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stoßen, die ihn wegen seines Aussehens ablehnen oder ihn deswegen sogar angreifen. Es wird nicht immer so einfach zu lösen sein, wie mit den Kindern in seinem ersten Schuljahr.

      Brisbane, 22. Oktober 1918

      Die Zeitungen schreiben, der Deutsche Kaiser sei am Ende. Es ist bald mit einer Kapitulation zu rechnen. Es wird immer euphorischer, immer siegesgewisser. Ich frage mich nur, wann die Alliierten endlich ins Deutsche Reich einmarschieren, wo die Deutschen doch schon so lange in Frankreich und Belgien stehen.

      Brisbane, 12. November 1918

      Der Krieg ist zu Ende, mehr kann ich nicht schreiben, es sagt alles. Es ging plötzlich so schnell, mir kam es zumindest so vor, aber wir sind ja auch so weit, weit weg von allem.

      Brisbane, 30. November 1918

      Heute hatte ich eine schöne Begegnung, an einem interessanten, aber schmutzigen Ort. Wir haben uns heute das Kraftwerk unten am Fluss angesehen, dass Brisbane mit Strom versorgt, dort fand die Begegnung statt, die Begegnung zwischen mir und Mr. Pollock. Er arbeitet im Kraftwerk und ist für die elektrischen Anlagen zuständig für die vielen komplizierten Geräte. Unsere Gruppe war schon weitergeführt worden, als mir Mr. Pollock noch etwas erklärte. Ich muss gestehen, ich habe nicht viel verstanden, weil ich auch nicht richtig zugehört habe. Ich habe natürlich zugehört, dabei aber nur auf seine schöne Stimme geachtet und auf seinen konzentrierten Blick, der mich so angezogen hat. Am Ende habe ich gar nichts mehr von dem Kraftwerk gesehen, nur das, was mir Mr. Pollock gezeigt hat. Weil ich meine Gruppe hoffnungslos verloren hatte, musste ich am Empfang warten, bis die Führung zu Ende war. Mr. Pollock ist bei mir geblieben und wir haben Kaffee getrunken. Er ist erst vor Kurzem aus dem Krieg heimgekehrt, er war bei der Marine. Jetzt hat er wieder seine Stellung im Kraftwerk, wie auch schon vor dem Krieg.

      Brisbane, 9. Dezember 1918

      Mr. Pollock hat mich gestern Nachmittag in ein Café ausgeführt. Wir haben uns am Rathaus getroffen und sind dann erst etwas spazieren gegangen. Jetzt kenne ich auch seinen Vornamen, Jack. Wir sind aber beim Sie geblieben, wir kennen uns ja erst kurz. Ich weiß aber schon recht viel von ihm. Er ist zehn Jahre älter als ich, seine Eltern leben an der Küste außerhalb von Brisbane und er ist nicht verheiratet, war es nie. Ich habe ihm von Tom erzählt, warum auch nicht.

      Brisbane, 13. Dezember 1918

      Toms erste Sommerferien haben begonnen, ich zähle das Vorschuljahr nicht mit. Vater wird sich in den nächsten Wochen etwas Zeit nehmen müssen, er hat es aber auch versprochen. Für heute ist er allerdings entlastet, denn Tom ist vor einer halben Stunde mit Keith in den Park gegangen und sie treffen sicherlich auch Paul und Jimmy dort.

      Brisbane, 16. Dezember 1918

      Das Rathaus ist unser Treffpunkt, wie schon letzten Sonntag. Mr. Pollock hat gewartet, ich war etwas zu spät. Es war erst kurz nach eins und weil wir beide noch nicht gegessen hatten, sind wir in ein Restaurant gegangen. Jack wird schon am nächsten Wochenende zu seinen Eltern fahren und über Weihnachten bleiben. Auch wenn es nicht schicklich ist, wollte ich ihn dann an Silvester zum Ball einladen. Leider hat er über Neujahr in seinem Kraftwerk Dienst. Wir können uns daher wohl erst im nächsten Jahr wiedersehen.

      Brisbane, 22. Dezember 1918

      Ich habe für Vater noch ein spätes Weihnachtsgeschenk gefunden, ein Buch. Es ist auf Französisch, das wird ihn schon einmal freuen. Ich habe es aber auch genommen, weil auf dem Buchrücken die traurige Geschichte des Autors abgedruckt ist. Er hieß Alain-Fournier, einfach nur so, ohne Vornamen, und er ist gleich zu Beginn des Krieges gefallen. Der Roman soll im Frankreich der neunziger Jahre spielen, also zu einer Zeit, in der Vater auch noch dort gelebt hat. Ich hoffe, dass ihm die Geschichte gerade deswegen gefallen wird.

