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tun würde. Stephen war krank und der Unfall hat ihn geschockt. Wahrscheinlich glaubt er, er hätte den Doc irgendwie retten können. Immerhin waren er und Bristow die engsten Freunde.«

      Finch wandte sich dem Inspector zu. Gutmütig blickte er ihn aus seinen wässrig grauen Augen an. »Kriminalität ist ihre Sache, Inspector Walsh, nicht meine. Aber ich wage zu behaupten, dass die Fälle, in denen ein Mann einen völlig Fremden tötet, doch eher selten anzutreffen sind. Ganz abgesehen davon würde ich Freundschaft nicht gerade als Alibi einstufen.«

      Walsh lachte. »Na, nun versuchen Sie mal nicht Gespenster zu sehen, Doktor.« Er verlangsamte den Lauf der Pferde und lenkte die Kutsche durch ein Eisentor über einen Kiesweg auf eine Villa zu, deren Fenster alle beleuchtet waren. »Die Drake-Villa«, bemerkte Walsh lächelnd. »Man wird Sie bitten sich um Stephen zu kümmern.«

      *

      Sie kletterten vom Bock und ließen die Pferde von einem Diener versorgen, ehe sie auf das Eingangsportal der Villa zuschritten. Walsh ging hinein, als wäre er ein alter Freund des Hauses. Kaum waren sie eingetreten, fanden sie sich in einer großen Halle wieder. Eine breite geschwungene Treppe mit poliertem Mahagonigeländer führte von hier in den zweiten Stock. An einem Ende der Halle befand sich ein Kamin. Der ganze Bereich erinnerte stark an eine Kunstgalerie. An den Wänden hingen mehr als ein Dutzend großer Ölgemälde: Landschaften und Portraits. Man musste kein Kenner sein, um zu sehen, dass es sich hier um wahre Kunstwerke handelte.

      Finch sah sich die Bilder an. Er schien so an ihnen interessiert zu sein, dass er sich anstrengen musste, seine Aufmerksamkeit auf eine junge Frau zu richten, die rechts vom Eingang aus einem Zimmer kam. Es war jene Frau, die er bereits im Arm von Stephen Drake gesehen hatte. Das helle Licht der zahlreichen Glühbirnen zeigte ihre zarte und empfindliche Schönheit. Es war eindeutig, dass sie geweint hatte, was aber durchaus nicht den Eindruck von Schwäche hinterließ.

      »Danke, dass Sie den Arzt mitgebracht haben, Inspector«, sagte sie und streckte Dr. Finch die Hand entgegen. »Ich bin Marcia Drake. Ich habe versucht Stephen zu überzeugen, ins Bett zu gehen, aber er lehnt das ab. Er ist ins Arbeitszimmer gegangen und besteht darauf, mit Inspector Walsh zu sprechen. Ich glaube aber nicht, dass er dazu in der Lage ist … wirklich nicht. Wenn Sie es ihm nur verständlich machen könnten, Doktor.«

      »Was verständlich machen, Mrs. Drake?«

      »Das er sich völlig unbegründet Vorwürfe macht.«

      »Dergleichen tun wohl die meisten von uns«, erwiderte Finch. »Zeigen Sie mir den Weg?«

      »Hier lang, bitte.«

      »Ich würde gern mit Ted darüber reden, was passiert ist«, meldete sich Walsh. »Wo ist er?«

      »Im Salon, Inspector. Vielleicht brauchen Sie ja auch einen Drink, so wie die anderen.«

      *

      Finch folgte Marcia Drake in das Arbeitszimmer, einem dunklen von Büchern gesäumten Raum, von dem zwei große Türen auf eine Terrasse führten.

      Die Julinacht hatte eine warme Brise einziehen lassen. Kleine Rauchschwaden zogen von der Zigarette im Aschenbecher auf dem Schreibtisch durch den Raum.

      Stephen Drake saß in einem schweren Ledersessel hinter dem Tisch. Er hatte die Ellbogen auf die Platte gestützt und sein Gesicht in den Händen vergraben. Als Marcia und Finch hereinkamen, schaute er auf. In seinen Augen spiegelte sich ein gequälter Ausdruck.

      »Das ist Dr. Finch, Stephen«, lächelte Marcia aufmunternd.

