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Verantwortung dafür ab.«

      Leslie zeigte nur zur Tür.

      Der Fremde stieg die Treppe so leise in die Höhe, daß sie seine Schritte nicht hörte. Die Tür öffnete sich, und Lucretia erschien wieder.

      »Der Herr ist da!« sagte sie laut, sah den Fremden ärgerlich an, ließ ihn hinein und schloß die Tür hinter ihm.

      Peter Dawlish blieb am Eingang stehen, wo Lucretia ihn verlassen hatte. Er hatte seinen weichen Filzhut in den Händen, sah die junge Dame an und betrachtete dann den gemütlichen Raum. Ein schwaches Lächeln spielte auf seinem Gesicht. Sie sah nun deutlich, wie schlecht er gekleidet war. Er trug keinen Kragen, und seine Schuhe waren grau vor Schmutz. Sein alter, schlechtsitzender Anzug war befleckt und abgetragen.

      »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich aussehe wie eine Vogelscheuche«, begann er, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. »Als ich entlassen wurde, gab man mir einen schönen Anzug, der im Gefängnis gemacht war, aber er schien mir nicht geeignet, darin einer kritischen Welt wieder gegenüberzutreten, und ich tauschte ihn gegen diesen ein.«

      Sie schob einen Stuhl an das Feuer.

      »Nehmen Sie bitte Platz, Mr. Dawlish.«

      »Mr. Dawlish – das klingt ja fürchterlich achtungsvoll.«

      »Sie können rauchen, wenn Sie wollen«, sagte sie, als er sich bedächtig gesetzt hatte.

      »Ich möchte schon, aber die Zutaten fehlen mir.«

      Hastig öffnete sie eine Schublade, nahm eine Zigarettenschachtel heraus und reichte sie ihm.

      »Danke schön.« Er nahm eine Zigarette und runzelte die Stirn. »Es ist doch zu merkwürdig.«

      »Was finden Sie denn merkwürdig?«

      »Gerade diese Sorte Zigaretten pflegte ich in früheren Tagen zu rauchen. Ich habe sie mir direkt von Kairo kommen lassen. Hier in London konnte man sie nicht kaufen, wenigstens damals nicht, als ich – mich zurückzog. Aber sehen Sie, ich bemitleide mich schon wieder. Und dabei hasse ich das doch so sehr. Es war mir selbst etwas ganz Neues, als ich entdeckte, daß ich in dieser Beziehung jetzt auch zur großen Masse gehöre.«

      Er steckte die Zigarette an und rauchte sie mit großem Genuss.

      »Ah, das ist wundervoll.«

      »Haben Sie schon gegessen?«

      Er nickte.

      »Wie ein Sybarit. In einem kleinen Restaurant in der Blackfriars Road. Das ganze Abendbrot hat nur einen halben Shilling gekostet. Das war sehr verschwenderisch, aber ich fühlte, daß ich eine Stärkung brauchte, bevor ich mich dieser Prüfung hier unterzog.«

      »Haben Sie keine Wohnung?«

      »Nein.«

      Er spielte mit seinen langen, schmalen Fingern, und sie bemerkte mit Genugtuung, daß seine Hände tadellos sauber waren. Wieder schien er ihre Gedanken zu erraten, denn er sah auf seine Hände herunter.

      »Ich wüßte nicht, was ich Ihnen mitteilen könnte, wenn Sie irgendwelche Informationen von mir wünschen. Wenn Sie ein männlicher Beamter von Scotland Yard wären, hätte ich Ihre Einladung einfach abgelehnt. Aber ein weiblicher Polizeibeamter ist etwas Eigenartiges. Ich habe natürlich schon mehrere im Dienst gesehen – kleine, wohlbeleibte Frauen mit niedrigen Helmen. Aber sie sollen ja ganz brauchbar sein.«

      Er sah, daß sie selbst nicht rauchte und erwähnte es auch.

      »Ich rauche nur selten. Würden Sie es mir übelnehmen, wenn ich ganz offen zu Ihnen spräche?« sagte sie dann ernster.

      »Je offener Sie mit mir sprechen, desto lieber ist es mir.«

      Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und blies eine Rauchwolke zur Decke empor.

