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erscheinen. Offensichtlich waren viele gern hier. Veras Angebeteter ist auch unter den Besuchern, sie hat vor Aufregung hektische Flecken im Gesicht. Ihre großen Rehaugen glänzen mit den Lichtern in der Aula um die Wette, ihr Blick saugt sich an der Gestalt eines sehr großen blonden jungen Mannes fest.

      Unsere Klasse hat noch Unterricht, eine Stunde Biologie ist auch dabei. Der Platz neben mir ist an diesem Vormittag leer, aber das ändert sich nach der großen Pause. Der große blonde junge Mann kommt mit dem Biologielehrer in den Raum. Herr Dávid stellt ihn vor und zeigt auf den freien Platz neben mir. Unser Klassenlehrer will offensichtlich mit seiner Musterschülerin angeben, weil er mich zur Tafel holt. Die Vorstellung hat ihm gefallen, ich bekomme dafür die beste Note. László, der Blonde, applaudiert lautlos dazu und ich denke, was für ein Blödmann.

      Diese Meinung ändere ich im Laufe des Tages gründlich. Nach der Biologiestunde müssen wir den Klassenraum aufräumen und für die Feier schmücken. László will helfen, steht aber immer nur im Weg. Dann habe ich eine Idee. Obwohl er sich reichlich ziert, schleppe ich ihn zum Klassenraum von Vera. Meine Wahlschwester hantiert gerade mit einem großen Besen. Ich finde eine Kehrschaufel, drücke sie László in die Hand und verschwinde. Nach der feierlichen Ansprache des Direktors und anderer Leute in der Aula kann jeder machen, was er will, ich gehe zurück in meinen Klassenraum. Auf meinem Platz sitzt der große Blonde und blättert in meinen Büchern und Heften.

      »Nicht schlecht für ein Mädchen in deinem Alter.«

      »Was ist nicht schlecht?«

      »Na, dein Versuch, mich mit deiner Freundin zu verkuppeln.«

      »Wieso verkuppeln? Ihr kennt euch doch schon. Außerdem ist Vera...« Ich kann gerade noch stoppen.

      »Ich weiß. Aber ich nicht.« László hält den Kopf schief, während er mich ansieht. Die Geste erinnert mich an meine Mutter, und weil sie bei ihm so komisch aussieht, muß ich darüber lachen.

      »Kommst du mit in die Stadt? Ich kenne ein nettes kleines Café, wo nicht jeder Interner hingeht.«

      Im Gewühl der Gäste in der Schule fallen wir nicht auf. Heute herrscht unkontrolliertes Kommen und Gehen, so merkt es niemand, daß wir gemeinsam das Schulgebäude verlassen.

      Das Café ist wirklich nett, winzig und liegt in einer Straße, die ich nicht kenne. Einer der beiden Tische ist noch frei. László bestellt Espresso für uns beide, ohne zu fragen, ob ich mag. Mein Referat in der Biologiestunde habe ihm gefallen. Überhaupt möge er kluge Mädchen gern, sagt er und sieht mich an, wie mich noch kein Junge angesehen hat. Er ist allerdings kein Junge mehr, sondern zwanzig Jahre alt und Student der Hochschule für Gartenbau in Budapest. Seine Eltern wohnen in Eger, siebzehn Kilometer von meinem Heimatort entfernt. Ein Nachbar sozusagen.

      »Heute ist mein Geburtstag«, sage ich. In der Aufregung des Tages habe ich es fast selbst vergessen.

      »Ich möchte dir schreiben«, sagt László. »Dann kann ich dir einen nachträglichen Geburtstagsgruß schicken. Aber jetzt möchte ich ein Foto von dir machen. Darf ich?«

      »Nicht in dieser häßlichen Schuluniform. Ich schicke dir eines.«

      »Also willst du mir auch schreiben.« Seine Augen lächeln mich an, er rückt seinen Stuhl näher an meinen.

      Eine warme Hand auf meiner Hand, dann zwei. Dann die flüchtige Berührung seiner Lippen in der Handfläche. Eine der Hände schließt meine mit dem Kuß darin und verweilt ein paar Sekunden am Handgelenk. »Sehen wir uns morgen? Am frühen Abend geht mein Zug.«

      In den hellblauen Augen sehe ich ein kleines Stück Himmel, das mir geschenkt wurde an diesem Nachmittag.

      Jeden Tag ein Liebesbrief

      Vera spricht nicht mit mir, als ich zurückkomme, und ich kann und will ihr auch nichts erklären. Niemandem will ich was erzählen von dem, was mir passiert ist, oder besser gesagt, gerade passiert. Wir sehen uns wieder, László und ich, danach kommt er nicht mehr in die Schule zurück. Um vier Uhr am Nachmittag muß ich im Internat sein. Es ist Sonntag, und Mai, ich bin gestern fünfzehn geworden. Plötzlich ist alles anders. Ganz anders.

