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nicht wahr, Steuermann?« wandte Kapitän Cullen sich an den Steuermann.

      »Wenn Sie beigedreht hätten, wären die Masten über Bord gegangen«, lautete die Antwort des Steuermanns. »Sie haben sich ganz korrekt benommen, Käptn. Der Mann hatte nicht die geringste Möglichkeit.«

      George Dorety antwortete nicht, und bis zum Ende der Mahlzeit wurde kein Wort gesprochen. Von jetzt an nahm Dorety seine Mahlzeit in seiner eigenen Kajüte ein. Kapitän Cullen warf ihm keine finsteren Blicke mehr zu, obgleich sie kein Wort miteinander wechselten, während die Mary Rogers westwärts nach wärmeren Breitengraden eilte. Gegen Schluß der Woche drängte Dan Cullen Dorety in eine Ecke an Deck, so daß er nicht entkommen konnte. »Was werden Sie tun, wenn wir nach Frisco kommen?« fragte er brutal.

      »Ich werde Sie wegen Mordes anzeigen und dafür sorgen, daß Sie an den Galgen kommen«, antwortete Dorety ruhig.

      »Sie haben einen schönen Glauben an sich«, spottete Kapitän Cullen, ihm den Rücken kehrend.

      Noch eine Woche verging, und eines Morgens stand Dorety in der Kajütstür an der Vorderkante des langen Hüttendecks und sah sich zum ersten Mal an Deck um. Die Mary Rogers lag mit vollen Segeln in einer steifen Brise am Winde. Jedes Segel war gesetzt und prall. Kapitän Cullen schlenderte das Hüttendeck entlang, scheinbar völlig unbekümmert, aber hin und wieder warf er einen heimlichen Blick auf seinen Passagier. Dorety, dessen Kopf und Schultern zum Kajütsaufgang herausguckten, sah nach der anderen Seite, und nur sein Nacken war sichtbar. Kapitän Cullen ließ einen schnellen Blick von der großen Stagsegelschoot nach seinem Kopfe schweifen und maß die Entfernung. Er sah sich um. Niemand bemerkte ihn. Joshua Higgins, der achtern auf- und abging, hatte ihm gerade den Rücken gekehrt und sah nach der anderen Seite. Kapitän Cullen beugte sich plötzlich vor und löste die Stagsegelschoot von ihrem Nagel. Der schwere Block sauste durch die Luft, zerschmetterte Doretys Kopf wie eine Eierschale und schlug hin und her, während das Stagsegel im Winde klapperte. Joshua Higgins wandte sich um, um zu sehen, was losgegangen war, und wurde mit einem Strom von Kapitän Cullens schlimmsten Flüchen begrüßt.

      »Ich habe selbst die Schoot festgemacht«, jammerte der Steuermann, sobald er zu Worte kam, »und das sogar mit einem Extraturn, um ganz sicher zu sein. Das weiß ich genau.«

      »Festgemacht?« knurrte der Kapitän zurück, damit die Wache ihn hörte, die sich abmühte, das klatschende Segel wieder festzumachen, ehe es ganz zerriß. »Sie könnten nicht mal Ihre Großmutter festmachen, Sie verfluchter Topfgucker! Wenn Sie die Schoot mit einem Extraturn festgemacht hatten, warum zum Teufel hielt sie dann nicht? Das möchte ich wohl wissen. Warum, zum Teufel, hielt sie nicht?«

      Der Steuermann gab ein unartikuliertes Wimmern von sich.

      »Ach, halt's Maul!« Hiermit schnitt Kapitän Cullen jede weitere Diskussion ab.

      Eine halbe Stunde später war er am meisten von allen überrascht, als George Doretys Leiche am Fuß der Kajütstreppe gefunden wurde, und am Nachmittag, als er allein in seiner Kabine war, verarztete er das Journal:

      »Matrose Karl Brun wurde von der Voroberbramsegelstenge in einem Orkan über Bord geschleudert. Wir machten zu dem Zeitpunkt starke Fahrt und wagten aus Rücksicht auf die Sicherheit des Schiffes nicht, zu ihm hinzulaufen. Die See war so schwer, daß kein Boot durchgekommen wäre.«

      Auf eine andere Seite schrieb er:

      »Ich hatte Herrn Dorety oft vor der Gefahr gewarnt, der er sich in seiner Unvorsichtigkeit an Deck aussetzte. Ich hatte ihm eines Tages gesagt, daß ihm noch der Kopf von einem Block zerschlagen würde. Eine Großstagsegelschoot, die nicht genügend festgemacht war, trug die Schuld an diesem Unglücksfall, der um so bedauerlicher war, als Herr Dorety bei uns allen sehr beliebt war.«

      Kapitän Dan Cullen las mit Bewunderung sein literarisches Machwerk durch, trocknete es mit Löschpapier und schloß das Journal. Er fühlte, wie die Mary Rogers sich hob, überkrängte, und sich auf den Wogen wiegte, und er wußte, daß sie neun Knoten die Stunde machte. Sein finsteres, behaartes Gesicht verklärte sich langsam zu einem zufriedenen Lächeln. Nun ja, er war doch jedenfalls westwärts gekommen und hatte den lieben Gott angeführt.

