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      „Es geht jetzt nicht um Rechthaberei, sondern um die Frage: Wie kommen wir hier heraus?"

      Sie liefen treppauf und treppab, sie hielten sich links, und sie hielten sich rechts, sie sahen Schmuck und Kunstwerke, ihre Blicke fielen achtlos auf Gold und Edelsteine, sie fanden Kleider und Musikinstrumente, ihre Füße hinterließen Spuren im Staub von Jahrhunderten, aber sie entdeckten keinen Ausgang. Irgendwann öffneten sie ein eisernes Tor und helles Tageslicht umflutete sie. Aufatmend traten sie hinaus. Die weite Ebene von Eliu lag vor ihnen.

      „Wir haben es geschafft, Marc“, sagte Akandra.

      Aber der schüttelte nur den Kopf.

      „Du irrst“, antwortete er, „wir sind genauso weit wie zuvor. Wir befinden uns auf dem Dach des Palastes."

      

      

      

      

       Die weiße Frau

      Es war ein heller Tag, denn obgleich spät im Jahr war der Himmel wolkenlos. Weit dehnte sich Eliu vor ihnen aus. Nur die Südhöhen begrenzten den Blick. Marc deutete nach Osten, wo wie ein schwarzes Band der Kohlewald lag.

      „Das ist unser Weg“, sagte er, „wenn wir den Wald erreichen, habe wir unsere Verfolger abgeschüttelt."

      Vom Westen kommend sahen sie eine schmale Straße, die am Tor des Palastes endete. Sie durchquerte das Ödland und folgte dann dem Fluss Dollard.

      „Was ist denn das?" fragte Akandra und deutete auf schwarze Punkte, die die Straße entlang krochen.

      „Das sind Reiter“, rief Marc erschrocken.

      Sie beschatteten mit den Händen die Augen und sahen sich genauer um. Zu ihrem Entsetzen bemerkten sie die gleichen Punkte im Norden und im Süden. Die Punkte verteilten sich. Die Reiter schwärmten aus und kreisten den Palast ein. Bald war auch Fußvolk zu erkennen. Waffen blitzten in der Sonne.

      „Wir sind gefangen“, stellte Akandra fest. „Auch, wenn dieser Aufmarsch nicht uns gilt, so gibt es doch kein Entkommen mehr."

      „Wir können uns im Palast verstecken“, meinte Marc. „Er ist so weitläufig, dass sie uns so schnell nicht finden. Vielleicht ziehen sie bald wieder ab!"

      Die junge Frau dachte daran, was sie im Keller dieses Gemäuers entdeckt hatte, und Schauer überfiel sie aufs Neue.

      „Wir müssen hier weg“, sagte sie. „Wenn wir bleiben, wird es fürchterlich!"

      „In diesem flachen Land kann man uns meilenweit sehen, und zu Pferd haben uns die Reiter rasch eingeholt. Wenn wenigstens noch hohes Gras stünde. Aber diese Einöde bietet keine Deckung. Wir müssen hierbleiben und uns hier ein Versteck suchen."

      „Wenn ich sage, wir machen uns auf den Weg, so habe ich meine guten Gründe."

      Während sie noch stritten, wurden sie plötzlich zu Boden gerissen. Starke Arme hielten sie fest. Die Erits wehrten sich verbissen, schlugen um sich, traten und versuchten, den Gegner zu beißen. Doch sie kamen nicht gegen ihn an. Eine große, kräftige Gestalt war über sie hergefallen. Vorsichtig tastete Akandra nach ihrem Messer. Sie hatte das Heft bereits umfasst und wollte gerade zustoßen, da erhielt sie einen mächtigen Hieb, der sie bewusstlos zurücksinken ließ. Marc, der nach dem Hammer an seinem Gürtel gegriffen hatte, erging es nicht besser.

      Als sie wieder zu sich kamen, hatte man sie vom Dach herunter gezogen. Ächzend richtete sich Marc auf und schaute sich vorsichtig um. Was er sah, gefiel ihm ganz und gar nicht, deshalb ließ er sich erschrocken wieder zurückfallen. Vor ihm ragte drohend ein weiß gekleideter Mensch auf. Er beugte sich zu ihm herunter, und der Erit riss seinen Arm schützend über den Kopf, als erwarte er einen neuen Schlag. Doch stattdessen fuhr ihm eine Hand zart über das Haar.

      „Ich hoffe, es tut nicht allzu weh“, sagt eine weiche Stimme. „Es ging nicht anderes. Ihr habt euch zu sehr gewehrt, und ich konnte dort oben auf dem Dach keinen Ringkampf mit euch ausführen. Das wäre sofort aufgefallen. Ich hoffe nur, dass man uns noch nicht bemerkt hat."