      Zwei Tage später werde ich ins Lehrerzimmer bestellt, der Drachen hat Sehnsucht nach mir. Mir scheint, ihre Haare stehen zu Berge, als ich das Zimmer betrete, unsere Aufpasserin kommt gleich zur Sache. Ob ich nicht wisse, daß es verboten sei, Briefe von Männern zu bekommen. Sie sei schließlich dafür da, darüber zu wachen, daß Mädchen und Jungs keine Dummheiten machten. Das sei sie unseren Eltern schuldig. Sie hält mir einen Briefumschlag mit komplizierter Handschrift und einer auffallend schönen Marke unter die Nase.

      Ob ich die Schrift kenne.

      »Nein«, sage ich, und das stimmt.

      Aber sie, sagt der Drachen, sie kennt diese Schrift sehr gut. Sie stammt von einem gewissen großen blonden jungen Mann, der ...

      Ohgottogott. Wie kann ich bloß den kostbaren Brief diesem Raubtier entreißen? Ich habe keinen blassen Schimmer. Mein Herz hämmert vor Aufregung, ich mime aber die Unaufgeregte.

      »Sie können den Brief ruhig öffnen, Frau Veres. Da steht nichts drin, was Sie nicht lesen könnten« und schaue den Drachen treuherzig an.

      Was Frau Veres veranlaßt hat, mir den Brief ungeöffnet auszuhändigen, weiß ich bis heute nicht. Ich darf ab jetzt sogar einen Brief pro Woche von diesem jungen Mann erhalten, vorausgesetzt, ich besorge die Einwilligung meiner Eltern dazu.

      Das Schreiben meiner Eltern liegt in einer Woche dem Drachen vor und ich bekomme von ihr Lászlós Briefe persönlich ausgehändigt. Die anderen, denn jeden Tag kommt mindestens einer, bringt mir eine Schulkameradin mit, die in der Stadt wohnt. Judit wedelt jeden Morgen grinsend mit einem dicken Umschlag mit schöner Briefmarke darauf, wir müssen allerdings darauf achten, daß es niemand mitbekommt.

      In den Sommerferien kommt László oft mit einem kleinen knatternden Mofa, in unserer Gegend Gänseschreck genannt, zu Besuch, vorher aber plündert er jedesmal den Rosengarten seines Vaters. Vater ist entzückt, der junge Mann ist nach seinem Geschmack. Großmutter ist geradezu bezaubert von ihm, nur Mutter verhält sich abwartend, sie sagt vorsichtshalber wenig. Dafür stellt sie ein paar Nachforschungen an. Sie findet heraus, daß Lászlós Mutter ein kleines Milchgeschäft in Eger leitet und als sie mich zum erstenmal mitnimmt, begrüßen sich die beiden Frauen als wären sie alte Freundinnen.

      László liebt Gedichte, in den vielen Seiten seiner Briefe findet sich immer eines, meist von französischen Lyrikern; ich verschlinge sie. Die Übersetzungen stammen von bekannten ungarischen Dichtern. In Ungarn erscheint in diesen Jahren regelmäßig eine Anthologie von Zeitgenossen unter dem Titel Schöne Gedichte, László schenkt mir die ersten.

      Ein Jahr im Rausch, das Lernen tritt dabei etwas in den Hintergrund. Als ich einen Monat vor Abschluß des Schuljahres von Herrn Dávid meine voraussichtlichen Zensuren erfrage, bekomme ich einen gehörigen Schrecken. Dann setze ich mich auf den Hosenboden und büffele, was das Zeug hält und bitte um eine Chance der Nachbesserung. Die wird mir gewährt.

      Danach habe ich in allen Fächern Bestnoten, bis auf Sport. Unser Sportlehrer erklärt mit sauertöpfischer Miene, daß er mir nur deshalb ein Gut ins Zeugnis geschrieben hat, weil er es nicht mit einem Ungenügend verunzieren wollte. Für ihn bin ich der hoffnungsloseste Fall, dem er in seiner gesamten Laufbahn begegnet ist.

      Die Predigt lasse ich über mich ergehen, freue mich über das Zeugnis und noch mehr über die Anerkennung von László, als er erfährt, daß ich mich in allen Fächern verbessert habe. Um seinen Ehrgeiz ranken sich Legenden in der Schule, Herr Dávid, dessen Lieblingsschüler er war, singt Lobeshymnen über ihn. Er weiß natürlich vom Briefwechsel zwischen László und mir, und als ich um die Verbesserung meiner Noten bemüht war, kam er mir wohlwollend entgegen und meinte, der László Farkas, der hätte das genauso gemacht.

      Der Ruf einer Streberin haftet mir nur deshalb nicht an, weil hier alle bestrebt sind zu

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