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Khong-Kheou, das Ehrenwort. Karl May
Читать онлайн.Название Khong-Kheou, das Ehrenwort
Год выпуска 0
isbn 9783746747804
Автор произведения Karl May
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die Chinesen benutzen bekanntlich die Ärmel als Taschen. Der Brief trug weder Marke noch Stempel; er war also jedenfalls als Einlage nach Deutschland gelangt. Die nicht mit Feder, sondern mit Pinsel geschriebene Adresse lautete:
»Dem Volksschullehrer Joseph Ferdinand Stein oder dessen Verwandten, früher wohnhaft Obergasse 12 parterre.«
Der Student blickte nachdenklich und kopfschüttelnd auf das Papier.
»Hm!« sagte er. »Der Mann ist also nicht im Adreßbuche zu finden?«
»Nein.«
»Auch ich weiß, daß kein Lehrer dieses Namens hier angestellt ist. Wahrscheinlich ist der Adressat verstorben und – -ah! Heureka! Vielleicht ist meine Wirtin seine Witwe! Vertrauen Sie mir den Brief auf einige Augenblicke an, lieber Freund! Ich reite im Galopp hinauf und bringe Ihnen dann per Extrazug Bescheid.«
Er eilte davon, ins Haus hinein. Hund und Wichsier waren mit ihm stehen geblieben. Beide waren auf diesen plötzlichen Aufbruch ihres Herrn nicht gefaßt gewesen. Der Neufundländer sprang rasch zur Seite; der Wichsier aber war weniger geistesgegenwärtig. Der »Methusalem« hatte während der Unterredung den Pfeifenschlauch ergriffen und nun beim Forteilen die Spitze desselben wieder in den Mund gesteckt. Wäre der Wichsier sofort nachgesprungen, so hätte er das folgende Unglück vermieden, so aber zögerte er einen Augenblick, der Schlauch wurde angespannt und ihm dadurch die Wasserpfeife aus der Hand gerissen. Er wollte, um sie zu retten, nach ihr greifen, gab dadurch aber ihrem Falle eine solche Richtung, daß sie auf den Neufundländer flog und dann zur Erde stürzte, wo das Wasserbassin in Scherben zerbrach. Der Kopf hatte seinen glühenden Inhalt auf den Kopf des Hundes ergossen; der übrige Teil wurde von dem eilfertigen Studenten mit bis zur halben Treppe gerissen. Dann bemerkte der letztere, daß hinter ihm nicht alles in Ordnung sei. Er blieb stehen und drehte sich um.
Das sah er, daß er nur den Schlauch mit dem Fuße der Pfeife im Besitze hatte. Der Hund heulte laut, denn seine Kopfhaare begannen zu glimmen, und der Wichsier war über ihn weggestürzt und lag mit der Oboe an der Erde. Dabei stand der Chinese, schlug die Hände zusammen und rief erschrocken:
»O Nieou-nieou-nieou! Chi-tchin! Chi-nieou!«
Das alles machte einen so drolligen Eindruck, daß der Student gar nicht an den Verlust der teuren Pfeife dachte, sondern lächelnd von der Treppe herabrief.
»Aber, Gottfried von Bouillon, was hast du da angerichtet!«
Der Wichsier des »Methusalem« wurde nämlich aus später zu erwähnenden Gründen von sämtlichen Studenten »Gottfried von Bouillon« genannt. Er sprang von der Erde auf und antwortete mehr zornig als verlegen:
»Wat ich anjerichtet hab'? Als wie ich? Da hört mir Allens off, Allens, und die Umdrehung der Erde dazu! Wer hat mich denn die wässerige Hukah aus der Hand jerissen und mir mit samt der Oboe parterre jebracht, so daß sogar der Pelz des Neufundländers in sechs Scheunenbrände jeraten ist? Da jeht man in aller Würde und Feierlichkeit von Jott Bachussen zu seine heimischen Penaten, und kaum ist man in das Ostium jetreten, so steht ein Mann des Zopfes da und schreit einen mit Nieou an! Wat hat des zu bedeuten?«
Diese zornige Frage war an den Chinesen gerichtet. An dessen Stelle antwortete der Student:
»Nieou heißt zu deutsch Ochse. Dreimal hintereinander bedeutet es also dreifacher Wiederkäuen«
»Schön! Und Chi-tchin?«
»Ein Tölpel, ein langsamer Sancho Pansa.«
»Noch schöner! Herr Ye-Kin-Li, Sie wollten sich soeben zur Polizei bejeben; det haben Sie nicht nötig, denn ich werde Ihnen hinführen lassen. Sie werden arretiert. Vorher aber will ich Sie zeigen, wie ein musikalisch approbierter Europäer auf solche Beleidigungen mit seinem Lieblingsinstrumente antwortet.«
Er hob die Oboe vom Boden auf, fällte sie wie ein Gewehr und drang dann mit derselben auf den Chinesen ein. Dieser war keineswegs ein Held und hielt es für das beste, das Hasenpanier zu ergreifen. Er floh in seinen Laden und riegelte die Thür desselben hinter sich zu.
