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ich, dass beide häufig Urlaub im Ausland machen - Frankreich, Türkei, Kroatien, Italien, - und dass die Ältere als Tochter eines Diplomaten einige Zeit in Kanada gelebt hat. Demnächst wird sie ein Jahr in China verbringen. Beide Frauen sind gerade für sechs Monate in Rumänien gewesen, “for a training“. Was das war, verraten sie mir nicht, weichen meiner Frage elegant aus und sagen, sie freuen sich sehr auf ihre Heimat und das Wiedersehen mit ihren Familien in Rabat. Fließend und mit großer Leichtigkeit sprechen sie Englisch, Französisch, Arabisch - wer weiß, was noch? “By the way, we´ve heard about racism in Germany. A friend - she is from Turkey - has left Germany because people treated her badly. It must have been very hard for her. Is it true that many Germans are racists?“ Die meisten Menschen bei uns seien keine Rassisten, sage ich, aber es gebe zu viele.

      Ich erfahre, dass Arabisch von rechts nach links geschrieben und gelesen wird und stelle fest, dass man die arabische bzw. marokkanische Tageszeitung, die mir beim Einsteigen von den Stewards angeboten wurde, nach links aufblättern muss, wenn man nicht mit der letzten Seite anfangen will. Dort sehe ich Fußball, was sonst. Auf der ersten Seite den König von Marokko.

      Im Laufe des Fluges verstärkt sich mein Eindruck, die beiden hübschen Marokkanerinnen neben mir könnten Stewardessen sein, da sie mit den Mitgliedern der Crew anscheinend gut bekannt sind. Meine Fantasie macht sie zu entfernten Verwandten des marokkanischen Königshauses, die inkognito in der Business Class fliegen, um einmal unter normalen Menschen und nicht nur bei ihren adligen Langweilern zu sitzen, mit denen sie verkuppelt werden sollen. Die eingeweihte Crew liest ihnen natürlich jeden Wunsch von den Augen ab. Oder sind sie Agentinnen, die in Rumänien eine gefährliche Mission erfüllt haben und nun erleichtert den Heimflug antreten?

      Vor einiger Zeit habe ich gelesen, dass Frauen mit langer Hose in einigen Gebieten Marokkos eine Beleidigung bedeuten. Touristinnen sollten sich grundsätzlich mit bedeckten Armen und Schultern zeigen und lange Kleider oder Röcke tragen. Das erzähle ich diesen jungen, modern gekleideten Frauen und frage sie nach angemessener Kleidung. Etwas ungläubig schauen sie mich an und lächeln nachsichtig: "You can wear everything you like.“

      Beim Anflug sieht das Land für mich überraschend grün aus. Endlose Flächen in verschiedenen Grün- und Brauntönen, unterschiedlich in Größe und Form: Dreiecke, Rechtecke mit Schrägen, nichts Abgezirkeltes, nichts Gerades. Ein Flickenteppich, Patchwork. Interessant finde ich die andere Sicht auf die Weltkarte am Bordbildschirm: „Unser“ Norden liegt jetzt im Süden bzw. Afrika „oben“ und Europa „unten“ auf der Karte. Jeder Kontinent könnte sich auf diese Weise als Nabel der Welt fühlen.

      CASABLANCA

      Mein erster Eindruck auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel: Slums, dann Wohnhäuser, die von einer Mauer umgeben sind. Manchmal sind davor noch Wälle aus Bäumen oder Sträuchern. Durch Palmenalleen fahren wir, dann vorbei an verfallenden Häusern und Hochhäusern sowie riesigen Neubauten, die sehr dicht neben einander stehen. Quirlige Großstadt, die „weiße Stadt“, und wir sind mitten drin in diesem zehnstöckigen Hotel.

      Um 20 Uhr speisen wir an einem festlich gedeckten Tisch des großen Speisesaals. Die jungen Kellner sind nicht nur höflich. Sie lächeln, auch mit den Augen, was ihre Gesichter noch hübscher macht. Sogar die schweren Stühle ziehen sie für uns zurück, wenn wir zum Buffet gehen. Dort warten viele bunte Salate, die zu essen ich mich aber nicht traue, weil ich gelesen habe, dass man nur Gekochtes oder Geschältes essen soll. Es gibt zwei Suppen, Hühnchen in einer köstlich gewürzten Soße, verschiedene Sorten warmes Gemüse und sehr bunt verzierten Nachtisch: Kuchen in winzigen Rechtecken und Pudding.

