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Meteorsteine, die jetzt in immer unheimlicherer Häufigkeit an meinem Ballon vorüberschossen.

      18. April. Heute fand ich den Umfang des Mondes um vieles vergrößert, und meine Fallgeschwindigkeit, die unbedingt gestiegen war, erfüllte mich mit Besorgnis. Man wird sich erinnern, daß ich bei meinen ersten Berechnungen über die Möglichkeit einer Reise zum Mond das Vorhandensein einer in ihrer Dichtigkeit dem Volumen des Himmelskörpers entsprechenden Atmosphäre angenommen hatte, dies sogar trotz vieler gegenteiliger Theorien und, wie man hinzufügen kann, trotz der allgemeinen Annahme, daß es überhaupt keine Mondatmosphäre gäbe. Aber außer dem, was ich bereits über den Enckeschen Kometen und das Zodiakallicht mitgeteilt habe, war ich in meiner Auffassung noch durch gewisse Beobachtungen des Herrn Schroeter aus Lilienthal bestärkt worden. Er beobachtete den zunehmenden Mond an seinem dritten Erscheinungstage abends bald nach Sonnenuntergang, ehe die dunkle Partie sichtbar war, und setzte seine Beobachtungen fort, bis auch dieser Teil sichtbar wurde. Die beiden Hörner schienen in eine sehr spitze feine Verlängerung auszulaufen, deren jede am äußersten Ende von den Sonnenstrahlen schwach beleuchtet war, ehe noch irgendein Teil der dunklen Halbkugel bestrahlt wurde, deren Fläche ein wenig später aufleuchtete. Ich sagte mir, daß diese Verlängerung der Hörner über den Halbkreis hinaus nur von einer Brechung der Sonnenstrahlen durch die Mondatmosphäre herrühren könne (welche Brechung Licht genug auf die dunkle Hemisphäre werfen mußte, um ein helleres Zwielicht hervorzurufen als das Licht, das die Erde zurückstrahlt, wenn der Mond etwa 32° über Neumond ist), und berechnete die Höhe der Mondatmosphäre auf 1356 Pariser Fuß. Demgemäß nahm ich als größte Höhe, die Sonnenstrahlen zu brechen vermochten, 5376 Fuß an. Meine Ideen wurden mir bestätigt durch eine Stelle im zweiundachtzigsten Band der »Philosophischen Abhandlungen«, wo festgestellt wird, daß bei einer Verfinsterung der Trabanten des Jupiter der dritte von ihnen verschwand, nachdem er eine oder zwei Sekunden undeutlich sichtbar gewesen war, und der vierte nahe am Rand sich nicht mehr erkennen ließ.[6]

      Selbstredend hing die Möglichkeit meiner gefahrlosen Landung auf dem Mond ganz von dem Widerstand oder besser von der Tragfähigkeit und genügenden Dichtigkeit der vorhandenen Atmosphäre ab. Sollte sich mein Vertrauen hierauf nun aber als ein Irrtum erweisen, so blieb mir als das Ende meines Abenteuers nichts Besseres zu erwarten, als an der zerklüfteten Oberfläche des Trabanten in Atome zerschmettert zu werden. Und tatsächlich hatte ich jetzt allen Grund, entsetzt zu sein. Meine Entfernung vom Mond war jetzt verhältnismäßig nur noch gering, während die am Kondensator erforderliche Arbeit unvermindert blieb und ich keinerlei Anzeichen einer vermehrten Dichtigkeit der Luft wahrnehmen konnte.

      19. April. Heute morgen gegen neun Uhr, als die Mondoberfläche schon erschreckend nahe und meine Befürchtungen aufs äußerste gestiegen waren, gab die Pumpe des Kondensators zu meiner großen Freude endlich deutliche Anzeichen einer veränderten Atmosphäre. Um zehn Uhr hatte ich Ursache, anzunehmen, daß ihre Dichtigkeit beträchtlich zugenommen habe. Um elf war nur noch wenig Arbeit am Apparat nötig, und um zwölf wagte ich es zögernd, die Schraube, die meine Kautschukkammer zusammenhielt, aufzudrehen, und als das keine störenden Folgen hatte, machte ich die ganze Schutzhülle von der Gondel los. Wie ich hätte voraussehen müssen, hatte ein so voreiliges und gefahrvolles Experiment Kopfweh und Schwindelanfälle im Gefolge. Da sie aber ebenso wie die Atembeschwerden nicht lebensgefährlich schienen, so beschloß ich, sie, so gut es ging, zu ertragen, in der Erwartung, sie bei weiterer Annäherung an die wirklich dichte Luftschicht des Mondes hinter mir zu lassen. Diese Annäherung vollzog sich noch immer in unerhörter Geschwindigkeit und es wurde mir bald zur quälenden Gewißheit, daß ich zwar in der Annahme einer dem Umfang des Trabanten entsprechenden Atmosphärendichtigkeit nicht fehlgegangen war, diese Dichtigkeit jedoch überschätzt hatte, wenn ich glaubte, sie könne das große Gewicht meiner Gondel samt Inhalt tragen. Dennoch hätte das der Fall sein müssen, und zwar in ähnlichem Maße wie auf der Erde, vorausgesetzt, daß das spezifische Gewicht der Körper beider Planeten im Verhältnis zur Dichtigkeit der Atmosphäre stand. Daß es aber nicht der Fall war, bewies mein immer beschleunigteres Fallen; warum es nicht so war, das läßt sich wohl nur durch die Annahme geologischer Störungen erklären, auf die ich oben hingewiesen habe.

