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Diez Hermanas. Georg Vetten
Читать онлайн.Название Diez Hermanas
Год выпуска 0
isbn 9783748543237
Автор произведения Georg Vetten
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Na ja, dann passierten gleich mehrere absonderliche Dinge. Zunächst machte er für drei Songs, darunter die Single, neue Textvorschläge.«
»Ungewöhnlich?« fragte Sibel neugierig, den Kopf auf eine Hand gestützt, während die Finger der freien Hand ihre Locken drehten.
»Schon«, antwortete Steve. »Doch was er uns vorlegte, war oberflächliche Scheiße.«
»Mit den Lyrics hätten wir das Wahlprogramm von Maggy Thatcher ankurbeln können. Unglaublich!!!«, warf Mikel ein. »Hey und wir stehen für was ganz anderes, das weißt du!«
»Er sprach davon, dass wir uns in Kürze vor Groupies nicht mehr retten könnten.« Bei der letzten Feststellung grinste Steve.
»Er sprach von der Vorbildfunktion, die wir für die Jugend hätten. Für ein starkes und sauberes Königreich ... blablabla.«
»Hmm was habt ihr ihm geantwortet?«
»Natürlich, dass das mit uns nicht zu machen sei. Wir werden uns nicht prostituieren«, antwortete Mikel aufgebracht.
»Wir sollten es uns reiflich überlegen, antwortete unser A&R und verdoppelte den Vorschuss auf das Album«, präzisierte Steve. »Doch als ich ihn dann beim Hinausgehen eröffnete, dass wir einen Charity-Gig für die Organisation Lost Children spielen, zu dem er herzlich eingeladen sei, da ist er uns fast an den Hals gesprungen. Er schrie: Wenn ihr das macht, dann seid ihr raus. Dann seid ihr tot für uns. Ich werde dafür sorgen, dass ihr kein Bein mehr an den Boden bekommt!
»Er war außer sich«, versicherte Mikel.
»Könnt ihr euch keinen Reim darauf machen, weshalb euer Label so einen starken Einfluss ausüben will?«, fragte Sibel nachdenklich.
»Wir haben uns umgehört«, antwortete Steve sichtbar erregt. »Auf diese Weise wollten sie auch den Headliner des Labels sowie drei Nachwuchsbands ficken.«
»Was denkt ihr? Konservativer Rechtsruck im Mäntelchen des Rock'n'Roll?«
»Das ist doch scheiße«, polterte Steve. »Du kannst doch auch keinem Maler vorschreiben, wie er sein Bild, zu malen hat oder einem Autor das Thema seines neuen Romans vorgeben!«
»Nein?«
»Ich weiß! Verdammt. Das kann doch nicht angehen, Sibel. Deine Verschwörungstheorie geht mir echt zu weit!«
»Menschen lassen sich aber nun mal über Bildung, Erziehung und Kunst manipulieren!«
»Hmm …«
»Hey«, Sibel hob beschwörend die Hände, »vielleicht ist das auch nur ein einsamer Wichser, der seine Ideale durchrücken will. Vielleicht steckt aber auch die Company dahinter – oder der Konzern, der die Strippen hinter der Company zieht! Jedenfalls scheinen sie ja eine ganz klare Botschaft durchdrücken zu wollen, oder? Doch, was ist mit diesem Charity-Auftritt?«
»Das klang echt bedrohlich. Ich dachte, gleich kriegt er nen Herzkasper, so hat er sich aufgeregt. Dabei geht’s doch um eine gute Sache.«
»Lost Children... habe ich schon drüber gelesen«, murmelte Sibel.
»Ja, Barbara Butcher ist die Tochter einer Bekannten meiner Mutter«, erklärte Mikel. »Ihr Sohn Ben verschwand vor einem Jahr gemeinsam mit drei Freunden, als sie sich vom Sportunterricht auf den Heimweg machten. Niemand hat je wieder etwas von ihnen gehört. Die Jungs waren zwischen sieben und acht Jahren alt. Könnt ihr euch diese Verzweiflung vorstellen? Seitdem schreibt Mrs. Butcher Betroffene an. Die Veranstaltung soll so etwas wie ein konstituierender Auftakt sein. Barbara Butchers psychischer Zustand lässt es allerdings nicht zu, die Gesamtverantwortung zu tragen. Seit etwa zwei Monaten hält nun eine Griechin das löchrige Netzwerk zusammen. Sie wird als Gastrednerin erwartet. Immer wieder verschwinden Kinder und diese Organisation bemüht sich um Aufklärung. Da kann selbst ein konservativer Arsch keine Einwände haben.«
»Da hast du recht. Das begreife ich auch nicht.« Sibel seufzte und legte eine neue CD ein.
