Скачать книгу

habe immer noch die alten Spielkarten im Haus. Vater hat danach gefragt und wir haben seit Langem einmal wieder einige Partien Piquet gespielt. Es ging noch ganz gut, aber Vater hat trotzdem immer gewonnen. Tom hat zugesehen und ich war ganz erstaunt, als er mich dann abgelöst hat und es schon recht gut spielen konnte. Vater musste schwören, es ihm nicht vorher beigebracht zu haben. Ich habe Tom auch gesagt, er solle in der Schule nicht erzählen, dass er Karten gespielt hätte.

      Brisbane, 23. April 1922

      Es ist Onkel Louis Geburtstagsgeschenk, er will mir das Kochen beibringen, die französische Küche, wie er sagt. Ich bin Französin, es ist eine Schande, dass ich meinem Sohn kein einziges Gericht kochen kann, welches auch in Paris auf den Tisch kommt. Onkel Louis sagt, dass das mit Paris nicht ganz stimmt, dort wird noch wieder anders gekocht, dort ist man Europa näher als Frankreich Es soll zumindest vor dem Großen Krieg so gewesen sein. Mein Kurs hat heute Morgen begonnen. Wie still es im Restaurant war, und überhaupt nicht gemütlich, wenn der Staub in der Morgensonne schwebt. Die Küche war aber herrlich frisch und sauber und es duftet nach den Kräutern, die Onkel Louis abends immer schon einlegt. Meine erste Lektion hatte dann auch etwas mit Kräutern zu tun, Omelette mit einer Sahne-Kräuter-Füllung. Beim Omelette ist es ganz wichtig, kein Mehl zu den Eiern zu geben und sie nicht zu rühren, sondern ganz sachte in der Pfanne zu backen.

      Brisbane, 5. Mai 1922

      Ich habe irgendwann einmal von dieser Fabel gelesen oder gehört, in der eine Fliege sich brüstet, dass es ihr Zutun war, eine Kutsche über eine Anhöhe gebracht zu haben. Jetzt habe ich es noch einmal in der Zeitung gefunden, sogar den vollständigen Text. Ich glaube ich kannte die Geschichte vorher so noch gar nicht. Die Fabel ist schon weit mehr als zweihundert Jahre alt und sie stammt aus Frankreich, geschrieben von einem Jean de Lafontaine. Die Fliege kann den Wagen natürlich nicht die Steigung hinaufbringen und es hört auch niemand auf ihre Befehle. Die Fliege umkreist die Pferde, die Kutschräder, die Passagiere und macht viel Wirbel. Als die Kutsche dann endlich auf der Bergkuppe steht, ist es sicherlich nicht ihr Verdienst, doch sie brüstet sich damit. Der Schlussreim spricht dann wirklich die Wahrheit und ich will ihn mir hier kurz notieren: »Ich kenne Ähnliches von vielen, die immer die Geschäftigen spielen. Sie mischen sich in alle Dinge, als ob es ohne sie nicht ginge, und sind nur ungelegen überall. Schmeißt sie hinaus mit Knall und Fall!« Ein Spruch für Vaters Büchlein. Tom soll es sich notieren. Vater hat schon einiges von dem alten de Lafontaine.

      Brisbane, 18. Mai 1922

      Wir haben es uns genau überlegt. Ich habe mich sogar mit Vater beraten. Wir werden das Stipendium für Tom annehmen, aber erst zum nächsten Schuljahr. Die Schule ist in Lutwyche und Tom wird mit dem Autobus fahren müssen. Jimmys Eltern haben mich um die Unterlagen der Schule gebeten, vielleicht kommt ja wenigstens einer von Toms Freunden mit. Ihm wäre es natürlich am liebsten, wenn auch Keith und Paul dabei wären. Ich soll auch ihren Eltern sagen, wie hervorragend die Privatschule in Lutwyche sei. Tom macht sich allerdings keine Vorstellungen, wie teuer das für die Eltern seiner Freunde werden kann. Ohne das Stipendium könnte ich es mir nicht einmal mit Vaters Hilfe leisten.

      Brisbane, 3. Juni 1922

      In der Zeitung wurde eine weitere Lafontaine-Fabel abgedruckt und ich habe sie mit großem Vergnügen gelesen. Es ist wieder etwas, das man sich merken muss, weil es damals wie heute Gültigkeit hat. Es geht so: Am Hof des Löwen, des Königs oder desjenigen, der über ein Volk herrscht, darf man eine schlechte Sache weder schönreden, noch die Wahrheit darüber sagen. Am besten findet man eine Ausrede, dass man sich keine Meinung erlauben könne. Ich muss überlegen, ob ich schon einmal in eine solche Situation geraten bin. Wenn mir etwas überhaupt nicht gefällt, dann sage ich es schon. Das habe ich früher bei Vaters Artikeln immer so gemacht und Vater war ja auch dankbar für meine Kritik und es war für ihn wichtig. Dann fällt mir noch ein, dass Olga einmal ein weißes Kleid mit einer roten Schärpe anprobiert hat. Ich fand die Schärpe unmöglich, die Farbe und Form. Olga hatte sich aber wohl schon für das Kleid entschieden und so habe ich einfach gesagt, dass es mir auch gefalle. Helen hat mir dann aber erzählt, dass Olga genau dieses Kleid drei Tage später wieder ins Geschäft zurückgebracht hat. Olga hat also am Ende meiner Meinung doch nicht vertraut. Bei der Arbeit ist es dann aber tatsächlich so, wie Lafontaine es in seiner Fabel empfiehlt. Wenn ich jemals die Anwälte wegen der Texte kritisiert hätte, die ich übersetzen musste, dann hätten sie mir bestimmt irgendwann keine Aufträge mehr gegeben. Ich wurde zum Glück noch nie nach meiner Meinung gefragt, und wenn dies einmal geschieht, dann werde ich antworten, dass ich mich mit juristischen Dingen nicht auskenne. Auch wenn es nicht immer gilt, kann man sich Lafontaines Lehre trotzdem merken: »Es kann euch, möchtet ihr des Herrschers Gunst besitzen, nicht fades Schmeicheln und nicht offnes Reden nützen.«

