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gematschte Käse-Weizen-Buns und ihre Madonna-Zahnlücke zum Vorschein kamen. „... jedoch glaube ich nicht, dass du’s bös gemeint hast. Du hattest schon immer viel mit dir selbst zu tun.“
Als ich meiner Therapeutin davon erzählte, schien diese nicht gerade überrascht zu sein.
„Sie haben ein Nähe-Distanz-Problem, Frau Rickert“, sagte sie spröde – ohne die Miene zu verziehen. „Sie sehnen sich nach Nähe, die Ihnen zugleich Angst bereitet, weil sie Einlassen und somit das Risiko des Verlustes birgt. Um diese Nähe zu erlangen, sind Sie bereit, alles zu geben und in Kauf zu nehmen. Während Sie idealisieren und unkritisch sind, vergessen Sie aber, für sich selbst da zu sein. Bis Sie das für sich erkennen, haben Sie Ihr Selbst bereits voll und ganz vernachlässigt. Von da an kämpfen Sie also mühevoll darum, sich wieder aus den Fängen zu befreien, was wiederum Ihr Gegenüber sehr schwer verstehen kann. Sie sollten in Zukunft genauer hinsehen,
wen Sie sich aussuchen, beziehungsweise
von wem Sie ausgesucht werden. Weder das klammernde noch das unerreichbare Extrem tut Ihnen gut. Finden Sie ein
Mittelmaß – in all Ihren Lebensbereichen.“
Ich habe mit Rawinas Betreuerin geredet und ihr vorgeschlagen, sie einzuweihen, wenn ich meine, etwas für sie Neues und eventuell Hilfreiches über Rawina herauszufinden.
Denn ich denke, dass ich als „Frischling“ einen anderen Blick auf unsere gemeinsame Klientin entwickeln könnte, da ich Neugier und Offenheit mitbringe, während meine Kolleginnen, die ihre Geschichten bereits seit Jahren kennen und nicht mehr hören können, vielleicht etwas eingefahren sind in ihrer Haltung.
Trotz dessen musste ich feststellen, dass man mich häufig aus Situationen rausholte, in denen sich Rawina mir gegenüber öffnete. Das fand ich arg schade, weil ich gerne weiter an sie herankommen würde. Inzwischen scheint eine meiner Kolleginnen so weit gegangen zu sein, Rawina aufzufordern, sich bei Gesprächsbedarf
ausschließlich an ihre zuständige Sozialarbeiterin zu wenden.
Seither bedauert sie, sobald sie sich bei ihrer Erzählung selbst ertappt, bei allen anderen Kolleginnen, auch bei mir: „Ach,
dir darf ich mich ja nicht anvertrauen!“
Obwohl ich mich erst mal noch diskret und nur kurz angebunden verhielt, weil ich das Team nicht verärgern oder gar einen zu forschen Eindruck hinterlassen wollte, bin ich jetzt umso mehr entschlossen, mich über die Meinung der anderen hinwegzusetzen. Ganz gleich, ob zum Beispiel meine Anleiterin glaubt, Rawina plaudere
jeden an, der ihr zuhöre – ich kann mir nicht vorstellen, dass es Rawina egal ist, vor wem sie sitzt. Sie spürt mein ernsthafteres Interesse. Und dieses Interesse bringt sie auch mir entgegen.
Es gab wieder einen Fall im Team zu besprechen – einen äußerst perfiden von einer Mutter, die schon seit Jahren in die Einrichtung kommt, und deren Tochter, die meine Kolleginnen haben aufwachsen sehen. Ursprünglich war sie auf’m guten Weg – Schulabschluss, Beginn einer Lehre ... Bis ihre Erzeugerin alt, krank, verbraucht und fett wurde, sodass sie nicht mehr anschaffen gehen konnte. Weil natürlich irgendjemand das Geld nach Hause bringen musste, schickte sie ihre endlich achtzehnjährige Tochter auf den Strich (Lehre abgebrochen). Damit nicht genug – sie verleitete sie zum Heroinkonsum und steckte ihr eigen Fleisch und Blut mit Hepatitis C an.
Meine Kolleginnen stehen nun im Konflikt, ein Hausverbot zu erteilen, da sie es nicht länger ertragen, Mutter und Tochter im Konsumraum „auf einen gelingenden Schuss“ anstoßen zu sehen, oder das Vertrauen der beiden zurückzugewinnen, indem sie dieses bizarre Abhängigkeitsverhältnis akzeptieren, um so mit der Jeweiligen einzeln ’ne vorwurfsfreie Aussprache führen zu können. Puh, war das krass. Ich finde diese Situation äußerst heikel. Am liebsten möchte man die Polizei oder das Jugendamt einschalten ... Doch das würde die Anonymitätswahrung aufheben, und wo die Tochter nun erwachsen und für sich selbst verantwortlich ist, kann keiner was tun. Zumal ihre Mutter sie stets vor Bezichtigungen in Schutz nimmt und jedes Einmischen in die Beziehung abwehrt. Moralisch verstößt sie gegen
alle Werte und Normen, die man im Rahmen einer
guten Erziehung eigentlich erwartet. Aber steht es einem deshalb zu, das Band, das die beiden offenbar
trotzdem miteinander verbindet, zu zerschneiden?
Ende Mai fand die Jahresfeier der Drogensuchtberatungsstelle statt, für die ich Einladungen gestaltete und ein Kunstprojekt mit den Besucherinnen startete. Auf Leinwand hatte ich die Frage
Was bedeutet dir die Einrichtung? geschrieben.