      Auch Akandra war inzwischen wieder zu sich gekommen und hatte die letzten Worte gehört.

      „Das einzige, was zu bemerken war, ist die Brutalität, mit der Ihr uns niedergeschlagen habt. Was haben wir Euch getan?"

      „Nun, immerhin wolltest du mich mit deinem Messer abstechen“, sagte die Stimme mit leichtem Spott. „Du bist überhaupt schnell mit dem Messer zur Hand, Akandra."

      „Woher kennt Ihr meinen Namen?"

      „Oh, ich weiß viel über euch. Ich weiß auch, dass es besser für euch ist, nicht entdeckt zu werden. Habt ihr törichten Erits denn nicht gemerkt, dass von allen Seiten Truppen auf den Palast zu marschieren. Ihr standet im Sonnenschein auf dem Dach und wart prächtig meilenweit zu sehen. Ich hatte keine Zeit für lange Diskussionen, deshalb riss ich euch zu Boden. Aber ihr habt wie die Wilden gekämpft."

      „Wer seid Ihr?" fragte Akandra.

      „Das erkläre ich euch später. Zuerst einmal müssen wir hier weg."

      „Warum?"

      „ER kommt zurück."

      „Wer ist ER?"

      „Wisst ihr denn nicht, wo ihr euch aufhaltet? Dies ist Roscio, der Sommerpalast Ormors. Und du, Marc, hast im Bett des Zauberkönigs geschlafen."

      Den Erits blieb das Herz stehen. Sie wollten hundert Fragen auf einmal stellen, aber die weiße Gestalt schnitt ihnen das Wort ab.

      „Später, später“, rief sie. „Zuerst müssen wir uns retten!"

      „Wie soll das geschehen“, fragte Marc. „Wir sitzen hier in der Falle. Sobald wir den Palast verlassen, werden wir gesehen, und die Hetzjagd beginnt."

      „Ich habe eine Idee, wie wir ungesehen entkommen könnten. Aber wir dürfen keine Zeit verlieren."

      Die Gestalt half ihnen auf die Beine und lief dann voraus die Treppe hinunter. Sie schien sich auszukennen, denn sie führte die beiden zielstrebig durch das Gewirr der Gänge. Ihr Ziel war der runde, blaue Raum, den Akandra am Morgen erkundet, und aus dem sie den kleinen Dolch mitgenommen hatte. Als sie dort angelangt waren, erkannten die Erits endlich, mit wem sie es zu tun hatten. Ihr Führer war eine Frau. Sie trug einen weißen Mantel und darunter grüne und erdfarbene Wäsche aus Wolle. Ihr Haar war lang und dunkel. Als sie den Mantel zurückschlug, erkannten sie ein großes Messer an ihrer Seite und über der Schulter einen Köcher und einen langen Bogen. Die Frau begann systematisch den Raum abzusuchen. Schon zweimal hatte sie alles abgetastet und genau in Augenschein genommen, aber nichts gefunden. Sie schimpfte still vor sich hin.

      „Sie müssen da sein. Wenn ich sie nicht bald finde, muss ich mir etwas anderes überlegen. Viel Zeit bleibt nicht mehr!"

      Inzwischen klopfte sie sogar die Wände ab. Marc fragte höflich, ob er helfen könne, und was denn gesucht werde. Aber er bekam keine Antwort, und als er noch einmal nachfragte, wurde er barsch abgewiesen. In diesem leeren Raum konnte nichts verborgen sein. Warum gab sie nicht auf? Die beiden Erits kamen sich überflüssig vor und langweilten sich. Jung und unbefangen wie sie waren, begannen sie ein Hüpfspiel auf den schwarzweißen Marmorplatten des Fußbodens, das sie als Kinder schon gespielt hatten. Da geschah es plötzlich. Ein Knirschen ging durch den Raum, die Frau und die Erits erstarrten vor Schreck, und eine der Wände wich zurück. Eine Kammer mit Regalen wurde sichtbar, auf denen wunderliche Dinge standen: seltsame kristallene Kugeln, Zylinder, die in allen Regenbogenfarben glänzten, und Stöcke aus Silber und Gold. Die Frau eilte hinein und kam mit drei unscheinbaren, grauen Tüchern zurück.

      „Ich habe, was wir brauchen“, sagte sie befriedigt. „Wenn ihr euer kindliches Spiel nicht gespielt hättet, so hätte ich diese Schatzkammer niemals gefunden. Der Öffnungsmechanismus war im Boden. Die

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