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noch, wie unser Segelschiff im fahlblauen Licht eines zuckenden Blitzes auf der Spitze einer monströsen Welle taumelte, bevor es in der Dunkelheit verschwand.

      Ich wurde von einer Welle nach oben getragen, etwas stieß gegen meinen Kopf, Wasser peitschte mir ins Gesicht, ich spuckte und hustete, schnappte nach Luft, ging unter, griff nach dem, was mich getroffen hatte, und bekam eine Leine zu fassen.

      An dieser Leine, und das war meine Rettung, an die ich in diesem Augenblick der Verzweiflung und Todesangst, mit Tausenden Ellen Wasser unter meinen strampelnden Beinen kaum noch geglaubt hatte, hingen zwei Holzfässer, die gut kalfatert dem Untergang in die tiefe See trotzten.

      Ich klammerte mich an das Seil, wickelte es mir um mein Handgelenk und rief um Hilfe, schrie, bekam Wasser in den Hals, musste husten und erkannte Angesichts des tobenden Sturms die Sinnlosigkeit dieses Vorhabens.

      Niemand würde mir helfen, außer mir selbst. Alsbald zog ich mich mithilfe des Seils auf die beiden, eng zusammengebundenen Fässer, die mich wie ein kleines Floß auf den Wellen trugen.

      Ich fror entsetzlich, mein nasses Kleid klebte mir am Körper, und Regen, Wellen und Gischt peitschten mir ins Gesicht. Um mich herum nur der tosende, pechschwarze Sturm, gelegentlich erhellt von ein paar zuckenden Blitzen.

      Irgendwann ließ der Wind nach, die Wogen wurden niedriger, und ich fiel in einen erschöpften Schlaf.

      Ich träumte, ich sei in einem riesigen Garten und müsste die Namen von Blumen bestimmen, die ich noch nie gesehen hatte. Charles war in diesem Garten, doch er hielt sich im Hintergrund. Ein fremder Mann zeigte mir immer wieder gänzlich unbekannte Blüten und Blumen, deren Namen ich beim besten Willen nicht sagen konnte, und der Mann wurde wütend.

      Hilf mir, dachte ich im Traum, hilf mir Charles, warum hast du mich nicht besser darauf vorbereitet, doch Charles verschwand.

      Als ich aufwachte, wusste ich, noch ehe ich die Lider hob, dass ich gerettet war, denn das unaufhörliche Schwanken, das Schaukeln auf der Dünung hatte aufgehört.

      Ich schlug die Augen auf.

      Noch immer lag ich zusammengekauert auf den beiden Holzfässern, die von der Strömung und durch göttliche Bestimmung an einen langen, weißen Sandstrand gespült worden waren.

      Der Strand war viele Schritte breit, bevor er in einem sehr grünen Palmengürtel versandete. Dahinter erhob sich ein dichter Urwald. Ich war mir sicher, dass es sich bei diesen Gestaden um eine Insel handelte, da wir weit, weit entfernt vom nächsten Kontinent auf Reisen gegangen waren.

      Ich sah zurück über meine Schulter. Ich war auf einem Atoll gestrandet, ein schmaler, aus der Distanz zerbrechlich wirkender Korallengürtel schützte die Lagune, die türkis schimmernd und friedlich vor mir lag, als habe nicht vor wenigen Stunden noch ein furchtbarer Sturm gewütet.

      So weit das Auge reichte erstreckte sich das tiefblaue Meer hinter dem Korallengürtel, über den mich in der Nacht eine Welle getragen haben musste.

      Ich erhob mich von meinen Fässern, die mir das Leben gerettet hatten. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen war es noch früher morgen, aber sie brannte bereits jetzt so erbarmungslos von einem azurblauen Himmel, dass ich mich bald nach einem Schluck Wasser sehnte.

      Gestrandet, dachte ich. Und sofort erfasste mich eine große Angst. Es gab tausende Inseln in dieser Region des Pazifiks. Wie würde mich hier jemals irgendjemand finden? Und würde mich überhaupt jemand suchen, war es nicht aussichtslos gewesen, dass ich in diesem Sturm im Meer hätte überleben können?

      Ich schirmte die Augen mit der Hand gegen die Sonne ab. Vielleicht gab es hier Menschen, die mir helfen konnten. Vielleicht hatte ich schon, durch einen Zufall, der an göttliche Intervention grenzte, Kavuba erreicht.

      Ich raffte mein Kleid, grub meine Zehen in den weißen, weichen Sand, und wollte gerade am Strand entlanglaufen, als ich die Frau zwischen den Palmen sah.

      Sie war nackt. Ihre Haut hatte eine Farbe, die nicht so blass wie die der Europäer war, aber auch nicht dem dunkelbraun der sonstigen Ureinwohner dieser Region entsprach. Es war eher ein bronzefarbener Hautton, der mich fesselte.