      Brisbane, 24. Juni 1922

      Ich verwende ein Schreibheft für die Rezepte. Onkel Louis sagt, ich dürfe es eigentlich niemandem zeigen, denn seine größten Rezeptgeheimnisse würden mittlerweile darin stehen. Alles, was ich bisher von ihm gelernt habe, kocht nur er so. Es gibt natürlich immer noch Varianten, die letzten, großen Geheimnisse, die er nicht einmal Tante Maggie anvertrauen würde, ja nicht einmal seiner eigenen Mutter, wenn sie es nicht gewesen wäre, die ihm alles beigebracht hätte. Ich muss immer viel lachen, wenn ich mit Onkel Louis koche. Was habe ich also gelernt. Die Omelettes lassen sich nicht mehr zählen, mit den Kräutern hat es angefangen, mit Krabben, Muscheln und Fisch hat es aufgehört. Dann das unechte Bœuf bourguignon. Unecht, weil das Fleisch nicht von Charolais-Rindern stammt. Dafür rät Onkel Louis aber immer echten Burgunderwein zu verwenden. Ich liebe auch die Quiche, von denen ich immer nur ein ganz kleines Stück essen kann. Sie sind schnell zubereitet und machen furchtbar satt. Die Füllungen sind dann aber wieder das Besondere und man kann unendlich viele verschiedene machen, da ähneln sie den Omelettes. Onkel Louis hat mir natürlich auch die gesunde, französische Küche beigebracht, mit reichlich Gemüse und wenig Fett und Fleisch. Doch am besten koche ich etwas ganz Ungesundes, eine Süßigkeit, Crème brûlée. Onkel Louis sagt, ich hätte Talent im Umgang mit dem Gasbrenner, meine Kruste sei immer so gleichmäßig braun. Wenn ich jetzt weiter in meinem Rezeptbüchlein blättere, finde ich noch mehr schöne Speisen. Bei einigen habe ich zwar die Rezepte, aber Onkel Louis muss mir noch einmal zeigen, wie sie zubereitet werden. Er hat versprochen, mir noch ein paar Stunden zu geben.

      Brisbane, 18. Juli 1922

      Tom ist sehr fleißig und auch sehr eifrig. Vaters Büchlein der Sprichwörter und Zitate gibt es ja schon in zweifacher Ausführung. Das Original auf Französisch und die Kopie auf Englisch. Tom hat dazu noch gut zwanzig neue Texte aufgenommen und sie gleich in beide Bücher geschrieben. Vater hat dagegen in den letzten beiden Jahren nur drei oder vier neue Zitate gefunden und uns geschickt. Toms momentaner Lieblingsspruch stammt von einem Schriftsteller unserer Zeit, von dem Franzosen Marcel Proust und er lautet: »Worüber wir nicht ernsthaft nachgedacht haben, das vergessen wir bald«.

      Brisbane, 3. August 1922

      Der höchste Berg der Welt, der Mount Everest, gehört auch zum Einflussbereich des britischen Empires, zumindest sind es Briten, die in diesem Jahr versucht haben, den Gipfel zu erreichen. Ein Bericht wurde jetzt veröffentlicht. Der Mount Everest ist gut sechsundzwanzigtausend Fuß hoch, unvorstellbar, fünfeinhalb Meilen. Dort oben sollen die Bergsteiger kaum noch Luft bekommen. Die Expedition hat nämlich extra Sauerstoff in Stahlflaschen mit hinaufgenommen. Den Gipfel haben sie aber trotzdem nicht erreicht, ganz im Gegenteil, die Besteigung musste abgebrochen werden, weil eine Schneelawine sechs Männer in den Tod gerissen hat. Es waren alles einheimische Träger, die zum Ruhme der Briten gestorben sind, wobei es tragischerweise zu keinem Ruhm gekommen ist.

      Brisbane, 26. August 1922

      Ich war heute Nachmittag mit Olga und Helen im Kino, unser erster Mary-Pickford-Film, ein Film für Frauen. Es ging um ein Waisenkind. Die Pickford wächst im Waisenhaus auf, ist intelligent und aufgeweckt und

Скачать книгу