Die Antworten fielen sehr bewegend aus:
Zuhause,
Familie,
Ankommen,
ein Ort, an dem ich immer willkommen bin. ... Es wurden Herzen, Smileys und Blumen gemalt und zahlreiche Dankesgrüße formuliert. Auf der Party, die ich fotografierte, sind einige unserer Klientinnen trotz ihrer Überwindungshürde und Scham erschienen – das ging mir sehr zu Herzen. Rawina war auch dabei und stellte ihre liebevolle Mama und ihre Freundin Murmeline vor, die uns ein kleines Liedchen sang und dazu Gitarre spielte.
7. JuliEs ist tatsächlich aus.
Unseren Zweijährigen letzte Woche hab ich mir etwas romantischer vorgestellt, wo ich Pascal teuerste Pralinen gekauft und so viel Mühe in das Verfassen einiger hübscher Zeilen investiert hatte. Ich saß noch mit Susi im Auto, als ich Paschi per WhatsApp fragte, ob er auf dem Weg zu mir Kaffeepads aus dem Supermarkt mitbringen könne.
„Und, bringt er die Pads mit, oder sollen wir noch mal einkaufen fahren?“, wollte sie wissen.
„Nee, er hat kein Geld“, grummelte ich.
„Wie, er hat
kein Geld?! Ein gestandener Mann von sechsunddreißig hat am Monatsende keinen Cent mehr in der Tasche? Das glaub ich jetzt nicht, Vici!“
„Tja, er hat wohl wie immer zu früh mit seinem Gehalt gerechnet.“
„Das kann doch nicht wahr sein!“ Aufgebracht haute Muddi aufs Lenkrad. „Dann leiht man sich was – das ist das
Mindeste, um seiner Frau einen Gefallen zu tun. Wir reden hier über
zwei Euro!!“
„Ja, ich find’s auch beschissen, Mom. Wahrscheinlich krieg ich nich’ ma’ was zum Jahrestag ... Die letzten Male hab auch immer nur
ich ihm was geschenkt ...“
In der Küche wartete ich mit der Übergabe meines Präsents, bis er mir das seine übergab.
Was soll ich sagen ... Alles, was er sich für mich hatte einfallen lassen, war eine kleine, billige Plüschmaus, über die sich allenfalls eine Zehnjährige gefreut hätte. Ich war zutiefst enttäuscht und
wütend.
„Schade, dass ich dir gerade mal
einen Groschen wert bin“, fing ich ruhig an. „Um ehrlich zu sein, finde ich dich ganz schön einfallslos. Auf diesen Tag, der eigentlich ein besonderer ist, hätt’ ich gern mit dir angestoßen. Das Datum weißt du schließlich nicht erst seit heute ...“
Paschis Stimme erklang schrill und aggressiv: „Geld, Geld, Geld ... Ein richtiger Kerl muss Asche haben, was?“
„Verwechsle mich nicht mit deiner kohlegeilen Exfrau, Pascal. Das ist nicht mein Niveau“, bellte ich zurück. „
Du bist derjenige, der von nichts anderem spricht. Mir geht’s nicht um dein fehlendes Scheißgeld oder um Vermögen; ich erwarte nicht mal, dass du mich einlädst. Wir hätten genauso gut ein Picknick bei Sonnenuntergang machen können. Eine Karte schreiben oder ’n Blümchen pflücken kostet im Übrigen
nada. Wir sprechen über
zwei läppische Euro, die du von mir wiederbekommen hättest. Aber du verlässt dich nur auf andere – darauf, dass dein Lohn rechtzeitig da ist oder Steffen dich bezahlt ... Meiner
Ma ist ja schon peinlich, dass ihre Tochter von ihrem Freund nicht verwöhnt wird.“
„Ach, deiner Mutter erzählst du
alles, was?! Wie steh ich denn da? So kann ich mich doch nicht auf ihrem Geburtstag blicken lassen!“, schrie er fast.
„Du bist ohnehin nicht erwünscht, seit du ihre Wohnung auf unsere Bitte hin nicht gestrichen hast. Das hättest du wenigstens für
mich tun können, wo sie dir gegenüber immer so großzügig war, was man von
deiner Mutter
nicht behaupten kann!“
Während Pascal beinahe den Stuhl umwarf, brüllte er: „Weißt du was? Susi kann mich mal am Arsch lecken! Tschau!“, brauste davon und stieß mit einem so lauten Rumms die Tür hinter sich zu, dass der Boden wackelte.
Ich blieb entsetzt sitzen und zündete mir eine Zigarette an. Die Pralinen aß ich noch am selben Abend auf, die Postkarte zerriss ich.
Drei Tage später, nachdem wir uns einigermaßen wieder vertragen hatten, berichtete er begeistert, er habe sich einen Gebrauchtwagen gekauft. Ich fühlte mich dermaßen verarscht – das ist gar nicht in Worte zu fassen. Obendrein fragte er, wie ich es finden würde, wenn er durch die Vermittlung eines Kumpels Industriemechaniker werde und 3.000 netto verdiene. Dafür müsse er allerdings viel reisen und sei dann lediglich eine Woche im Monat zu Hause. Abgesehen davon, dass ich mir virtuell wieder an den Kopp fasste, weil ich nicht glauben konnte, wie jemand wirklich
so närrisch sein kann, davon auszugehen, ohne jäh eine solche Ausbildung gemacht zu haben,
reich zu werden, hing er mir im wahrsten Sinne zum Halse raus. Ich übergab mich auf ihn und beendete das Elend.
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