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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
Читать онлайн.Название Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783746750194
Автор произведения Hans Christian Andersen
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Angenehm und süß war der Duft, der aus dem üppigen Kleefelde emporströmte, die Bienen summten dort um die alte Thingstätte; die Brombeerranke schlängelte sich um den Altarstein, der vom Regen gewaschen, im Sonnenlichte glänzte, dorthin flog die Bienenkönigin mit ihrem Schwärme und bereitete Wachs und Honig. Nur der Sommer sah es und sein kräftiges Weib; für sie stand der Altartisch mit den Opfergaben der Natur gedeckt.
Der Abendhimmel leuchtete wie Gold, keine Kirchenkuppel glänzt so reich, und der Mond schien zwischen Abendröthe und Morgenröthe: es war Sommer!
Und es vergingen Tage und es vergingen Wochen. – Die blanken Sensen der Schnitter blinkten in den Kornfeldern, die Zweige des Apfelbaumes bogen sich schwer von rothen und gelben Früchten; der Hopfen duftete lieblich und hing in großen Büscheln, und unter den Haselstauden, wo die Nüsse in schweren Dolden saßen, ruhten Mann und Weib, der Sommer mit seinem ernsten Weibe.
»Welch ein Reichthum!« sagte es, »ringsumher ist Segen verbreitet, überall ist's heimisch und gut, und doch, ich weiß es selbst nicht, ich sehne mich nach – Stille, – Ruhe, – ich weiß nicht das Wort dafür! – Nun pflügen sie schon wieder auf dem Felde! Mehr und immer mehr wollen die Menschen gewinnen! Sieh, die Störche kommen in Schaaren, und gehen in einiger Entfernung hinter dem Pfluge her; der Vogel Aegyptens, welcher uns durch die Luft trug! Erinnerst Du Dich dessen noch, wie wir Beide als Kinder hierher nach dem Lande des Nordens kamen? – Blumen brachten wir, lieblichen Sonnenschein und grüne Wälder; der Wind verfuhr hart mit ihnen, sie bräunen und dunkeln, wie die Bäume des Südens, aber goldene Früchte tragen sie nicht, wie diese!«
»Die goldenen Früchte willst Du sehen?« fragte der Sommer, »so freue Dich denn!« Er erhob seinen Arm, und des Waldes Blätter färbten sich roth und golden, Farbenpracht kam über alle Wälder; die Rosenhecke glänzte mit feuerrothen Hanebutten, die Fliederzweige hingen voll schwerer, großer, schwarzbrauner Beeren, die wilden Kastanien fielen reif aus den schwarzgrünen Schalen, und im Waldesgrunde blühten die Veilchen zum zweiten Male.
Aber die Königin des Jahres wurde stiller und immer bleicher. »Es weht kalt!« sagte sie, »die Nacht bringt feuchte Nebel! – ich sehne mich nach dem – Lande der Kindheit!«
Und sie sah die Störche fortfliegen, alle und jeden, und sie streckte die Hände nach ihnen aus. – Sie blickte nach den Nestern hinauf, welche leer standen, in dem einen wuchs die langstielige Kornblume, in einem andern der gelbe Rübsamen, als ob das Nest nur zu deren Schutze und zu deren Umzäunung da sei, und die Sperlinge flogen in die Nester der Störche hinauf.
»Piep! Wo ist die Herrschaft geblieben! Sie kann es wohl nicht vertragen, wenn es weht, und deshalb hat sie das Land verlassen! Ich wünsche glückliche Reise!«
Des Waldes Blätter wurden immer gelber, und Laub fiel auf Laub, die Stürme des Herbstes brausten; das Spätjahr war weit vorgerückt, und auf dem gelben Laubfalle ruhte die Königin des Jahres und schaute mit milden Augen nach dem schimmernden Sterne, und der Gatte stand bei ihr. Ein Windstoß wirbelte im Laube – es fiel wieder in Menge, da war sie verschwunden, aber ein Schmetterling, der letzte des Jahres, flog durch die kalte Luft.
Die feuchten Nebel kamen, eisiger Wind blies, und die finstern, längsten Nächte schritten einher. Der Herrscher des Jahres stand da mit schneeweißen Locken; aber er selbst wußte es nicht, er glaubte, es seien Schneeflocken, die aus den Wolken fielen; eine dünne Schneedecke breitete sich über das grüne Feld.
Und die Kirchenglocken läuteten die Weihnachtszeit ein.