      »Sie haben natürlich kein Geld?«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Das bedeutet also, daß Sie sich nachts auf der Straße herumtreiben müssen?«

      »Ich habe mich schon daran gewöhnt. Es wäre auch ganz interessant, wenn man nur nicht so schrecklich müde wäre. Ich bekam etwas Taschengeld, als ich das Gefängnis verließ. Ich kam damit nicht ganz eine Woche aus, ich fürchte, ich bin etwas unvorsichtig damit umgegangen. Man kann tagsüber in verlassenen, versteckten Parkecken ganz gut schlafen, besonders an warmen, sonnigen Tagen. Und für regnerische Nächte kenne ich ein Gerätehaus in einer Gärtnerei. Es kann sich allerdings nicht mit den Luxuswohnungen für Hochzeitsreisende im Ritz-Carlton messen, aber es ist immerhin ganz annehmbar. Ich habe letzte Nacht mit einem früheren Infanterie-Obersten und einem Rechtsanwalt dort geschlafen, der mit mir zusammen in derselben Abteilung in Dartmoor war.«

      Sie sah ihn fest an.

      »Diese Nacht werden Sie aber besser schlafen«, sagte sie in ihrem ruhigen, gleichmütigen Ton, »und morgen werden Sie sich einen besseren Anzug kaufen und einen Besuch bei Ihrer Mutter machen.«

      Er zog die Augenbrauen hoch und betrachtete sie ein wenig belustigt.

      »Ich wußte allerdings nicht, daß Sie auch in meine Familiengeheimnisse eingedrungen sind. Warum sollte ich das denn tun, Miss Maughan? Es wäre Geldverschwendung, einen neuen Anzug zu kaufen. Auf meine Mutter würde ein luxuriöses Äußere nicht den geringsten Eindruck machen. Sie würde höchstens annehmen, daß ich einen anderen gutmütigen Herrn gefunden hätte. Alle derartigen Dinge würden sehr viel Geld kosten, und ich glaube, es ist ganz gut, daß ich Ihnen, bevor wir uns weiter unterhalten, ausdrücklich sage, daß ich unter keinen Umständen die Absicht habe, Geld von Ihnen anzunehmen – unter gar keinem Vorwand.«

      Er fühlte sich in ihrer Gegenwart irgendwie bedrückt und verlegen. Später erinnerte er sich stets daran, daß es ihm bei den beiden ersten Begegnungen mit dieser merkwürdigen jungen Dame bald kalt und bald heiß geworden war, wenn sie zu ihm sprach.

      »Ihr Stolz, der es ablehnt, von einer Dame Geld anzunehmen, ist sicher bewunderungswürdig.« Ihr kühler, sarkastischer Ton demütigte ihn. »Auf diese Art und Weise will ein Mann, wenn auch unbewußt, seine Überlegenheit einer Frau gegenüber zum Ausdruck bringen – das ist gerade nicht sehr schmeichelhaft für eine Dame, aber die Männer müssen sich dabei unglaublich großartig vorkommen! Darf ich noch eine andere Frage an Sie richten, Mr. Peter Dawlish? Wollen Sie denn ganz in dem Schlamm der Großstadt versinken? Wollen Sie Ihr ganzes Leben in gemeinen Herbergen und Obdachlosenhäusern zubringen und später einmal in einem Armengrab beerdigt werden?«

      »Ich weiß nicht recht, warum Sie mir das alles sagen.«

      Sie fühlte, daß sie ihn gereizt und aufgebracht hatte, aber heimlich freute sie sich über die Wirkung ihrer Worte.

      »Ich würde natürlich alles tun, um Arbeit zu bekommen. Ich hatte eventuell die Absicht, außer Landes zu gehen.«

      »Natürlich. Sie wollten in eine unserer Kolonien gehen. Das ist eine der allerverbreitetsten Täuschungen, daß Leute ohne Entschlossenheit und Ehrgeiz glauben, plötzlich durch ein Wunder diese hervorragenden Eigenschaften zu erhalten, wenn sie in Quebec oder Sydney oder sonstwo an Land gehen.«

      Er mußte nun trotz alledem lachen.

      »Sie haben wirklich die beste Anlage, einen Mann zu ärgern.«

      »Meinen Sie?« fragte sie lächelnd. »Ich werde Ihnen jetzt auch genau sagen, was ich beabsichtige, Mr. Dawlish. Wenn Sie ein Darlehen ablehnen, so bedeutet das, daß Sie sich vollkommen wohl fühlen bei dem Gedanken, niemals wieder so viel Geld zu verdienen, um eine solche Summe zurückzuzahlen. Sie gehören damit zu den Leuten, die sich anstellen, um in den Armenhäusern ihr Essen zu erbetteln, zu den Pennbrüdern, die nachts auf Parkbänken schlafen und öffentlichen Wohlfahrtseinrichtungen zur Last fallen.«

      Sie sah, daß ihre Worte getroffen hatten, und sprach rasch weiter.

      »Aber natürlich tun Sie das nicht. Sie sind aus dem Gefängnis herausgekommen mit Groll und Haß im Herzen gegen die Mitwelt, und man kann Sie schwerlich deswegen

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