»So, da ist er mit jütiges Verschwinden hinter seine Coulissen retiriert,« lachte Gottfried von Bouillon. »Ich habe jesiegt, verzichte aber darauf, Viktoria schießen zu lassen und werde mir lieber bemühen, diese Überreste einer seligen Verjangenheit einem glücklichen Verjessensein entjegenzuführen.«
Er suchte die Scherben zusammen. Sein Herr warf ihm den Wasserschlauch zu und ging nach oben, um bei seiner Wirtin einzutreten.
Diese bewohnte ein Stübchen, an welches ein kleines Schlafgemach stieß. Die anderen Räume ihrer Wohnung hatte sie an den Studenten vermietet, um dadurch ihre dürftige Lage ein wenig zu verbessern. Sie war die Witwe eines Lehrers und bezog eine sehr kärgliche Pension, welche nicht einmal für Salz und Brot ausreichte. Darum mußte sie manche Nacht hindurch am Nähtischchen oder Stickrahmen sitzen, um die Not von sich und ihren drei Kindern fern zu halten.
Erst von dem Tage an, an welchem der »Methusalem« zu ihr gezogen war, hatte ihre gedrückte Lage eine Änderung zum Besseren erfahren. Die vorherigen Mieter waren keine guten Zahler gewesen und hatten der braven Frau manche schwere Sorge bereitet; er aber war reich und besaß ein sehr gutes Herz. Er bezahlte nicht nur seine Miete sehr regelmäßig, sondern ließ seiner Wirtin auch sonst manche unerwartete Einnahme zufließen. Er hatte gar bald eine herzliche Zuneigung zu den wohlgesitteten Kindern gefaßt, hörte es gern, wenn sie ihn in zutraulicher Weise Onkel nannten und schien sich im stillen die Aufgabe gestellt zu haben, wie ein wirklicher Verwandter für ihr Wohlergehen Sorge zu tragen.
Richard, der älteste Sohn der Witwe, war ein sehr begabter Knabe. Seine Lehrer liebten ihn und rieten seiner Mutter, ihn studieren zu lassen. Leider aber war sie dazu zu arm. Das stimmte sie traurig. Sie wußte sehr wohl, daß das Handwerk einen goldenen Boden habe, doch empfand ihre Mutterliebe es mit stillem Kummer, daß sie dem Knaben nicht eine seinen Anlagen entsprechende Erziehung und Zukunft bieten könne.
Da war eines Abends der »Methusalem« zu ihr gekommen und hatte sich mit ihr über dieses Thema in seiner kurzen, bestimmten Weise ausgesprochen. Sie hatte seinen Antrag, obgleich derselbe sie mit Entzücken erfüllte, bescheiden abgelehnt; er aber hatte das vertrauliche Gespräch zum Schlusse gebracht, indem er in entschiedenem Tone erklärte:
»Meine liebe Frau Stein, Sie werden bemerkt habe, daß ich nicht gern von mir und meinen Verhältnissen spreche; heute will ich einmal von dieser Gepflogenheit abweichen. Mein Vater war ein reicher Brauer. Er hatte den Ehrgeiz, sich eines gelehrten und berühmten Sohnes rühmen zu wollen. Ich sträubte mich dagegen, denn ich wollte nichts anderes werden, als was auch er geworden war, ein Brauer. Mein Sträuben half nichts. Ich mußte Faba, die Bohne, deklinieren, obgleich mir der Hopfen über alle Bohnen ging. Über das Weitere will ich schweigen. Der Vater verwandelte seine Brauerei in ein Aktienunternehmen und hinterließ mir ein bedeutendes Vermögen. Ich aber habe es nur bis zum bemoosten Haupte gebracht, das heißt, zu einem akademischen Schlachtenbummler, welcher dem wirklichen Streiter verächtlich erscheint. Ich beginne nun nachgerade die ganze Leere dieses zwecklosen Daseins schmerzlich zu empfinden. Ich schäme mich meiner selbst. Ich will nicht länger ein unnützes Mitglied der menschlichen Gesellschaft sein. Ich will Thaten thun, und meine erste That soll darin bestehen, daß ich in Ihrem Sohne Ersatz biete für meine verlorene Studienzeit. Er soll studieren, und ich zahle für ihn. Das ist das Wenigste, was ich thun kann. Und das darf Sie nicht bedrücken, denn nicht Sie werden mir dadurch etwas schuldig, sondern ich tilge eine Schuld, welche mir schwer auf dem Herzen liegt. Es ist meine Überzeugung, daß Sie kein Recht besitzen, mich mit meinem Antrage abzuweisen. Indem Sie Ihren Sohn glücklich machen, leisten Sie mir einen hohen Dienst, den ich Ihnen niemals vergessen werde. Also sagen Sie ja; schlagen Sie ein, und damit mag die Sache beschlossen und genehmigt sein!«
Seit jener Zeit besuchte Richard das Gymnasium und der »Methusalem« wachte über ihn, wie eine Henne über ihr einziges Küchlein wacht. Dieses Küchlein war jetzt siebzehn Jahre alt geworden und gab sich alle Mühe, die Hoffnungen der Mutter und des »Onkel Methusalem« zu erfüllen.
Als der letztere jetzt eintrat mit dem Briefe aus China in der