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von der Familie, welche auch noch Beziehungen knüpfen kann zu den Menschen hier. Der Profit würde steigen. Es gibt gute, billige Arbeitskräfte hier in Afrika. Der Bauer beginnt zu überlegen.

      „Bis in ein paar Jahren könnten wir anfangen. Annisa könnte junge Arbeiter von diesem Kontinent ausbilden und betreuen. Sie ist noch sehr jung. Aber hier werden die Menschen eh nicht alt. Junge, dumme Arbeitskräfte. Keine Gewerkschaft. Die Behörden hier verstehen meine Art zu arbeiten. Hier werden Geschäfte noch mit Geld und einer kleinen Provision geregelt. So gefällt es mir“, sagt der Bauer zu den anderen. Die Männer stossen auf ihr Vorhaben an. Die Frauen hören nicht zu. Sie wollen nicht hören, was die Männer von sich geben. Es dreht sich immer nur um das Geschäft und das Geld. Sie kennen ihre Männer nur zu gut. Sie lieben sie auf ihre Art. Diese Männer ermöglichte es ihnen, ihr Leben so zu leben, wie sie es wollen. Und da ist das Geld ein wichtiger Faktor. Sie sind alle starke Frauen. Neben einem dominanten Mann lässt sich gut leben, wenn man weiss, wie man ihn nehmen muss. Das ist die Stärke dieser Frauen und so fühlen sie sich insgeheim überlegen. Die Männer sind zufrieden. Sie unterhalten sich noch lange über die Mädchen. Über das Kinder haben. Darüber, eine >Familie< zu sein. Alle Anwesenden, ausser dem Bauern und seiner Frau, haben Familie. Es ist wichtig für die Frauen, ihre Erfahrung mit Monika zu teilen. Wenn es nicht klappt mit eigenen Kindern, warum nicht? Die Kinder hier sind ohne Zukunft. Die Zukunft für den Bauern und seiner Frau könnte, mit den Kindern von hier, eine gute werden. Monika fühlt sich wohl. Heute bekommt sie die Bestätigung, die ihr Martin nicht geben will. Der Bauer hatte kein Gespür für so etwas. Sie fühlt, dass ihr die Zeit davonläuft. Jetzt will sie sich für die Familie entscheiden, die sie hier zufällig gefunden hat. Was wohl auf sie zukommen würde, ist Monika nicht bewusst. Mehr noch. Sie will nicht in der Dunstwolke der Angst davon laufen. Es ist ihre Zeit. Dieses Afrika ist ihr Leben. Hier, wo das Leben entstanden ist, hier soll der Anfang für sie und ihre kleine Familie sein. Die Frau des Bauern will die Mädchen zu ihrer Familie machen. Der Bauer ist davon überzeugt, dass Annisa eine gute Investition für seine Geschäfte in Afrika werden konnte. In einigen Jahren wird sie gross genug sein, um wichtige Aufgaben für seine Firma zu übernehmen. Sie wird Teil der Familie werden. Und loyal ihm gegenüber. Sie kann die Afrikaner von der Arbeit in seiner Firma überzeugen. Ihm zu noch grösserem Reichtum verhelfen. Ein gutes Alter, um das Mädchen so zu beeinflussen, wie er sie brauchen könnte in ein paar Jahren. Martin lacht. Stösst mit den Männern an und trinkt sein Bier. Er freut sich über diese Entscheidung. Jetzt hat er keinen Grund mehr, dagegen zu sein. Es macht alles Sinn für ihn. So ist auch die Monika glücklich.

      „Annisa kann mit. Das mit den anderen zwei Mädchen werde ich noch auf dem Heimweg regeln.“ prostet er den Männern zu.

      Es wird Abend und die frühe Dämmerung Afrikas setzt ein. Als sie durch die Pappstadt fahren, brennen unzählige Öltonnen. Er findet nur einige Worte, kurz und bündig, bis er zum Punkt kommt.

      „Annisa kann bleiben. Mehr geht nicht.“ Die Kleinen spielen hinten auf dem Rücksitz. Sie bekommen nicht mit, um welch wichtigen, zukunftsweisenden, Schritt der Bauer mit seiner Frau spricht. Monika bleibt ruhig. Sie dreht ihren Blick in Richtung der Papphäuser ab.

      „Wir haben genug Geld. Wir können sie alle drei mitnehmen. Es wird uns an nichts fehlen.“ Der Bauer bleibt in seinen Worten kurz und direkt.

      „Fangen wir mit Annisa an. Wenn das gut geht können wir in ein zwei Jahren immer noch weiter überlegen.“ >Morgen soll sie die anderen zwei Mädchen los werden. In das Waisenhaus geben. Er würde dem Haus auch eine kleine, bescheidenen Spende machen. Nicht zu viel. Eine dezente Zuweisung<, denkt er, als er Monika seufzen hört.

      „Ich kann die Kinder auch gleich hier rauswerfen, wenn du jetzt mit der Weinerei nicht gleich aufhörst. Ich bin ja kein Unmensch, aber irgendwann reicht es.“ Er bleibt mitten auf der Strasse stehen. Er will ihr in die Augen schauen, aber Monika dreht ihren Blick immer noch in Richtung Papphäuser. Es ist klar, dass er seine Entscheidung den Kindern gegenüber getroffen hat.