»Die Glocken der Geburt läuten!« sagte der Herrscher des Jahres, »bald wird das neue Herrscherpaar geboren; und ich gehe zur Ruhe, wie mein Weib! Zur Ruhe im leuchtenden Sterne!«
Und im frischen grünen Tannenwalde, wo der Schnee lag, stand der Weihnachtsengel und weihte die jungen Bäume ein, die sein Fest verherrlichen sollten.
»Freude im Zimmer und unter den grünen Zweigen!« sagte der alte Herrscher des Jahres, in Wochen war er zu einem schneeweißen Greise gealtert. »Meine Ruhezeit naht, das junge Paar des Jahres erhält nun Krone und Scepter!«
»Die Macht ist doch Dein!« sagte der Weihnachtsengel, »die Macht und nicht die Ruhe! Laß den Schnee wärmend auf der jungen Saat liegen! Lerne es ertragen, daß einem Andern gehuldigt wird, und daß Du doch Herrscher bist! Lerne es, vergessen zu sein und doch zu leben! Die Stunde Deiner Freiheit kommt, wenn der Frühling erscheint!«
»Wann kommt der Frühling?« fragte der Winter.
»Der kommt, wenn der Storch einkehrt!«
Und mit weißen Locken und schneeweißem Barte saß der Winter eiskalt, gebeugt und betagt, aber stark wie der Wintersturm und des Eises Macht, hoch auf der Schneewehe des Hügels und schaute gen Süden, wo er vorher gesessen und hinausgeblickt hatte. – Das Eis krachte, der Schnee knisterte, die Schlittschuhläufer kreisten auf den blanken Seen, und Raben und Krähen nahmen sich auf dem weißen Grunde gut aus, kein Wind rührte sich. In der stillen Luft ballte der Winter die Fäuste und das Eis war klafterdick zwischen Land und Land.
Da kamen die Sperlinge wieder aus der Stadt und fragten: »Wer ist der alte Mann dort?« Und der Rabe saß wieder da, oder ein Sohn von ihm, was ja ganz dasselbe ist, der antwortete ihnen und sagte: »Der Winter ist's! Der alte Mann vom vorigen Jahre. Er ist nicht todt, wie der Kalender sagt, sondern Vormund des Frühlings, welcher kommt!«
»Wann kommt der Frühling?« fragten die Sperlinge; »dann bekommen wir gute Zeit und besseres Regiment! Das alte taugte nicht.«
Und in stillen Gedanken nickte der Winter dem blattlosen schwarzen Walde zu, wo jeder Baum die liebliche Form und Biegung der Zweige zeigte; und während des Winterschlafes senkten sich die eiskalten Nebel der Wolken, – dem Herrscher träumte von seiner Jugendzeit und von seinem Mannesalter, und gegen Tagesanbruch prangte der ganze Wald in blitzendem Reife, das war der Sommertraum des Winters: der Sonnenschein streute Reif von den Zweigen.
»Wann kommt der Frühling?« fragten die Sperlinge.
»Der Frühling!« klang es wie ein Echo von den Hügeln, auf welchen der Schnee lag. Die Sonne schien warmer, der Schnee schmolz, die Vögel zwitscherten: »Der Frühling kommt!«
Und hoch durch die Luft kam der erste Storch, der zweite folgte; ein liebliches Kind saß auf dem Rücken eines jeden, und sie senkten sich nieder auf das offene Feld, küßten die Erde, und küßten den alten, stillen Mann, und wie Moses auf dem Berge verschwand er, vom Wolkennebel getragen.
Die Geschichte des Jahres war zu Ende.
»Das ist sehr richtig!« sagten die Sperlinge, »es ist auch sehr schön, aber es ist nicht nach dem Kalender, und darum ist es verkehrt!«
Erlenhügel.
Einige große Eidechsen liefen schnellfüßig in den Spalten eines alten Baumes umher; sie konnten einander gut verstehen, denn sie sprachen die Eidechsen-Sprache.
»Wie das in dem alten Erlenhügel poltert und brummt!« sagte die eine Eidechse. »Ich habe vor dem Lärm schon zwei Nächte kein Auge zuthun können; ich konnte ebenso gut Zahnweh haben, denn da schlaf ich auch nicht.«
»Da drinnen ist etwas los!« sagte die andere Eidechse. »Sie lassen den Hügel, bis Morgens der Hahn kräht, auf vier rothen Pfählen stehen; er wird recht ausgelüftet; und die Erlenmädchen haben neue Tänze gelernt. Da ist etwas los!«
»Ja, ich habe mit einem Regenwurm aus meiner Bekanntschaft gesprochen,« sagte die dritte Eidechse; »der Regenwurm