      1919

      Brisbane, 1. Januar 1919

      Ich arbeite morgen nicht und auch nicht am Freitag. Es wird ein sehr langes Wochenende. Ich bin heute Morgen erst früh um vier nach Hause gekommen. Vater hat sich um Tom gekümmert, und wie ich ihn kenne, hat er Tom bis nach Mitternacht aufbleiben lassen und sie haben sich das Feuerwerk vom Garten aus angesehen. Die letzten Jahre haben wir es uns immer gemeinsam angeschaut, nur dieses Silvester bin ich auf eine richtige Party gegangen. Ich bin noch erschöpft. Wir haben getanzt und ich muss gestehen, ich habe auch getrunken. Um Mitternacht war ich etwas traurig, ich habe so gehofft, dass Jack, noch auf die Party kommt. Er hat es mir nicht versprochen, aber ich hätte geglaubt, dass meine Bitte Antrieb genug für ihn sein könnte. Es ist nicht so gekommen. Er hatte Dienst, in seinem Kraftwerk, das auch zu Silvester nicht stillsteht, um die Stadt mit Strom zu versorgen. Eigentlich hat Jack einen wichtigen Beruf. Er hat mir schon bei unserem ersten Treffen vor vier Wochen alles genau erklärt. Er ist so technisch und ich bin etwas stolz, dass ich einen richtigen Ingenieur kennengelernt habe, der an einer Fachschule studiert hat. Ich liebe es, wenn Jack sich für eine Sache begeistert. Er hat sich auch für mich begeistert, das habe ich gespürt, aber es fällt ihm schwer, seine Gefühle zu zeigen. Es liegt wohl daran, dass Jack die letzten beiden Jahre in einer Männerwelt gelebt hat. Er war im Krieg, bei der Marine, als Schiffsingenieur, als Offizier. Es wird Vater interessieren, dass Jack Offizier war. Aber noch werden sich Vater und Jack nicht kennenlernen. Ich kenne Jack ja selbst noch nicht richtig.

      Brisbane, 11. Januar 1919

      Jetzt habe ich doch den Meaulnes zuerst gelesen, noch vor Vater, wo es doch sein Weihnachtsgeschenk war. Ich musste mich beim Lesen schon konzentrieren, um die ganzen Beziehungen der Personen in diesem Buch richtig zu verstehen. Für mich war aber nicht allein die Handlung spannend, sondern das Frankreich, das ich ja nicht kenne und vor allem die Zeit, in der die Geschichte spielt, weil es auch die Zeit meiner Geburt war. Das Buch soll autobiografisch sein und Monsieur Alain-Fournier selbst sei dieser Meaulnes. Auf jeden Fall hat es ein tragisches Ende genommen, mit viel Schmerz und Tod. Es ist schade, dass es der einzige Roman von Monsieur Alain-Fournier sein soll, und es ist traurig, dass er keine mehr schreiben wird. Am Ende des Buches habe ich auch noch gefunden, dass Monsieur Alain-Fournier mit Vornamen Henri hieß.

      Brisbane, 31. Januar 1919

      Vater denkt über einen Ortswechsel nach. Es wäre nicht das erste Mal. Ich verstehe Vater nicht. Er ist ständig unterwegs, sieht ganz Australien und manchmal auch noch fernere Orte. Warum ist Brisbane jetzt nicht mehr gut genug. Wir diskutieren niemals über solche Dinge. Wenn Vater mit so etwas anfängt, dann stelle ich ihm nur Fragen und er ist hinterher zumeist einsichtig. Diesmal scheint es anders zu sein, diesmal ist es wohl ernster. Er hat nur noch eine Zeitung hier in Brisbane, die mit ihm zusammenarbeiten will. Es ist immer noch die Sache von damals auf Hawaii. Vater ist Korrespondent, natürlich ist er auch politisch, muss es sogar sein, wie er mir immer erklärt. Er war sein Leben lang unpolitisch, musste aber die Politik Frankreichs vertreten. Nicht dass es Vater jemals belastet hätte, damals, als er noch französischer Offizier war, aber in Australien hat er eine andere Stellung, ist er nicht mehr irgendeiner Regierung verpflichtet. Ich glaube nicht, dass Vater an Australien zweifelt. Wir haben über verschiedene Städte gesprochen. Sydney würde natürlich sehr schön sein. Ich war bereits einmal in Sydney. Es würde mir auch gefallen. Dann kenne ich noch Melbourne. Vater sprach auch über Canberra, aber ich habe nur gelacht. Ich bin noch immer davon überzeugt, dass die Regierung sich irgendwann doch noch anders entscheidet und Melbourne als Hauptstadt bestehen bleibt. In Canberra ist nichts und wird so schnell auch nichts sein. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass dort einmal das Leben pulsiert, so wie hier in Brisbane. Ich weiß jetzt, dass Vater fortwill. Ich habe mich bereits daran gewöhnt, dass er die Hälfte des Jahres nicht in Brisbane lebt, nicht bei Tom und mir ist. Wenn er ganz fortzieht, muss ich mir überlegen, ihn zu begleiten. Tom hat erst letztes Jahr mit der Schule begonnen. Ein Umzug käme daher nicht gelegen.

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