      Jedenfalls befand ich mich jetzt dicht über dem Mondkörper und fiel mit unerhörter Gewalt auf ihn hinab. Dementsprechend verlor ich keine Minute, sondern warf sofort meinen Ballast über Bord, dann meine Wasserfäßchen, dann meinen Kondensator und die Kautschukhülle und schließlich sämtliche Gegenstände in der Gondel. Es war aber alles zwecklos. Ich fiel noch immer mit fürchterlicher Geschwindigkeit und befand mich jetzt kaum eine halbe Meile über dem Boden. Im letzten Rettungsversuch warf ich nun Rock, Hut und Stiefel fort, trennte sogar die Gondel, deren Gewicht nicht unbeträchtlich war, vom Ballon los – und so, mich mit beiden Händen am Netzwerk festhaltend, hatte ich kaum Zeit, wahrzunehmen, daß das ganze Land, soweit das Auge reichte, dicht mit winzigen Behausungen besät lag – als ich auch schon kopfüber mitten in eine phantastische Stadt und mitten in einen riesigen Haufen häßlicher kleiner Leute hinabstürzte, von denen keiner eine Silbe äußerte oder sich im geringsten um mich bemühte; wie ein Pack Idioten standen sie grinsend um mich herum und blickten mit eingestemmten Armen gleichgültig auf mich und den Ballon. Verächtlich wandte ich mich von ihnen ab, und als ich zu der unlängst und vielleicht für immer verlassenen Erde aufblickte, sah ich sie wie einen riesigen, matten kupfernen Schild von etwa zwei Grad Durchmesser unbeweglich oben im Himmel stehen und an einer Seite von einem mondsichelförmigen, strahlend goldnen Rande eingefaßt. Von Wasser oder Land war keine Spur zu sehen, und das Ganze war von veränderlichen Flecken bewölkt und mit tropischen und äquatorialen Zonen umgürtet.

      So hatte ich denn, mit Eurer Exzellenzen Verlaub, nach einer Reihe schwerer Befürchtungen, unerhörter Gefahren und nach einzig dastehender Rettung aus allen Fährnissen endlich am neunzehnten Tage nach meiner Abreise von Rotterdam das Ziel meiner Fahrt erreicht – einer Fahrt, der an Ungewöhnlichst und Bedeutung keine andre je gleichkam und wie sie kein Erdenbürger je vorher ersonnen hat. Es bleiben aber noch meine Abenteuer zu erzählen. Und wahrhaftig, Eure Exzellenzen können sich wohl denken, daß ich nach einem fünfjährigen Aufenthalt auf einem Weltkörper, der nicht nur durch seinen eigenartigen Charakter, sondern auch infolge seiner als Trabant ungewöhnlich nahen Beziehung zur Menschenwelt von höchstem Interesse ist, der staatlichen Hochschule der Astronomie Mitteilungen zu machen habe, die von viel größerer Bedeutung sind als die Einzelheiten der Reise selbst, so wundersam diese Reise auch war und so glücklich sie auch bestanden wurde. So ist es in der Tat. Ich weiß viel, sehr viel, was ich mit größtem Vergnügen berichten würde. Ich habe viel über das Klima des Planeten zu sagen, über seinen wunderbaren Wechsel von Hitze und Kälte, von ununterbrochenem glühenden Sonnenschein für vierzehn Tage und mehr als Polarfrost für die nächsten vierzehn Tage, von einer beständigen Feuchtigkeitsübertragung durch Destillation gleich der » in vacuo«, von dem Punkt unter der Sonne bis zu dem hiervon entferntesten Punkt, von einer wechselnden Zone mit laufenden Wassern, von der Bevölkerung selbst, ihren Sitten, Gewohnheiten und politischen Einrichtungen, von ihrem eigenartigen Körperbau, ihrer Häßlichkeit, von ihrem Mangel an Ohren – die in einer so eigenartig zusammengesetzten Atmosphäre ganz überflüssige Anhängsel wären –, infolgedessen auch von ihrer Unkenntnis der Sprache, von ihrem Ersatz einer Sprache durch eine eigenartige Methode gegenseitiger Verständigung, von der unbegreiflichen Beziehung, die zwischen jedem Mondbewohner und irgendeinem Individuum auf Erden besteht, einer Beziehung, wie zwischen den Bahnen von Planet und Trabant, die Leben und Schicksale der Bevölkerung des einen mit Leben und Schicksal der Bevölkerung des andern Himmelskörpers eng verwoben hat, und vor allem – mit Verlaub Eurer Exzellenzen – vor allem von jenen finsteren und grauenvollen Geheimnissen, die in den äußeren Mondregionen verborgen ruhen – in Regionen, die wegen der wundersamen Übereinstimmung der Rotation des Trabanten um seine eigene Achse mit seiner Sideraldrehung um die Erde bis jetzt noch niemals dem forschenden Teleskop des Menschen zugewandt waren – und es durch Gottes Gnade hoffentlich niemals werden.

      All dies und mehr – viel mehr – würde ich höchst bereitwillig auseinandersetzen. Aber, um es kurz zu sagen, ich muß meinen Lohn haben. Ich lechze nach der Rückkehr zu meiner Familie und meiner Heimat, und als Preis für weitere Mitteilungen meinerseits muß ich – in Anbetracht dessen, daß ich die Macht besitze, auf viele bedeutende Zweige der physikalischen und metaphysischen

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