gekleidet. Mit ihren engen Jeans und der weißen Bluse, die sie über dem Bauchnabel mit einem Knoten zusammengebunden hatte sah sie sehr sexy aus und obwohl sie kein Makeup trug, oder gerade deswegen, kam ihre Jugendlichkeit sehr zur Geltung.

      Maggie lächelte. Satorius. Wenn er sie so sehen könnte. Vielleicht hatte er sich in mich verliebt, dachte sie. Ihrer Brust entfleuchte ein Seufzer. Irgendwie tat er ihr leid. Aber sie brauchte ihn. Er war Mittel zum Zweck. Oder war er mehr? Maggie horchte in sich hinein, doch dann schüttelte sie den Kopf. Heute, am Nachmittag, wollte sie sich mit ihm treffen. Gemeinsam wollten sie die Aufenthaltsorte der beiden noch lebenden Verbrecher von damals aufspüren. Sie hoffte darauf, dass Satorius inzwischen etwas herausgefunden hatte.

      Sie schaltete den Fernseher ein und legte sich auf das noch ungemachte Bett. Einen Zimmerservice erwartete man in diesem Hotel kaum. Meist fragte der Wirt, ob alles in Ordnung sei oder ob sie besondere Wünsche habe. Maggie hatte diese Fragen stets verneint und inzwischen fragte auch niemand mehr.

      Sie hatte noch zwei Stunden Zeit. Im Fernseher kam nichts Gescheites. Ihr fielen die Augen zu. Kurz darauf war sie eingeschlafen.

      Maggie schreckte hoch, als das Telefon läutete.

      „Hier unten ist ein Herr, der sagt, er sei mit Ihnen verabredet“, meldete sich Leonhard, der Wirt.

      Satorius! Maggie sah auf die Uhr. Fast drei Uhr am Nachmittag. Drei Stunden hatte sie geschlafen.

      „Sagen Sie ihm, er möge einen Moment warten. Ich komme runter.“

      Maggie legte auf und ging ins Badezimmer um sich frisch zu machen. Das Bad war sauber, die Kacheln, die Toilette und die Dusche. Sie waren nur deshalb sauber, weil sie selbst sie gereinigt hatte. Anfangs kam noch eine Frau im gesetzten Alter. Doch als sie nach der Reinigung ging, war es ihr, als hätte sie auch fernbleiben können. Als sie das nächste Mal wiederkam, sagte ihr Maggie, dass sie sich selbst darum kümmern würde. Die Alte schlurfte davon, es schien ihr gleichgültig zu sein. Niemand sprach sie später darauf an, auch nicht Leonhard oder dessen Frau. Offensichtlich war man froh, dass man die Sache vom Hals hatte. Wo nicht gereinigt wurde, konnte sich auch niemand über eine schlechte Reinigung beschweren. So viel zur Aussage Leonhards: Agnes und die Sauberkeit.

      Maggie stand lange unter der Dusche, die sie in Abständen immer kühler stellte schließlich das eiskalte Wasser an ihr herablief. Sie drehte den Hahn zu, trocknete sich ab und schlüpfte in ihre enge hüfthohe Jeans. Sie griff nach dem BH, der über dem Bett hing, legte ihn nach kurzem Zögern wieder weg und streifte eine weiße Bluse, deren Zipfel sie über dem Bauchnabel zusammenband, über ihren nackten Körper. Sie öffnete den Kleiderschrank und ließ ihren Blick über die Schuhpaare streifen, die sie am Boden abgestellt hatte. Schließlich entschied sie sich für ein Paar halbhohe sportliche Schuhe, die ihren schlanken Fuß unter den hautengen Jeans besonders zur Geltung brachten.

      Das um den Kopf gewickelte Handtuch, das verhindert hatte, dass ihre Haare während des Duschens nass wurden, warf sie achtlos auf das Bett und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und schüttelte sie auf.

      Nach einem letzten Blick in den Spiegel im Bad, dessen braune Ränder von einem hohen Alter zeugten, ergriff sie ihre Handtasche und sah hinein. Zufrieden nickte sie, sah sich noch einmal um und verließ den Raum, den sie sorgfältig verschloss. Eine unnütze Maßnahme, dachte sie. Leonhard hatte einen zweiten oder dritten Schlüssel. Sollte er doch nachsehen, wenn er das unbedingt brauchte.

      Sie stieg mit leicht eingeknickten Beinen die Treppe hinab, die hohen Absätze vereitelten eine andere Haltung.

      Satorius stand an der Theke, im Gespräch mit Leonhard, in der Hand ein halbleeres

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