      »Hallo, Doktor«, begrüßte Stephen ihn. Seine Stimme war so müde, dass es unmöglich schien, dass er noch etwas anderes sagen würde, aber er tat es. »Ich brauche irgendwelche Pillen, ein Beruhigungsmittel, Doktor. Ich muss Walsh nur meine Geschichte erzählen und es hinter mich bringen.«

      »Sie müssen ihm das ausreden, Dr. Finch. Man sieht doch, dass er dazu gar nicht die Kraft hat«, bat Marcia. »Er kann jetzt unmöglich mit dem Inspector sprechen.«

      »Er wird es wohl müssen«, erwiderte Finch und trat aus dem Lichtkegel der Schreibtischlampe. »Mir wurde gesagt, dass Sie krank waren, Mr. Drake.«

      »Ich … ich hatte einen Nervenzusammenbruch«, bestätigte Stephen. »Vermutlich war ich einfach nur überarbeitet. Mein Blutdruck war zu niedrig, der Puls zu hoch. Außerdem war ich ständig gereizt und kam nicht in den Schlaf. Wir produzieren verschiedene dampfgetriebene Motoren für diverse Zwecke. Ich war fünfzehn bis zwanzig Stunden in der Fabrik … Es war mehr als nervenaufreibend alles unter Kontrolle zu behalten, und ich habe nicht auf meinen Körper gehört.«

      »Und die Behandlung?«, hakte Finch nach.

      »Bestand aus Ruhe, viel Ruhe … und Schlafpulver, einer besonderen Ernährung, viel Leber und daneben Injektionen von Eisen. Aber das ist doch unwichtig, Doktor. Völlig unwichtig, nicht wahr?«

      »Wirklich?«

      »Ja, Doktor«, nickte Stephen heftig. Er blickte ihn voller Verzweiflung an. »Wissen sie, was heute Abend geschehen ist, passiert mir schon seit vielen Tagen. Ich war vor heute schon dreimal kurz davor einen Mord zu begehen. Ich glaube, ich habe die ganze Zeit über gewusst, dass es irgendwann dazu kommen muss und ich dem Verlangen nicht mehr widerstehen kann. Da ist was in mir, hat sich festgesetzt, Doktor. Ich muss wahnsinnig geworden sein.« Mit zittrigen Fingern drückte er die Zigarette im Kristallaschenbecher aus und zündete sich eine frische an. »Ich möchte nur noch meine Geschichte erzählen und an einen Ort gebracht werden, an dem ich keinen Schaden mehr anrichten kann.«

      »Aber Stephen!«, begehrte Marcia auf und weinte. »So darfst du nicht reden!«

      »Sie haben den Drang also bereits drei Mal gespürt, Dr. Bristow zu töten«, hielt Finch fest und seine Stimme klang ungerührt, »und haben dann dem vierten nachgegeben?«

      Stephen schüttelte den Kopf. »Das ist ja das verrückte, das was ich nicht begreifen kann, Doktor. Bristow war meine einzige Hoffnung. Er war meine Zuflucht. Die anderen Male, als ich das Bedürfnis verspürte, war es nicht Bob, den ich töten wollte.« Er nahm einen Zug von seiner Zigarette, holte tief Luft und blickte seine Frau an. »Die anderen Male warst du es, Schatz. Du warst diejenige, die ich ermorden wollte.«

      Für einen Moment starrte Marcia Drake ihren Mann mit weit aufgerissen und verängstigen Augen an und presste den rechten Handrücken fest auf ihren Mund. Dann brach sich die Spannung. »Das ist ein Witz, Stephen. Ein schrecklich, schlechter Witz!«

      Ihr Mann antwortete nicht. Wieder hielt er sein Gesicht mit den Händen bedeckt.

      Ein Windstoß erfasste ein Blatt Papier und ließ es vom Schreibtisch segeln.

      Finch beobachtete es, so als ob er daran interessiert sei, wo es auf dem Teppich landen würde. »Vielleicht ist das kein Witz«, bemerkte er murmelnd, als redete er mit sich selbst.

      ***

      3

      Als Inspector Walsh den Salon betrat, fand er drei Personen vor, die er alle gut kannte.

      Ted Hunter mischte Getränke in einer kleinen fahrbaren Bar, während Harriet Moore, Teds erstgeborene Tante, in einem großen Ohrensessel am Kamin saß.

      Sie war eine dunkelhaarige, drahtige Frau Anfang ihrer Fünfziger. Ihr Rock, der weiße, gestärkte Blusenkragen und die kurze, militärisch geschnittene Jacke, erweckten den Eindruck intelligenter Strenge. In ihren Fingern klickten Stricknadeln, wie in einem automatischen Prozess, der offensichtlich keinerlei Konzentration erforderte. Sie blickte zu Walsh auf, der ein Notizbuch aus der Tasche gezogen hatte, als er ins Zimmer kam. »Müssen Sie sich unbedingt wie ein Polizist verhalten«, fragte sie herrisch.

      »Entschuldigung«, erwiderte Walsh gelassen. »Aber Sie müssen verstehen, dass ich einen Bericht verfassen muss.«

      »Gib dem Mann einen Drink«, wies Harriet Ted an.

      Die dritte Person im Salon war Michael Cleghorn, ein riesiger, zotteliger bernhardinergleicher Mann, dessen Grundstück sich an das der Drakes anschloss. Er war ein

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