      Über dem Hühnchen sage ich zu meiner Nachbarin: „Ist das lecker! Und alles so schön dekoriert! Ich würde gern wissen, was das alles ist, wie es heißt, was drin ist ...“

      „Dann sollten Sie mal nachfragen.“

      „Ich kann kaum drei Sätze auf Französisch. Doch unseren Reiseleiter werde ich später fragen.“

      „Ja, tun Sie das. Mir kommt er sehr reserviert vor. Sind Sie schon mal mit diesem Reiseveranstalter, gereist?“

      „Ja, das ist schon einige Jahre her. Und Sie?“

      „Schon häufig. Wir waren vor einem Jahr in Indien. Das war die schönste Reise, die wir bisher erlebt haben. Spitzenmäßig organisiert, wunderbare Begegnungen. Und der Reiseleiter! So ein netter Mensch, herzlich und so fürsorglich! Also, wenn Sie mal ...“

      „Ich weiß nicht ... Vor vielen Jahren war ich mal dort und habe mich gar nicht wohl gefühlt.“ „Ja, die extreme Armut, damit muss man zurecht kommen. Wenn einem das gelingt, dann ist Indien ein ganz besonderes Land mit ganz besonderen Menschen und außerordentlichen Schönheiten. Sehr empfehlenswerte Reise!“

      Indien, noch immer mein Trauma - Land. Aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt bin ich in Marokko.

      21.00 Uhr: Draußen höre ich pausenloses Hupen in verschiedenen Tonlagen. Konzert würde ich das trotzdem nicht nennen. Man merkt nicht, dass die Fenster geschlossen sind, so nah und laut sind die Straßengeräusche. Schwül ist es hier wie zuhause im Hochsommer. Mein Kopf brummt, das Leben draußen auch. Samstagabend. Ob solch eine Stadt überhaupt zur Ruhe kommt?

      Unser Reiseleiter hat uns davon abgeraten, in die Altstadt von Casablanca zu gehen. Auch wenn wir in die Neustadt gehen, sollten wir keine Wertsachen mitnehmen. Ich habe ohnehin nichts dergleichen dabei. Dem Polyglott-Reiseführer entnehme ich, dass Casablanca das Wirtschaftszentrum Marokkos mit über drei Millionen Einwohnern und Traumstadt westlich orientierter Marokkaner ist. Die Reichen des Landes leben in Villen und besitzen Strandhäuser, während die Landflüchtlinge am Stadtrand in „Kanisterstädten“ leben. Diese bevölkerungsreichste Region des Landes ist auch die mit dem größten sozialen Konfliktpotential. Unter Jugendlichen ist die Arbeitslosigkeit hoch, was wachsende Kriminalität und Hinwendung zu fundamentalistischen Gruppierungen zur Folge hat.

      Zweiter Tag: Casablanca - Rabat - Meknès

      Zum Frühstück habe ich eine marokkanische, lecker gewürzte Gemüsesuppe mit etwas Reis darin probiert, dazu süßen Thé à la menthe - zuhause soll mir mal einer mit Pfefferminztee kommen, brrr - und ein leicht zimtiges braunes Brötchen. Völlig ungewohnt und überraschend gut.

      In unserem Reisebus sitze ich hinter der mittleren Tür rechts. Kann es sein, dass die vordersten Plätze erkämpft wurden? Beim Einsteigen habe ich gefragt, ob wir zum Fotografieren aus dem Bus irgendwann die Plätze tauschen könnten. Oh, das geht aber gar nicht! Denn: „Wir legen doch unsere Sachen an diesem Platz ab, da müssten wir ja ständig umräumen.“ Und: „Da müsse Se sisch bei de nekste Reise frühe anstelle.“

      Die Sonne hält sich zur Zeit bedeckt. Dichte graue Wolken begleiten uns. Auf der Fahrt von Casablanca zur etwa hundert Kilometer entfernten Hauptstadt Rabat fahren wir an Feldern und Wiesen vorbei. Das muss die Gegend sein, die ich aus dem Flugzeug gesehen habe: Patchwork. „Hier gibt es viel Landwirtschaft, ja?“, erklärt Mohamed, unser marokkanischer Reiseleiter in perfektem Deutsch, wobei er das „ja?“ ganz kurz ausspricht und die Stimme fragend anhebt. „Getreide, Gemüse, Zitrusfrüchte, Wein. Der Norden ist sehr fruchtbar.“ In geringer Entfernung zur Straße liegen viele ärmliche Behausungen im Regennebel.

      Unser Busfahrer heißt - „Raten Sie mal.“ - auch Mohamed, wie die meisten Männer und Jungen im Land, und wird uns vom Reiseleiter als langjährig erfahren vorgestellt. Er lebt mit seiner Familie in Taroudant. Der dunkelhäutige Begleiter, zuständig für die Sauberkeit im Bus, heißt Mose und kommt ebenfalls aus dem Süden Marokkos. Er wird immer nachzählen, ob wir alle da sind, bevor er das Zeichen zur Weiterfahrt gibt. Wir erfahren, dass seine Vorfahren schwarzafrikanische Sklaven waren. Dann stellt sich unser Reiseleiter vor. „Also, ich bin Mohamed und komme aus Agadir, ja? Dort lebe ich mit meiner Frau und zwei kleinen Töchtern, zwei und vier Jahre alt ...“

      „Eine Frau oder mehrere?“, ruft jemand aus der Gruppe.

      „Eine. Ein Unheil reicht. Sagt man so bei Ihnen?“

      „Häm,

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