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vor dem Walde, wohin sie nun gekommen war, lag ein großes Kornfeld; aber das Korn war seit langer Zeit fort, nur die nackten, trockenen Stoppeln standen aus der gefrorenen Erde hervor. Die waren ein Wald für sie zu durchwandern, o, wie zitterte sie vor Kälte! Da gelangte sie vor die Thüre einer Feldmaus. Die hatte ein kleines Loch unter den Kornstoppeln. Da wohnte die Maus warm und gemüthlich, hatte die ganze Stube voll Korn, eine herrliche Küche und Speisekammer. Das arme Däumelinchen stellte sich in die Thüre, wie ein armes Bettelmädchen, und bat um ein kleines Stück von einem Gersterkorn, denn sie hatte seit zwei Tagen nicht das Mindeste zu essen gehabt.

      »Du armes Thierchen!« sagte die Feldmaus, denn im Grunde war sie eine gute Alte; »komm herein in meine warme Stube und speise mit mir!«

      Da ihr nun Däumelinchen gefiel, sagte sie: »Du kannst meinetwegen den Winter über bei mir bleiben, aber Du mußt meine Stube sauber und rein halten und mir Geschichten erzählen, denn die liebe ich sehr.« Und Däumelinchen that, was die gute, alte Feldmaus verlangte, und hatte es dafür außerordentlich gut.

      »Nun werden wir bald Besuch erhalten!« sagte die Feldmaus; »mein Nachbar pflegt mich jede Woche einmal zu besuchen. Er steht sich noch besser, als ich, hat große Säle und trägt einen schönen, schwarzen Sammetpelz! Wenn Du den nur zum Manne bekommen könntest, so wärest Du gut versorgt. Aber er kann nicht sehen. Du mußt ihm die niedlichsten Geschichten erzählen, die Du weißt!«

      Aber darum kümmerte sich Däumelinchen nicht; ihr lag nichts an dem Nachbar, denn er war ja ein Maulwurf.

      Dieser kam und stattete in seinem schwarzen Sammetpelz Besuch ab. Er sei so reich und so gelehrt, sagte die Feldmaus, seine Wohnung sei auch mehr als zwanzig Mal größer, als die der Feldmaus; Gelehrsamkeit besaß er, aber die Sonne und die schönen Blumen mochte er nicht leiden; von diesen sprach er schlecht, denn er hatte sie nie gesehen.

      Däumelinchen mußte singen, und sie sang: »Maikäfer fliege!« und »Geht der Pfaffe auf das Feld«. Da verliebte sich der Maulwurf in sie, der schönen Stimme halber; aber er sagte nichts: er war ein besonnener Mann. –

      Er hatte sich vor Kurzem einen langen Gang durch die Erde von seinem bis zu ihrem Hause gegraben; in diesem erhielten die Feldmaus und Däumelinchen Erlaubniß zu spazieren, so viel sie wollten. Aber er bat sie, sich nicht vor dem todten Vogel zu fürchten, der in dem Gange läge. Es war ein ganzer Vogel mit Federn und Schnabel, der sicher erst kürzlich gestorben war und nun da begraben lag, wo Jener seinen Gang gemacht hatte.

      Der Maulwurf nahm ein Stück faules Holz in's Maul, denn das schimmert wie Feuer im Dunkeln, und ging dann voran und leuchtete ihnen in dem langen, finstern Gange. Als sie dahin kamen, wo der todte Vogel lag, stemmte der Maulwurf seine breite Nase gegen die Decke und stieß die Erde auf, sodaß ein großes Loch entstand, durch welches das Licht hinunter scheinen konnte. Mitten auf dem Fußboden lag eine todte Schwalbe, die schönen Flügel fest an die Seiten gedrückt, die Füße und den Kopf unter die Federn gezogen; der arme Vogel war sicher vor Kälte gestorben. Das that Däumelinchen recht leid; sie hielt sehr viel von allen kleinen Vögeln, die hatten ja den ganzen Sommer so schon vor ihr gesungen und gezwitschert; aber der Maulwurf stieß ihn mit seinen krummen Beinen und sagte: »Nun pfeift er nicht mehr! Es muß doch erbärmlich sein, als kleiner Vogel geboren zu werden! Gott sei Dank, daß keins von meinen Kindern das wird; ein solcher Vogel hat ja nichts außer seinem Quivit und muß im Winter verhungern!«

      »Ja, das mögt Ihr als vernünftiger Mann wohl sagen,« sprach die Feldmaus. »Was hat der Vogel für all' seinen Quivit, wenn der Winter kommt? Er muß hungern und frieren. Doch das soll wohl gar vornehm sein!«

      Däumelinchen sagte nichts; als aber die beiden Andern dem Vogel den Rücken wendeten, neigte sie sich herab, schob die Federn zur Seite, welche den Kopf bedeckten, und küßte ihn auf die geschlossenen Augen.