      „Es ist nicht klug hier stehen zu bleiben.“ Martin ist es in dieser Situation egal. Er würde es mit jedem aufnehmen können. Der Stärkste in seinem Dorf. Der Größte in seine Gegend. Hier in der stinkigen Ummantelung der Armen gibt es für den Bauern keine Furcht. Minuten herrscht Ruhe in dem Auto des Bauern. Die Kinder hören auf zu spielen. Sie erkennen Subba-Da-bebe. Ihre verhasste alte Heimat. Der Gestank der Mülltonnen, die am Abend in Brand gesetzt werden. Die Zeichen für die Stunden der Gewalt. Wenn die Tonnen brennen, gibt es andere Gesetze in der Pappstadt. Hier auf der grossen Strasse zu stehen, ist für die Kinder keine gute Sache. Zu oft musste sie die Gewalt miterleben, welche auf dieser Straße herrscht.

      „Fahr. Fahr. Fahr!“ schreit Annisa den Bauern an. Der Bauer sieht immer noch die Frau an.

      >Vielleicht doch keine gute Idee, überhaupt eines von den Kindern mitzunehmen“< denkt er sich in dem Moment.

      „Sie hat recht.“ sagt Monika zum Bauern.

      „Fahr. Hier bleibt keiner lange stehen.“

      „Entscheide dich jetzt. Ein Kind oder keines.“ Sie soll jetzt entscheiden, die Frau vom Bauern. Er drängt sie. Monika versucht Annisa zu beruhigen, die immer noch schreit. Die hintere Türe des Jeeps wird aufgerissen. Kaum eine Sekunde dauert es, bis zwei Männer die drei Kinder aus dem Auto zerren. Der Bauer öffnet die Fahrertüre. Er schlägt auf einen der Männer ein. Es sind viele. Der Erste geht zu Boden. Der Bauer ist stark. Er zieht Annisa an sich, während er einem weiteren Mann mit seiner Faust direkt in das Gesicht schmettert. Auch dieser geht zu Boden und bewegt sich nicht mehr. Monika schreit panisch. Der Bauer wirft Annisa von der Fahrerseite zu seiner Frau. Er rennt um das Auto, um die anderen Mädchen zu befreien, aber es sind zu viele. Sie sind überall. Der Bauer muss zurück in das Auto. Noch einmal schlägt er mit der offenen Hand einen der Angreifer nieder, bevor er einsteigen kann. Dann fährt er los. Einige Leute auf der Strasse werden von seinem Auto niedergestossen und überrollt, bis sie die Ansammlung hinter sich lassen können. Der Bauer sieht seine Frau an.

      „Schicksal. Was sollte ich noch machen? Es waren zu viele!“

      „Annisa, morgen kommen wir wieder.“ Er will morgen nicht wieder kommen. Es ist so. Und das Überleben in der kurzen Situation hat es für ihn bestätig. Handeln, bevor die anderen eine Chance dazu bekommen. Zuschlagen, bevor man selbst geschlagen wird. Der Tag schliesst die Türen. Weitere Gespräche gibt es heute nicht mehr. Der Bauer kann das Weinen seiner Frau nicht mehr ertragen. Er ignoriert sie. Im Haus angekommen, trinkt er noch eine Flasche Jameson Whiskey, bevor er auf der Veranda glücklich einschläft.

      In einer anderen Welt

      Annisa sieht in den kleinen Spiegel über dem Nachtkästchen, neben ihrem Bett. Sie betrachtet sich, dennoch versteht sie nicht, was sie sieht. Es ist ein Mensch mit strahlend braunen Augen, unterwegs auf einem einsamen Weg. In Gedanken sieht sie ihrem Vater, der Mutter und Elli, ihrem Bruder in die Augen. Sie sucht eine Antwort. Einen Grund, welcher sie aus ihrem Dorf, aus der Pappstadt, aus Afrika heraus getragen hatte. Sie musste nochmals von vorne anfangen. In diesem neuen Dorf im Schwarzwald verkauft niemand seine Tiere, um die Büchsen zu erhalten. Hier gibt es alles, was sie sich nur vorstellen kann. Es gibt grüne Wiesen. Die Kühe sind so gross wie sie noch nie eine gesehen hatte. Hunde und Katzen dick, so wie die meisten Menschen, die hier leben. Kaum eine Frau oder ein Mann ist annähernd so dünn wie ihr Vater es war. Das Wasser vom Berg ist trinkbar. Es gibt keine giftigen Schlangen. Ein leichter Luftzug holt Annisa aus ihrem Halbtraum. Es ist Zeit für ihre Rede. Schulabschluss. Nach zehn Jahren hat sie es geschafft in dieser neuen Heimat.

      „Wir müssen gehen, los!“ ruft Monika Boeremann in den oberen Stock.

      „Komme gleich! Ich geh nur nochmals kurz zu Grossmutter“, ruft Annisa Monika nach. Sie packt ihren kleinen Jutebeutel, welchen sie seit ihrer Kindheit in Afrika mit sich trägt. Ausser einem kleinen Schminketui enthält er einen alten Filofax sowie einen fein säuberlich gefalteten Ausdruck ihrer Abschlussrede zur Abiturverleihung. Sie nimmt sich die Zeit, um sich noch von der Grossmutter zu verabschieden.

      Mit der Faust klopft sie an die Türe der Grossmutter.

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