      Menschen. Ich war nicht auf einer einsamen Insel gestrandet. Mein Herz wollte vor Glück beinahe zerspringen. Ich hob die Hand zum Gruß. Die Frau, die zwei Kokosnüsse in den Armen hielt, erschrak, und noch ehe ich die Palme erreichte, war sie im dichten Urwald verschwunden.

      Ich bin kein ängstlicher Mensch, auf meinen Reisen mit Charles habe ich schon immer mit fremden Kulturen Kontakt gehabt, aber irgendetwas machte mich in diesem Moment misstrauisch und vorsichtig.

      Ich beschloss, am Strand entlang zu gehen anstatt der Frau in den tiefen Urwald zu folgen. Vielleicht stieß ich noch auf einen Hafen, in dem mich ein französisches Missionarsschiff oder ein Handelssegler aufsammeln und zurück nach Batavia bringen konnte. In dieser Region wurden viele der Eingeborenen eifrig zu sittsamen Christen konvertiert, um den heidnischen Gebräuchen Einhalt zu gebieten. Dazu gehörte auch, sich sittsam zu kleiden und nicht wie hier, in schamloser Nacktheit vor die Augen der zivilisierten Europäer zu treten.

      Zum Glück, so dachte ich, hatte ich schon einiges gesehen in den vergangenen Monaten, so dass mich nichts mehr auf das Entsetzlichste schockieren konnte.

      Wie sehr hatte ich mich doch getäuscht. Ich hatte in meinem Leben, so würde mir erst später klar werden, noch gar nichts gesehen.

      Kaum jedoch hatte ich mich umgedreht, um zurück zum Spülsaum zu gehen, hörte ich Äste krachen, laute Stimmen, und schließlich brachen vier Männer aus dem Urwald.

      Sie trugen Speere. Auch sie waren nackt und ihre bronzefarbene Haut glänzte in der Sonne.

      Ich blieb stehen. Mein Herz schlug bis zum Hals.

      »Bonjour«, sagte ich selbstbewusst und hob die echte Hand.

      Die Männer musterten mich und wiesen wortlos mit ihren Händen in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

      Was sollte ich schon machen? Ich folgte ihnen.

      Vergöttert

      Ich bin in einem kleinen Schloss an der Loire aufgewachsen. Mein Vater, der Comte de Moncullier, hatte stets darauf geachtet, dass ich eine umfassende Erziehung im Sinne der schönen Künste erhielt. Ich war seine einzige Tochter, sein Augapfel, sein Kleinod. Meine drei älteren Brüder erhielten eine strenge Erziehung und mussten sich auf ihr Studium an der Sorbonne vorbereiten, ich jedoch lernte das Spiel am Spinett. Während ich tagsüber durch Avray-le-Puc tanzte und die Hühner über den Hof jagte, mussten meine Brüder in der Bibliothek stundenlang Lektionen in Geographie, Geometrie und Genealogie über sich ergehen lassen.

      Ich war ungefähr zehn, als mein Leben eine unerwartete Wendung nahm. Es war ein heißer Sommertag, an dem ich Francois suchte und etwas fand, das ich erst viel später verstehen sollte. Francois, der Sohn unseres Stallmeisters, war einige Jahre älter als ich und ich fand ihn charmant, so wie man einen Bediensteten charmant finden konnte, der mir, wenn ich in den Hof kam, mit gesenktem Kopf mein frisch gesatteltes Lieblingspferd heranführte, ohne dass ich ein Wort verlieren musste, weil er mich kannte und weil er dafür bezahlt wurde, mir zu dienen. Oder sollte ich sagen: Weil Francois nicht bestraft wurde, wenn er tat, was mir gefiel?

      An diesem Tag wartete ich, wie jeden Tag ganz früh gleich nach dem Aufstehen, jedoch vergeblich im Hof auf das Klappern der beschlagenen Hufe. Mein weißes Kleid strahlte in der Morgensonne und ich hatte zur Morgentoilette frisches Puder aufgetragen, zum ersten Mal, weil Maman sagte, ich sei langsam in dem Alter, in dem sich Mädchen morgens frisch machen sollten.

      So stand ich da, doch Francois kam nicht. Nach einer Weile wurde ich ungeduldig und die Neugierde, die schon damals recht deutlich ausgeprägt war, lenkte meine Schritte zum Stall. Ich hatte schon häufiger den Stall von innen gesehen, vermutlich häufiger, als es meinem Vater lieb gewesen wäre. Auch meine Mutter sagte, es schicke sich nicht, sich mit dem Gesinde zusammen im Stall aufzuhalten, dabei war es mir nie um unser Personal gegangen, sondern um Geruch des Pferdemists, die Sonnenstrahlen,

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