      Der Abtrünnige

      Wenn du jetzt nicht aufstehst, Johnny, gebe ich dir keinen Bissen zu essen!« Die Drohung übte keine Wirkung auf den Knaben aus. Er klammerte sich immer noch an den Schlaf und kämpfte um das Vergessen, das er schenkt, wie der Träumende um seinen Traum kämpft. Der Knabe ballte die schwachen Fäuste und schlug kraftlos, aber krampfhaft mit ihnen um sich. Die Schläge waren gegen die Mutter gerichtet, aber sie hatte offenbar durch lange Übung gelernt, ihnen auszuweichen, und sie faßte ihn an der Schulter und schüttelte ihn tüchtig.

      »Laß mich!«

      Es war ein Schrei, der, halb erstickt in der tiefsten Tiefe des Schlafes, begann und hastig wie eine Klage zu heftiger Streitbarkeit stieg, dann legte sich auch die, und der Schrei wurde zu einem unartikulierten Wimmern. Es war ein tierischer Schrei, den eine Seele in Qual ausstieß, voll von unendlicher Erbitterung und von Schmerz.

      Aber das machte keinen Eindruck auf die Frau mit den traurigen Augen und dem müden Gesicht, denn sie war diese Arbeit gewohnt und mußte sie jeden Tag von neuem tun. Sie versuchte, die Bettdecke wegzuziehen, aber der Knabe schlug weiter nach seiner Mutter und klammerte sich mit dem Mut der Verzweiflung an die Decke, während er, immer noch von ihr bedeckt, ganz am Fußende des Bettes zusammenkroch. Sie versuchte, die Bettdecke auf den Fußboden zu ziehen, aber der Knabe wehrte sich. Da machte sie eine äußerste Anstrengung. Sie war die schwerere von den beiden, und der Knabe und die Bettdecke lagen auf dem Fußboden, denn er klammerte sich instinktiv fest, um sich gegen die Kälte in der Stube zu schützen, die seinen ganzen Körper durchschauerte.

      Als er über den Bettrand taumelte, sah es fast aus, als sollte er kopfüber hinstürzen. Aber da erwachte ein Schimmer von Bewusstsein in ihm. Er versuchte das Gleichgewicht zu bewahren, und wenn die Situation auch einen Augenblick drohend aussah, so landete er doch mit den Füßen zuerst auf dem Fußboden. Im selben Augenblick packte seine Mutter ihn an den Schultern und schüttelte ihn. Wieder begann er die Fäuste zu gebrauchen, diesmal aber mit größerer Kraft und Sicherheit. Gleichzeitig öffnete er die Augen. Sie ließ los. Er war wach.

      »Schon recht«, murmelte er.

      Sie nahm die Lampe, eilte hinaus, und er blieb allein im Dunkeln zurück.

      »Du kommst zu spät!« rief sie ihm zu.

      Er kümmerte sich nicht um die Dunkelheit. Als er sich angezogen hatte, ging er in die Küche. Sein Gang war sehr schwer für einen so zarten, dünnen Knaben. Er schleppte die Beine nach, was ganz unwahrscheinlich wirkte, da sie fast nur aus Haut und Knochen bestanden. Er zog einen Stuhl mit durchlöchertem Sitz an den Tisch.

      »Johnny!« rief die Mutter scharf.

      Er stand schnell wieder vom Stuhl auf und ging, ohne ein Wort zu sagen, zur Aufwasch. Es war eine fettige, schmutzige Aufwasch, und ein arger Gestank stieg aus dem Rohr auf, aber er beachtete es nicht. Für ihn war es selbstverständlich, daß eine Aufwasch schlecht roch, wie es auch selbstverständlich war, daß die Seife fettig von Aufwaschwasser war und nicht ordentlich schäumen wollte. Er gab sich auch keine besondere Mühe, sie zum Schäumen zu bringen. Ein paar Spritzer kaltes Wasser aus dem Hahn – und der feierliche Akt war beendet. Die Zähne putzte er sich nicht. Was das betrifft, so hatte er nie eine Zahnbürste gesehen und ahnte nicht, daß es Menschen gab, die so töricht waren, sich die Zähne zu putzen.

      »Das eine Mal am Tage könntest du dich nun wirklich gern waschen, ohne daß ich es dir immer zu sagen brauchte«, klagte seine Mutter.

      Sie hielt den zerbrochenen Deckel auf der Kanne fest, während sie zwei Tassen Kaffee einschenkte. Er sagte nichts, denn das war eine ewige Streitfrage zwischen ihnen und der einzige Punkt, in dem seine Mutter vollkommen unerbittlich war. »Einmal am Tage« war es durchaus notwendig, daß er sich das Gesicht wusch. Er trocknete sieh mit einem fettigen Handtuch ab, das feucht und schmutzig und so zerfetzt war, daß sein Gesicht, als er fertig war, mit Fasern bedeckt war.

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