      »Vielleicht war er es, der so hübsch vor mir im Sommer gesungen,« dachte sie. »Wie viel Freude hat er mir nicht gemacht, der liebe, schöne Vogel!«

      Der Maulwurf stopfte nun das Loch zu, durch welches der Tag herein schien, und begleitete dann die Damen nach Hause. Aber des Nachts konnte Däumelinchen gar nicht schlafen; da stand sie aus ihrem Bette auf und flocht von Heu einen großen, schönen Teppich, den trug sie hin, breitete ihn über den todten Vogel aus und legte die feinen Staubfäden von Blumen, die weich wie Baumwolle waren, und die sie in der Stube der Feldmaus gefunden hatte, an die Seiten des Vogels, damit er in der Erde warm läge.

      »Lebe wohl, Du schöner, kleiner Vogel!« sagte sie. »Lebe wohl und habe Dank für Deinen herrlichen Gesang im Sommer, als alle Bäume grün waren und die Sonne warm auf uns herabschien!« Dann legte sie ihr Haupt an des Vogels Herz. Der Vogel aber war nicht todt: er lag nur erstarrt da, war nun erwärmt und bekam wieder Leben.

      Im Herbste stiegen alle Schwalben nach den heißen Ländern fort; aber ist eine da, die sich verspätet, dann friert sie so, daß sie wie todt niederstürzt und liegen bleibt, wo sie hinfällt; der kalte Schnee bedeckt sie dann.

      Däumelinchen zitterte, so war sie erschrocken; denn der Vogel war ja groß, sehr groß gegen sie, die nur einen Zoll lang war. Aber sie faßte doch Muth, legte die Baumwolle dichter um die arme Schwalbe, holte ein Krausemünzblatt, welches sie selbst zum Deckblatt gehabt hatte, und legte es über den Kopf des Vogels.

      In der nächsten Nacht schlich sie sich wieder zu ihm; da war er lebendig, aber sehr matt; er konnte nur einen kurzen Augenblick seine Augen öffnen und Däumelinchen ansehen, die mit einem Stück faulen Holzes in der Hand – denn eine andere Laterne hatte sie nicht – vor ihm stand. –

      »Ich danke Dir, Du niedliches kleines Kind!« sagte die kranke Schwalbe zu ihr. »Ich bin so herrlich erwärmt! Bald erlange ich meine Kräfte wieder und kann dann draußen in dem warmen Sonnenscheine umherfliegen!«

      »O!« sagte sie, »es ist kalt draußen; es schneit und friert! Bleib' in Deinem warmen Bette; ich werde Dich schon pflegen!«

      Dann brachte sie der Schwalbe Wasser in einem Blumenblatte; diese trank und erzählte ihr, wie sie sich den einen Flügel an einem Dornbusche wund gerissen und deshalb nicht so schnell habe fliegen können, wie die andern Schwalben, welche fortgeflogen seien, weit fort, nach den warmen Ländern. So sei sie zuletzt auf die Erde gefallen, aber mehr konnte sie sich nicht entsinnen, und wußte gar nicht, wie sie hierher gekommen war.

      Den ganzen Winter blieb sie nun da unten, und Däumelinchen hegte und pflegte sie so recht von Herzen; weder der Maulwurf noch die Feldmaus erfuhren etwas davon, denn die mochten ja die arme Schwalbe nicht leiden.

      Sobald das Frühjahr kam und die Sonne die Erde erwärmte, sagte die Schwalbe dem Däumelinchen Lebewohl, die das Loch öffnete, welches der Maulwurf oben gemacht hatte. Die Sonne schien so herrlich zu ihnen herein, und die Schwalbe fragte, ob sie mitkommen wolle; sie könne auf ihrem Rücken sitzen: sie wollten weit in den grünen Wald hinein fliegen. Aber Däumelinchen wußte, daß es die alte Feldmaus betrüben würde, wenn sie die so verließe.

      »Nein, ich kann nicht!« sagte Däumelinchen.

      »Lebe wohl, lebe wohl! Du gutes, niedliches Mädchen!« sagte die Schwalbe und flog hinaus in den Sonnenschein. Däumelinchen sah ihr nach, und die Thränen traten ihr in die Augen, denn sie war der armen Schwalbe herzlich gut.

      »Quivit, quivit!« sang der Vogel und flog in den grünen Wald. – Däumelinchen war sehr betrübt. Sie erhielt keine Erlaubniß, in den warmen Sonnenschein hinauszugehen. Das Korn, welches auf dem Felde, über dem Hause der Feldmaus, gesäet war, wuchs auch hoch in die Luft empor; das war ein dichter Wald für das arme, kleine Mädchen, das ja nur einen Zoll lang war. »Nun bist Du Braut, Däumelinchen!« sagte die Feldmaus. »Der Nachbar hat um Dich angehalten. Welch' großes Glück für ein armes Kind! Nun mußt Du Deine Aussteuer nähen, sowohl Wollen- wie Leinenzeug; denn es darf an Nichts fehlen, wenn Du des Maulwurfs Frau wirst!«

      Däumelinchen mußte die Spindel drehen, und die Feldmaus miethete vier Spinnen, um Tag und Nacht für sie zu weben. Jeden Abend besuchte sie der Maulwurf und sprach dann immer davon, daß, wenn der Sommer zu Ende gehe, die Sonne lange nicht so warm scheinen werde; sie brenne ja jetzt die Erde so fest wie

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