Zehn Minuten später, als Manu Chao's 'Je ne t'aime plus' aus den Boxen säuselte, klingelte es an der Wohnungstüre. Sibel erhob sich bedächtig, schaute durch den Sucher, entriegelte die Tür und begrüßte einen sichtlich aufgebrachten Bob. Er brummte ein ‚Hi‘ in die Runde und schnauzte lautstark die Nase. Bob war ein untersetzter Typ Mitte zwanzig. Seine halblangen, feuerroten Haare trug er zum Zopf gebunden und kaute sichtlich erregt auf einem Kaugummi. Er sah aus wie das Abziehbild eines typischen Iren. Sibel bot ihm ein Glas an.
»Willkommen zur 'du glaubst nicht, was mir heute alles passiert ist'-Gruppe!«
»Willkommen zu unserer konspirativen kleinen Runde«, frotzele Steve. »Wir decken hier und heute eine globale Verschwörung auf. Die Aliens werden uns angreifen. Doch padapapapadapapapaaaah kommt in allerletzter Sekunde die Kavallerie um die Ecke gebrettert und rettet die Welt.«
Sibel verdrehte die Augen zur Decke und deutete auf die Akten:
»Alles nur Spinnerei?«
»Ich weiß ja nicht, um was es hier geht«, schaltete sich Bob ein. »Doch mir ist echt nicht nach Scherzen zumute!«
»Erzähl, was ist los!«
»Es geht um 251011M9.«
»Was ist los, mit ihm?«
»Du hast mich gebeten, ein Auge auf ihn zu werfen. Hast mir erzählt, er glaube, Arzt zu sein und, dass er sich verfolgt fühlt.«
»Richtig. Er verriet mir, dass er mittels nicht frei gegebener Psychopharmaka Experimente an Kinder durchführen sollte.«
»Seine Erinnerung scheint zurückzukommen. Er hat sich mir anvertraut«, raunte Bob. »Er sprach von einer Organisation, die Experimente im Bereich der Gehirnmanipulation durchführt, um Menschen aus dem Verkehr zu ziehen. Auch an Privates konnte er sich erinnern. Er glaubt, Single zu sein und in Brighton als Arzt zu praktizieren. Er habe Todesangst. Er glaubt, man wolle eine transorbitale Lobotomie bei ihm durchführen!«
»Was?« entfuhr es Sibel. »Wo? In unserer Klinik?«
»Ja«, antwortete Bob. Er war mittlerweile kreidebleich.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Steve und zupfte nervös an seiner Nase.
»Das ist eine neurochirurgische Operation und schon lange aus der Mode gekommen. Diese Therapie wurde durch Psychopharmaka ersetzt. Oh Gott, so eine brutale Scheiße. Das kann nicht sein!« Sibel war aufgebracht.
»Was passiert dabei?« fragte Mikel neugierig.
»Es ist eine Gehirn-OP, bei der die Nervenbahnen zwischen Thalamus und Frontallappen sowie Teile der grauen Substanz durchtrennt werden.«
»Das ist doch Papperlapapp. Wir sind doch hier nicht in Frankensteins Laborküche«, stöhnte Steve.
»Da bist du leider falsch informiert, mein Lieber. Auch wenn du es nicht wahrhaben willst, Frankenstein war immer unter uns. Ich schaue noch mal genau nach, antwortete Sibel und griff nach einem medizinischen Schinken.«
Nach zwei, drei Minuten peinlichen Schweigens, wurde sie fündig:
»Hier: Die Hirnoperationstechnik wurde von dem Italiener Mario Fiamberti und dem Portugiesen António Egaz Moniz vorangetrieben. 1936 wurde sie erstmals am Menschen durchgeführt. 1949 erhielt Moniz den Nobelpreis für Medizin. Anfang der 40er Jahre entwickelte vor allen Dingen der Amerikaner Walter Freeman die Methode zu einer populären Standardtechnik der Psychiatrie. Wurde bis 1955 in den meisten Industriestaaten eingesetzt«, las Sibel weiter. »Die massenhaften psychischen und psychiatrischen Erkrankungen waren in den USA eine Folge des Zweiten Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise ...«
»Die haben also operiert, was das Zeug hält?« fragte Bob ungläubig.
»Hier steht«, fuhr Sibel weiter fort: »Walter Freeman schrieb ohne Beschönigung: